Fahrrad ist nicht gleich Fahrrad: Von der Geometrie, über die Reifen bis zur Fahrtechnik haben auch Gravelbikes ihre speziellen Charakteristika. Um sein neues Rad richtig zu händeln oder eine fundierte Kaufentscheidung treffen zu können, braucht man mehr, als nur Infos über die Marken der einzelnen Komponenten. Was sagen gewisse Zahlen aus? Und worauf sollte man achten? Passend zu unserem großen Gravelbike-Vergleichstest haben wir die wichtigsten Aspekte rund um die Allrounder zusammengefasst.
Keine Angst vorm Gravelbike! Das soll die Message hier sein. Eine häufige Reaktion auf den Biketyp ist: “Ich könnte nicht so sitzen!” Damit meinen die Kollegen und Freunde die Position vom Sattel zum Lenker und die Idee, man müsse irrsinnig viel Gewicht mit seinen Armen abstützen! Das ist aber bei einem passenden, gut eingestellten Rad überhaupt nicht der Fall. Versuchsweise haben wir eine Küchenwaage zwischen Hand und Lenker gepackt, die zeigte, entspannt sitzend, keine zwei Kilo an. Selbst auf noch länger gestreckten Rennrädern mit noch sportlicheren Sattelüberhöhungen kann ein geübter Fahrer die Hände von den Griffen nehmen, ohne nach vorn zu kippen.
Und Gravelbikes sind um einiges komfortabler gestrickt als Rennräder und selbst als ihre nächsten Verwandten, die Cyclocrosser. Die Grafik oben zeigt einen solchen, das Inflite von Canyon. Im Verhältnis dazu ist das gegenübergestellte Grizzl (unten) aus dem Test sichtbar komfortabler oder, besser, weniger sportlich gestaltet. Radfahrer, die eine Sitzposition mit etwas mehr Oberkörpervorlage gewohnt sind, empfinden nämlich die als bequemer. Es liegt auch eher an etwas fehlender Beweglichkeit in der Hüfte als an der Stützlast der Hände, wenn man beim Probesitzen auf einem Gravelbike die Haltung als unkomfortabel empfindet. Das gibt sich in den allermeisten Fällen mit Gewöhnung und etwas Stretching.
Biomechanisch ist die Haltung auf solch einem Bike nicht nur effizienter, sondern – Achtung! – kann gesünder sein! Durch den etwas vorgelagerten Oberkörper ist dessen Schwerpunkt direkt über der Kurbel. Man kann ihn quasi als Widerlager nutzen und viel fester in die Pedale treten als wenn man aufrecht sitzt und vorm Körperzentrum tritt. Wer eine hohe Stufe zu Fuß erklimmen will, nimmt dazu automatisch exakt die Haltung ein, die man auf einem Gravelbike etwa hat. Und die ausgeglichene Gewichtsverteilung sorgt dafür, dass Schläge von unten weniger in die Wirbelsäule gehen, sondern über Beine und Arme abgefangen werden.
Die Sitzposition auf einem Rad wird definiert durch das Verhältnis von Höhe und Länge des Rahmens. In den zwei Grafiken sieht man neben anderen zwei entscheidende Größen und ihre Messpunkte: den Stack J und den Reach I. Mit der Tretkurbel als Fixpunkt geben sie Aufschluss über den Abstand zur Lenkung in horizontaler und vertikaler Ebene. Man hätte auch die Oberrohrlänge C oder Sattelhöhe A dafür nutzen können, da aber der Sattel in beiden Ebenen verstellbar ist, nutzen Experten festgelegte erstere Werte.
Für Sie als Fahrer entscheidend ist der Quotient aus Stack und Reach, er gibt final an, ob ein Rahmen für mehr oder weniger Oberkörpervorlage gemacht ist. Drum haben wir den SR-Quotienten in allen Testkästen angegeben. Die Werte bewegen sich um 1,5 und leicht darunter, schon kleine Veränderungen machen hier viel aus. Je kleiner die Zahl, desto sportlicher der Rahmen. Auch angegeben haben wir den Radstand H. Innerhalb der Gravelbikes unterscheidet er sich nur gering, spezialisierte Reiseräder z.B. sind hier vier, sechs, acht Zentimeter länger.
Damit laufen sie ruhiger geradeaus, man verschwendet keine Energien in leichte Schlangenlinien. Dafür sind sie im Lenkverhalten super träge. Gravelbikes sind auch hier ein toller Kompromiss! Ihre Gabeln sind (fast) gerade und der Winkel der Lenkung etwas steiler (E) als bei Trekkingbikes, das macht sie wendiger und kontrollierbarer im Gelände, Rahmendreieck und Hinterbau sind aber lang genug, damit auf langer Gerade und mit Gepäck keine Unruhe ins System kommt.
Neben Geometrie und Bauweise des Rahmens sind die Reifen das Bauteil, das den größten Einfluss auf einzelne Qualitäten eines Gravelbikes hat, nur kosten sie einen Bruchteil. Man kann also mit einem Tausch gleich beim Kauf oder nachträglich viel beeinflussen, allerdings fast immer zu Ungunsten der jeweils entgegengesetzten Eigenschaft. Der Reifen sollte zur Grundcharakteristik des Rades passen, ein grobstolliger, 50 mm breiter Pneu am Storck z.B. wäre ein Manko gewesen. Einen groben Überblick über die am Testpool verbauten Reifentypen gibt’s oben in der Bildergalerie. Und um bei einem etwaigen Fachgespräch mit dem Verkäufer, Trainingspartner oder Mechaniker gerüstet zu sein, hier ein paar der wichtigsten Begriffe und “Must-knows”:
Auch und gerade als Allzweckwaffe für Radtouren und ganze Weltumrundungen haben sich Gravelbikes zuletzt tausendfach bewährt. Prinzipiell eignet sich jedes Modell für solch einen Trip, mit manchen kann man sich aber die langen Tage im Sattel angenehmer und etwas sicherer gestalten. Neben einem nicht zu brettharten Rahmen und einer gemäßigt sportlichen Sitzposition sind es vor allem die Platzierungspunkte für Flaschen und Taschen, die ein Gravel zum Reiserad machen. Gewinde für wie die oben an der Gabel des Grizl findet man z. B.:
Für viele kaufentscheidend ist die Schaltung, dabei ist die einer der unwichtigeren Aspekte. Drei Testbikes waren mit moderner, elektronischer Schaltung ausgestattet, die Akkubetriebenen Stellwerke mit kleinem, kräftigem Servomotor schalten sehr schnell und präzise und verstellen sich auf Dauer kaum. Dafür kosten sie mehr und müssen natürlich ab und an geladen werden.
Crossweltmeister Kluge ist völlig überzeugt von der Technik, Einschränkungen an Gravelbikes wegen des Schmutzes gebe es seiner Erfahrung nach überhaupt nicht – unserer nach auch nicht. Obwohl recht einfach zu ändern, sollte man beim Kauf viel mehr Augenmerk auf die Übersetzungen legen. Hier drei Top-Tipps:
Der Begriff “Dropbar” trifft die Bauweise bzw. Lenkerform besser als der deutsche Terminus “Rennlenker”. Auch wenn der nach unten gekrümmte Lenkerbügel bis vor Kurzem tatsächlich eher Rennrädern vorbehalten war, gibt es doch einige Gründe, ihn eben nicht auf Ultraleichtbikes für möglichst schnelle Fahrten zu reduzieren. Vorher ein Mini-Glossar zum Thema Lenkerform:
Gravelbike-Lenker haben Lenkerbreiten von etwa 40 bis etwa 46 cm, im Gegensatz zu MTBs, die mit über 78 cm angeboten werden. Da Gravel aber eher sanftes Gelände bedeutet, sind solche Überbreiten nicht nötig. Und laut Mike Kluge sind diese breiten Handabstände ergonomisch kaum noch zu vertreten. Minimal breiter als die Schultern – das sei der Konsens aus ausreichend Kontrolle, Stützergonomie und Aerodynamik, so der Experte. Dass sich der Dropbar mit teils extremen Flares so durchsetze, verstehe er auch nicht. An den Unterlenker gehe man doch, um windschnittig zu sein, dem wirke man damit ja entgegen. Bei harten Abfahrten sei der Unterlenker aber zu tief. Um Überschläge zu vermeiden, greife man dann eh wieder an den (schmaleren) oberen Teil.
Wer sich eine Gitarre kauft, kann noch lange nicht spielen, und selbst mit dem besten Bike aus jeder Testkategorie kann man Fehler machen. Das ist auch nicht schlimm, die Räder sind robust genug, um auch mal auf die Seite zu fallen. Um aber dem Fahrer möglichst jeden Crash zu ersparen, hier vier Techniktipps, ausgeklügelt mit Profiunterstützung: