Nachhaltigkeit ist ein Thema, das die Fahrrad-Branche in den nächsten Jahren stark prägen wird. Mountainbiken an sich ist zwar auch heute schon umweltfreundlich, bei der Produktion und dem Vertrieb von Bikes gibt es aber noch Potenzial in Sachen Nachhaltigkeit. Gemeinsam mit Partnern aus der Branche wollen wir uns mit unserem RIDE GREEN-Projekt dem komplexen Thema Nachhaltigkeit annähern und haben deshalb einen Workshop mit den Öko-Profis der Cradle to Cradle NGO organisiert. Das Thema: Was sind die wirklich wichtigen Punkte, wenn die Fahrrad-Branche nachhaltiger werden will? Die Inhalte aus dem zweitägigen Workshop haben wir in BIKE 7/21 – ab 1. Juni im Handel – aufbereitet. So viel können wir aber an dieser Stelle schon verraten: Ein zentraler Punkt dreht sich um die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft.
Bikes und Teile würden in so einem Wirtschaftssystem nach einem Lebenszyklus nicht verschrottet, sondern gehen wieder zum Hersteller zurück. Dieser checkt den Zustand des Bikes, führt defekte Teile dem Recycling zu und bereitet den Rest wieder so auf, dass er ein weiteres Mal in Umlauf gebracht werden kann. Grob gesagt, geht es darum, wie man die Lebensdauer von Fahrrädern und Teilen nach ihrem Erstgebrauch über einen strukturierten Gebrauchtmarkt verlängern könnte. Erik Bronsvoort hat genau das versucht. Er hat 2018 den "Circular Cycling" Bikeshop in Utrecht (Niederlande) eröffnet. Das Konzept: Gebrauchte Räder ankaufen, zerlegen, technisch und optisch einwandfrei aufbereiten und wieder verkaufen. Doch der Versuch, Bikes im großen Stil ein zweites Leben zu schenken, ist gescheitert. Zu viele unterschiedliche Standards bei den Anbauteilen und ein zu großer Zeitaufwand beim Wiederaufbereiten der Bikes haben das Geschäft unter aktuellen Vorraussetzungen unattraktiv gemacht. Weil Erik aber nach wie vor an die Vorzüge einer Kreislaufwirtschaft glaubt, hat er ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben. Im folgenden Auszug aus dem Buch erklärt er, warum die Kreislaufwirtschaft ein überlegenes Konzept ist und wieso ein solches System mit aktuellen Rädern doch nicht umsetzbar ist.
Dieser Text wurde aus dem Buch „Circular Revolution“ ins Deutsche übersetzt und stammt urspünglich von Erik Bronsvoort. Der Circular Cycling Shop hat hauptsächlich mit Rennrädern gehandelt.
„Im Jahr 2018 eröffneten wir (Anm. d. Red. Erik Bronsvoort und Matthijs Gerrits) Circular Cycling. Einen kleinen Laden in der Stadt Utrecht mitten im Herzen der Niederlande. Unser Konzept: Wir wollten gebrauchte Räder und Teile ankaufen und aufbereiten, um sie als sogenannte UpCycles wieder zu verkaufen. Einfach gesagt: Wir bauten neue Fahrräder aus gebrauchten Teilen. Zum einen wollten wir damit Geld verdienen, vor allem hat es uns aber auch gereizt, zu testen, wie zirkuläre Geschäftsmodelle für die Fahrradindustrie funktionieren könnten.
Wir hatten im Vorfeld viel Zeit investiert, um herauszufinden, wie wir mit unseren begrenzten Ressourcen, am besten einen Bike-Shop gründen konnten. Wir kombinierten unsere Erfahrungen mit den Themen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft in der Bauindustrie (Anm. d. Red. Erik arbeitete zuvor in der Baubranche) und unser Insider-Wissen aus der Fahrradindustrie (Anm. d. Red. Matthijs war IT-Manager bei einem Radsport-Großhändler), um herauszufinden, wie ein kreislauffähiges Geschäftsmodell mit Fahrrädern am besten funktionieren würde. Wir lasen viele Bücher und Websites, nahmen an einem CIRCO-Training zum Thema Kreislaufwirtschaft teil und meldeten uns bei der Climate-KIC-Initiative für nachhaltige Start-ups an.
Bei all diesen Schritten wurde uns schnell klar, dass wir uns mit unserem speziellen Geschäftsmodell auf ein bestimmtes Marktsegment konzentrieren müssen. Wir entschieden uns deshalb, unser Angebot nicht auf "Fahrradfreaks" und leistungsorientierte Biker auszurichten. Beide Gruppen etablierten sich zwar schnell als gute Lieferanten für gebrauchte Bikes und Teile, legten aber einen sehr großen Wert auf die neueste Technologie. Gebrauchte Bikes waren für sie keine Option. Das Gute am Fahrradmarkt: Auch ohne die Hardcore-Biker ist der Absatzmarkt immer noch riesig. Schließlich fahren die meisten Leute ihr Bike zum Spaß, ohne ein übermäßiges Interesse an der neuesten Technologie zu haben. Diese genuss- oder alltagsorientierten Radler sollten unsere Zielgruppe werden.
Außerdem haben wir schon im Vorfeld unserer Ladeneröffnung festgestellt: Immer mehr Radfahrer legen nicht nur Wert auf nachhaltige, sondern vor allem auch auf zuverlässige Produkte. Um diesen Bedürfnissen gerecht zu werden, brauchten unsere Fahrräder also nicht nur einen attraktiven Preis, sondern auch ein vergleichbares Garantieversprechen wie neue Bikes. Nur so könnten unsere Upcycling-Räder mit neuen Fahrrädern in einem Preisbereich von etwa 1500 Euro konkurrieren. Und natürlich muss das Marketing passen. Die gebrauchten UpCycles müssen mit einer guten Geschichte daherkommen, damit die Käufer bei ihrer nächsten Ausfahrt mit den Kumples auch davon schwärmen konnten. Wir gaben deshalb jedem Bike, das wir verkauften, einen einzigartigen Namen und damit eine Identität. So wollten wir eine emotionale Bindung zwischen dem Fahrer und dem UpCycle fördern. Wir hatten uns also im Vorfeld schon einige Gedanken gemacht, um das Risiko unseres Shops so gering wie möglich zu halten.
Die gebrauchten Rahmen und Teile für die UpCycles haben uns manche Biker einfach geschenkt oder wir haben sie von Radfahrern, Geschäften und Händlern gekauft. Fast jeder Biker oder Bike-Shop hat eine Kiste mit Teilen, die zu gut sind, um sie wegzuwerfen, aber irgendwie auch nicht mehr gebraucht werden. Und genau diese Kisten waren unsere Goldgruben. Einige Teile in ihnen waren neu, manche gebraucht, aber in gutem Zustand. Einige waren aber auch einfach defekt und deshalb nicht mehr zu gebrauchen. Wir nahmen, was wir bekamen. Denn günstig an gebrauchte Teile zu kommen, war ein essenzieller Punkt unseres Geschäftsmodells. Außerdem wussten wir von Anfang an, dass die zweite große Herausforderung darin bestand, die Arbeitskosten niedrig zu halten, um letztendlich einen Gewinn mit unserem Geschäft machen zu können.
Unser Upcycle-Prozess sah wie folgt aus: Wir nahmen alle gebrauchten Fahrräder, die wir bekamen, komplett auseinander, um die einzelnen Komponenten auf ihre Qualität zu prüfen. Das Zerlegen eines Fahrrads ist im Handumdrehen erledigt und hat zwei Vorteile. Es erleichtert die Qualitätskontrolle und, was ebenso wichtig ist, es ermöglichte uns, Teile aus verschiedenen Quellen zu kombinieren. Uns war es extrem wichtig, dass jedes Fahrrad, das wir zusammenbauten, so gut funktionieren würde, dass wir es auch selbst fahren würden. Außerdem erhielt jedes UpCycle einen Online-Fahrradpass. Neben Fotos und einer detaillierten Beschreibung aller am Fahrrad verwendeten Teile (für eine leichte Wiederbeschaffung) progonstizierten wir darin die verbleibende Lebensdauer der Bikes.
Um Fahrqualität und Sicherheit zu garantieren, wurde jedes UpCycle mit modernen Top-End-Reifen, neuen Brems-/Schaltzügen, einem neuen Kompaktlenker und neuem Lenkerband ausgestattet. Alle anderen Teile, wie der Antriebsstrang, wurden nur dann durch neue Teile ersetzt, wenn wir keine gebrauchten Alternativen mit ausreichender Restlebensdauer zur Verfügung hatten.
Jedes Rad, das unseren Laden verließ, fühlte sich wie neu an. Ehemalige Topmodelle, die neu für den Preis eines Mittelklasse-Neuwagens verkauft wurden, stellten sich als exzellente UpCycles heraus. Denn sie zauberten selbst im gebrauchten Zustand jedem Fahrradkenner ein Lächeln ins Gesicht. Aber das half uns unterm Strich nicht weiter. Wie bei jedem Start-up brauchten auch wir einige Versuche, um herauszufinden, was wirklich funktioniert und was nicht. Und nach zwei Jahren haben wir herausgefunden, dass unser schönes UpCycle-Konzept für uns wirtschaftlich nicht funktioniert.
1. Es dauert zu lange, ein gebrauchtes Bike wieder aufzubereiten.
Unser Unternehmen basierte auf der Idee, dass Fahrräder gute Beispiele für Produkte sind, die sich leicht auseinander- und wieder zusammenbauen lassen. Die Teile zwischen verschiedenen Rahmen sind austauschbar und Ersatzteile lange verfügbar. Obwohl das alles optimal für unser Geschäftsmodell klingt, war es in der Praxis extrem schwierig, den Wert eines Fahrrads durch Wartung, Wiederverwendung und Aufbereitung zu erhalten:
2. Vermarktung von gebrauchten Bikes
Wenn man als Start-up-Unternehmen mit begrenzten Mitteln ein neues Produkt auf den Markt bringen will, wird es immer schwierig sein, Kunden zu erreichen. Wir haben festgestellt, dass Online-Werbung für ein neues Marktsegment wie aufbereitete Fahrräder kompliziert ist. Kaum jemand verwendet Schlüsselwörter wie "nachhaltiges Fahrrad" oder "generalüberholtes Fahrrad" in Online-Suchmaschinen. Es war einfach, das Google-Ranking für diese Begriffe anzuführen, aber sie generierten leider auch kaum zusätzlichen Traffic auf unserer Website. Wir testeten deshalb die Suchbegriffe 'Second Hand' und 'Discount Bike'. Diese generierten deutlich mehr Traffic auf unserer Webseite, jedoch blieben die Umsätze im Keller. Es stellte sich heraus, dass unsere UpCycles nicht das waren, wonach die Leute suchten: Sie waren entweder zu teuer für ein gebrauchtes Fahrrad oder zu alt für Biker, die nach Auslaufmodellen der aktuellen Saison schauten. Im Vergleich zu großen Marken hatten wir sehr begrenzte Marketingbudgets und keine Social-Media-Kanäle mit großen Follower-Zahlen. Kurzum: Es war extrem schwer, die nötige Bekanntheit für unser Produkt zu erzeugen.
3. Aktuelle Designtrends verschlechtern die Kompatibilität von Fahrradteilen
Trotz dieser Schwierigkeiten wuchs unser Geschäft langsam. Als eine große Investition anstand, um unser Unternehmen zu vergrößern, überprüften wir die Annahmen aus unserem ursprünglichen Businessplan noch einmal sorgfältig. Ein Trend entwickelte sich schneller und umfassender in der Branche, als wir es ursprünglich erwartet hätten: Die Systemintegration. Lenker-Vorbau-Einheiten, integrierte Sattelstützen und im Rahmeninneren verlegte Zügen gehören bei neuen Bikes zum guten Ton. Die Einführung der Scheibenbremse am Rennrad, all die verschiedenen Steckachsen und die neuen 12-fach kompatiblen Freiläufe ließen die Standardvielfalt am Fahrrad in den letzten Jahren explodieren. Obwohl wir zuversichtlich waren, dass diese Details für unsere Zielgruppe nicht allzu wichtig sein würden, machten sie uns dennoch das Leben schwer. Denn unser Geschäft mit aufbereiteten Bikes basierte auf der Idee, dass Fahrräder aus austauschbaren Teilen bestehen. So wie sich die Branche entwickelt, ist das aber immer seltener der Fall. Wir kamen also zum dem Schluss, dass wir zukünftig ein immer größeres Warenlager brauchen würden, um gebrauchte Räder so aufzubreiten, dass man sie auch guten Gewissens wieder verkaufen konnte. Und das war dann irgendwann nicht mehr wirtschaftlich.
Das waren die Hauptgründe, warum wir uns dazu entschlossen, den Bau unserer UpCycles einzustellen. Aktuelle Bikes sind einfach nicht dafür gemacht, im großen Stil wieder aufbereitet und gebraucht verkauft zu werden. Unser Versuch hat ganz deutlich gezeigt, dass lineare Produkte nur bedingt für zirkuläre Geschäftsmodelle verwendbar sind. Aber dennoch gab es auch einige positive Aspekte, die wir während der Zeit in unserem Circular Cycling Bike-Shop gelernt haben.