Die Geschichte dieses E-Bikes geht so: Als schnellster deutscher Enduro-Pilot versucht sich Christian Textor vor einigen Jahren auch mal an der E-Version des Enduro-Worldcups - hier die Reportage dazu. Allerdings: Die E-MTBs des damaligen Hauptsponsors Bulls sind kaum auf so einen extremen Einsatz abgestimmt. Das Feedback des Racers stößt also die Entwicklung eines neuen Race-Enduros an. Kompromisslos gemacht für maximalen Speed bergab, so die Entwickler.
“Texi” fährt mittlerweile seit zwei Jahren nicht mehr für Bulls, sondern für YT. Doch das von seinem Feedback inspirierte Bike hat es nun auch in die Serie geschafft. Das ist insofern ungewöhnlich, als dass sich Bulls als Bike-Marke des Fachhandelsverbands ZEG sonst eher Rädern für die breite Masse und nicht Spitzensportlern verpflichtet sieht. Doch wie steht’s auf dem Trail ums Bulls Sonic EN-R? Ist das Bike ein reiner Extremo für Racer oder macht es auch für Normalsterbliche eine gute Figur?
Als eines der ersten Bikes mit dem neuen Bosch CX-Motor war das Sonic EN-R auch schon auf der Eurobike zu sehen. Damals durfte zum Motor aber noch nichts Genaues verraten werden. Mittlerweile wissen wir: Der neue Bosch Performance Line CX bietet wie sein Vorgänger 600 Watt und 85 Newtonmeter in der Spitze. Das Fahrgefühl konnte gegenüber dem Vorgänger aber nochmal spürbar verbessert werden. Außerdem klappert der Motor bergab nicht mehr. Gerade Letzteres kann man als Abfahrts-Fan als großen Fortschritt verbuchen.
Im Bosch-System stehen zwei Akkus zur Wahl. Ein großer 800er bietet maximale Reichweite und wiegt rund vier Kilogramm. Zugunsten bestmöglicher Fahreigenschaften entscheidet sich Bulls beim Sonic EN-R aber für den kleineren 600er (drei Kilogramm), der seitlich aus dem Rahmen entnommen werden kann. Um die Reichweite muss man sich trotz kleiner Batterie keine allzu großen Sorgen machen. In unseren ersten Tests mit dem neuen 600er schaffte der neue Bosch fast 1800 Höhenmeter unter Volllast. Damit übertrumpft der neue Bosch selbst mit der nominell kleinen Batterie die meisten Akkus anderer Hersteller mit um 720 Wattstunden. Bedient wird das Bosch-System mit der minimalistischen Kombination aus Mini-Remote und System-Controller. Ein Display ist beim Sonic EN-R nicht an Bord, auf Wunsch kann man beim Serienbike aber ein induktiv geladenes Smartphone mit der Bosch-App als Screen nutzen.
Bei Bulls will man das Sonic EN-R als kompromisslosen Racer verstanden wissen. Ob sich das auch in der Geometrie widerspiegelt? Nur zum Teil, denn in manchen Werten wie dem durch das Stützen-Setback abgeflachten Sitzwinkel und dem Reach bleibt das Sonic EN-R recht gemäßigt. In anderen wirken die Abmessung des Bikes schlicht ungewöhnlich. Vor allem der niedrige Stack in Kombination mit der tiefen Lenker-Vorbau-Einheit fällt hier auf.
Die Besonderheit am Bulls ist vor allem die durch zwei Verstellmöglichkeiten stark anpassbare Geometrie. Über einen Slider unter dem Oberrohr kann die vordere Dämpferaufnahme in drei Positionen fixiert werden. Dadurch ergeben sich starke Veränderungen von Lenk- über Sitzwinkel, Reach, Stack und Kettenstrebenlänge. Vereinfacht gesagt: Steil und länger im Reach mit kurzen Kettenstreben für flache, langsame Kurse und länger und flacher für steile und schnelle Strecken. Die Mittelposition soll einen ausgewogenen Kompromiss bieten.
Zusätzlich lässt sich der Federweg durch zwei Flipchips in der Dämpferwippe von 160 auf 145 Millimeter reduzieren. Dadurch ergeben sich nur minimale Änderungen in der Geometrie, vor allem die Kletterperformance soll aber durch den kürzeren Hub profitieren. Im Gegensatz zur schnell verstellbaren Geo-Anpassung mit dem Slider ist der Umbau auf den kürzeren Hub aber aufwändig und daher auf dem Trail nur in Ausnahmefällen praktikabel.
Die Parts an der Topausstattung EN-R Team passen zum Einsatzzweck. Bei Fahrwerk und Schaltung verbaut Bulls Top-Komponenten von Sram und der Tochtermarke Rockshox. Geschaltet wird mit der XX-Transmission inklusive passender Carbon-Kurbeln. In der Front arbeitet einen Zeb Ultimate mit 170 Millimetern Hub. Die 160 Millimeter im Heck verwaltet der Vivid-Ultimate-Dämpfer. Auch die Eightpins-Stütze mit satten 220 Millimetern Hub stammt aus dem ganz oberen Regal. Bei den Laufrädern lässt Bulls mit den Deemax SL aus Alu in Sachen Wertigkeit noch etwas Luft nach oben. Gerade für das Fahrgefühl bergab dürfte mancher die Entscheidung gegen Carbon aber begrüßen. Schwalbes Tacky Chan in der weichen Ultrasoft-Mischung vorne rundet die Ausstattung ab.
Ein kompromissloses Race-Enduro für den Einsatz im E-Worldcup? Wer die Strecken kennt, auf denen die Profi-Athleten hier unterwegs sind, hat sofort ein klares Bild vor Augen. Supersteile Uphills verlangen nach radikalen Sitzwinkeln und langen Kettenstreben. Für lange und schnelle Abfahrten setzen viele Racer auf einen langen Reach und hohen Stack in Verbindung mit sehr flachen Lenkwinkeln. Das sorgt für viel Speed bergab, bringt im Alltag aber oft wenig Fahrspaß.
Entsprechend überrascht kann man sein, wenn man das Bein über das Bulls Sonic EN-R schwingt. Denn ganz radikal fällt der Ansatz beim neuen Bulls (zum Glück!) dann doch nicht aus. Der Sitzwinkel wird durch das starke Setback der Eightpins-Stütze zu einer moderat tourigen Position entschärft. In Kombination mit der tiefen Front sitzt man eher etwas sportlich langgestreckt auf dem Bike. Im Uphill liefert der Hinterbau massig Traktion. In Kombination mit dem neuen Bosch-Motor ist ein durchrutschendes Hinterrad so nur ganz selten ein Problem.
Allerdings: Der Rennrad-ähnliche Sattel wirkt schon im Flachen unpassend und bietet in steilen Rampen kaum Halt nach hinten. In Steilstücken wird außerdem die Front zu schnell leicht. Das ist witzig für Könner, um im Power-Wheelie aus engen Ecken zu beschleunigen. Für Uphill-Challenges à la Enduro Worldcup aber alles andere als ideal. Immerhin: Stellt man die Geometrie auf steil, wird das Bulls Sonic EN-R bergauf etwas kontrollierbarer und die Lenkung kippt weniger ab. Der Grundcharakter jedoch bleibt: Einfach Aufsitzen und auch steilste Uphills locker hinauftreckern - das geht mit dem Bulls einfach nicht.
Bergab blüht das Sonic EN-R dafür umso mehr auf. Der toll abgestimmte Hinterbau vermeidet lahmes Staubsauger-Feeling, tastet den Untergrund aber sensibel ab und bietet massive Reserven. Wer will, kann über die umfangreichen Dämpfereinstellungen, von High- und Lowspeed Druckstufe bis zum Hydraulic-Bottom-Out auch noch viel feintunen. Genau so wünschen wir uns das an einem Enduro! Mit seinen knapp 22 Kilogramm bleibt das Bulls bergab außerdem wendig und leichtfüßig und vermittelt trotzdem viel Sicherheit auf ruppigen Geraden.
Lob gibt’s hier auch für den Slider zur Geo-Verstellung. Nur die zwei Schrauben eine knappe Umdrehung lösen, Slider verschieben und wieder festziehen. Der Wechsel zwischen den drei Positionen ist mit dem unter dem Oberrohr integrierten Tool im Handumdrehen gemacht und bringt spürbare Änderungen bei den Fahreigenschaften. Die Bandbreite liegt dabei zwischen extrem progressiv (superflacher Lenkwinkel!) für schnelle Strecken bis hin zu gutmütig und handlich für langsamere und flache Tracks.
Das Bulls ist außerdem richtig leise. Schon bergauf säuselt der Motor nur dezent vor sich hin. Bergab hört man statt Motor, Akku, Kette oder Zügen nur das Flubbern der Reifen. Kleinere Kritikpunkte: Der Tacky-Chan-Reifen an der Front zeigt schon Verschleiß-Erscheinungen und konnte uns in Sachen Traktion nicht ganz überzeugen. Mit spitzem Grenzbereich vermittelt er wenig Vertrauen. Am Heck sollten schnelle Fahrer beim E-Enduro über die pannensichere Supergravity- statt der Supertrail-Karkasse nachdenken. Und das Carbon-Cockpit (780 mm) mit wenig Rise empfanden wir als nicht ideal. Gerade in steilen Abfahrten fehlt es durch die tiefe Front an Sicherheitsgefühl. Ergonomische Anpassungen sind wegen der integrierten Lösung nicht ohne größeren Aufwand möglich. Unser Tipp: 800 Millimeter Lenkerbreite und 25 bis 30 Millimeter Rise würden dem sonst gelungenen Bike deutlich besser stehen.
Das neue Bulls Sonic EN-R ist teuer, aber ein echtes Top-Bike! Leicht, fahrstark und leise. Gerade das Fahrwerk hat uns begeistert. Die tiefe Lenker-Vorbau-Einheit ist allerdings Geschmackssache und in richtig steilen Uphills fehlt es an Souveränität. Fahrspaß bergab wird beim Bulls dafür groß geschrieben.