Florentin Vesenbeckh
· 31.03.2023
Was passiert, wenn man ein Carbon-Bike mit herausstechendem Preis-Leistungsverhältnis auf einen Alu-Rahmen downsized? Im Fall des neuen Render AL von Radon entsteht ein fast schon unverschämt günstiges E-Fully-Paket. Schon die Carbon-Modelle, wie das Render 10.0 750, konnten mit starker Ausstattung zum fairen Preis in unseren EMTB-Tests punkten. Mit den Alu-Modellen dreht Radon die Kostenschraube noch mal deutlich herunter. 3999 Euro kostet das Einstiegsmodell Render AL 7.0 mit Bosch Smartsystem und 750er-Akku. Ein Blick auf den Markt zeigt, wie einzigartig diese Kombi ist. Geometrie und Charakter bleiben beim Render AL vergleichbar mit dem Carbon-Modell. Auch die Details wie die Akku-Integration und Zugführung erbt das Alu-Bike von der Kohlefaser-Verwandtschaft.
Geometrie und Federungskinematik hat Radon beim Alu-Modell von den bekannten Carbon-Modellen übernommen. Die Kettenstreben des 29er-Bikes sind mit 459 mm recht lang, der Reach beträgt in Größe L gemäßigte 465 mm. Mit einer eher flachen Front hat das Bike einen sportlichen Charakter. Der Lenkwinkel beträgt 65,1 Grad, der Sitzwinkel 75,1 Grad. Auch der Radstand vermeidet mit 1254 mm in Größe L Extremmaße. Die 150er-Gabel im Modell Render AL 8.0 bringt einen etwas steileren Lenk- und Sitzwinkel. Das hilft beim Klettern und macht das Rad bergab etwas handlicher, was dem Render unserer Erfahrung nach gut zu Gesicht steht.
Zwei Varianten gibt´s vom neuen Alu-Render. Das Radon Render AL 7.0 kostet 3999 Euro und geht beim Antrieb bereits in die Vollen. Bosch Smartsystem mit 750er-Powertube und Kiox300-Display. Das Fahrwerk stammt von Rockshox: 35 Silver R Gabel (160 mm Federweg) und Deluxe Select-Dämpfer. Geschaltet wird mit Srams SX Eagle, gebremst mit Magura MT5 Thirty mit Vierkolbensattel vorne und zwei Kolben hinten. Beide Ausstattungsvarianten rollen auf der Maxxis-Reifenkombi aus DHR II und DHF mit EXO-Karkasse.
Für 4399 Euro geht das Radon Render AL 8.0 über die virtuelle Ladentheke des Bonner Direktversenders. Hier federt eine Marzocchi Bomber Z2 mit 150 Millimetern an der Front und ein Fox Float Performance-Dämpfer am Heck. Die Schaltung fällt mit Srams NX Eagle eine Variante hochwertiger aus. Auch die Systemlaufräder Sunringle Düroc 37 sind ein Update zum Einstiegsmodell.
Radon liefert mit dem Render AL weder technische Innovationen, noch konstruktive Highlights. Die Bonner setzen auf bewährte Technik. Trotzdem sticht das Bike positiv heraus. Denn die Ausstattung, die Radon für diesen Preis anbietet, ist herausragend. Als Testleiter fürs EMTB Magazin welze ich täglich virtuelle Kataloge und stöbere in Preis- und Ausstattungslisten. Vergleichbare Pakete sind teils weit über 1000 Euro teurer. Auch wenn 4000 Euro eine Menge Geld sind - dieses Angebot ist wirklich top!
Bosch Performance CX mit Smart-System und dickem 750er-Powertube – mehr geht nicht. In dieser Hinsicht ist das Render AL auf Augenhöhe mit den doppelt so teuren Highend-Bikes, die wir in unserer Ausgabe EMTB 4/2023 getestet haben. Das findet man in dieser Preisklasse sonst kaum. Damit haben Käufer die super spritzige Kraftentfaltung, die gute Modulation und sehr starke Reichweite des Bosch Performance CX an Bord. Gerade in technischen Uphills setzt das Bosch-System die Benchmark, auch die maximale Leistung ist absolut top. Außerdem gilt die Bosch-Elektronik als besonders zuverlässig.
Ebenfalls erstaunlich hochwertig: die Ausstattung. Ordentliche Bereifung, gute Bremsen, und sogar das Fahrwerk fällt wertig aus. Offensichtlichstes Manko des günstigen Render: das Gewicht. Der Alu-Rahmen, der dicke Akku und die Komponenten summieren sich zu 26 Kilo Gesamtgewicht. Das ist klar über dem Durchschnitt aktueller Power-E-MTBs mit vergleichbarem Akku und Federweg. Auch das Laufradgewicht fällt hoch aus. Wer höchste Ansprüche an die Fahrdynamik hat, muss hier Abstriche machen. Denn das hohe Gewicht ist im Handling spürbar.
Weitere Auffälligkeit: Die Geometrie hat der Bonner Versender eins zu eins vom Carbon-Modell kopiert – und das hat schon einige Jahre auf dem Buckel. Mit modernen Highend-Bikes kann der Alu-Flitzer nicht mehr so richtig mithalten. Auf gemäßigten Touren ist die sportliche Sitzposition angenehm. Doch in steilen Uphills sitzt man weit hinten im Bike und muss aktiv zu Werke gehen, um die Front zu kontrollieren. Dennoch klettert das Bike in Summe gut - nicht zuletzt dank des starken Bosch-Aggregats.
Bergab zieht das Render AL zielstrebig seine Bahnen und macht einiges mit. Doch sowohl die Nehmerqualitäten auf ruppigen Abfahrten als auch die Agilität auf flachen Trails sind limitiert. Gut: Die fluffige Marzocchi-Gabel ebnet Wurzeln und Hindernisse komfortabel ein. Das gibt Vertrauen. Die eher straffe Heckfederung kann dem Komfort der Front allerdings nicht folgen. Das macht das Fahrwerk etwas unharmonisch. Dennoch: Vor Abstechern auf seriöse Trails muss man sich nicht scheuen. Die lange Geometrie vermittelt ausreichend Sicherheit, und die Ausstattung bringt ebenfalls Reserven.
In Sachen Antriebssystem und Ausstattung ist das Render AL 8.0 in seiner Preisklasse nahezu ohne Konkurrenz. So verpasst das Bike nur knapp das Testurteil Sehr Gut, das ist absolut beachtlich für diesen Preis. Auch im Gelände schlägt sich das Bike sehr ordentlich. Wer höchste Ansprüche an Trail-Handling und Geländetauglichkeit stellt, muss allerdings deutlich tiefer in die Tasche greifen. Denn hier kann das Render AL nicht ganz mit aktuellen Highend-E-MTBs mithalten. Ein Preis-Tipp bleibt das Bike aber auch für Biker mit Trail-Vorlieben.
¹Die Reichhöhe wurde bei standardisierten Messfahrten an einem Asphaltanstieg mit 12,2 Prozent Steigung ermittelt. Höchste Unterstützungsstufe, 150 Watt Tretleistung des Fahrers, Fahrergewicht inkl. Ausrüstung 89 kg. In Klammern die Höhenmeter im deutlich gedrosselten Notlauf-Modus. Die Durchschnittsgeschwindigkeit bezieht sich auf die Fahrt bei voller Unterstützung.
²Ermittelt auf den Prüfständen im EMTB-Testlabor, Gewicht ohne Pedale. Akku-Gewicht ggf. inkl. verschraubtem Cover.
³Herstellerangabe
⁴Stufentest, gemessen mit 36 Zentimeter erhöhtem Hinterrad
⁵Das Urteil gibt den subjektiven Eindruck der Tester und die Ergebnisse der Reichhöhenmessung und der Labortests wieder. Das EMTB-Urteil ist preisunabhängig. EMTB-Urteile: super (ab 9,0), sehr gut (ab 8,0), gut (ab 7,0), befriedigend (ab 6,0), mit Schwächen (ab 5,0), darunter ungenügend.