Ludwig Döhl
, Stefan Loibl
· 17.05.2021
Nino Schurters Dominanz der letzten Jahre ist gebrochen. Kurz vor den Olympischen Spielen setzen plötzlich andere Fahrer die Akzente im Mountainbike-Worldcup. Auch bei den Damen haben sich die Machtverhältnisse im Feld verändert.
Schluss mit der Monotonie! Die vergangenen Cross-Country-Worldcups in Albstadt und Nove Mesto haben klar gemacht: 2021 wird ein verdammt spannendes Jahr für den Cross-Country-Rennsport. Denn ausgerechnet im Jahr der Olympischen Spiele gehen die ersten Woldcup-Siege an Typen, die vor der Corona-bedingten Rennpause 2020 noch niemand so richtig auf dem Schirm hatte. Während Nino Schurter noch nicht in Bestform ist, setzen Thomas Pidcock (21), Victor Koretzky (27) und bei den Damen Loana Lecomte (21) Achtungserfolge bei den ersten Worldcups. Mitfavorit und Radsport-Superstar Mathieu van der Poel, liefert jeweils eine solide Leistung ab, kann aber lediglich die Short-Track-Rennen und nicht das olympische Cross-Country-Format für sich entscheiden. Aus Sicht des gehypten Superstars mit Sicherheit eine Niederlage. Bei genauerer Betrachtung des Renngeschehens wird klar: Die Favoritenrollen im Mountainbike-Rennsport werden neu verteilt und eine Generation ganz junger Fahrer hat keine Hemmungen, sich dabei zu behaupten.
Rückblickend betrachtet war der Mercedes-Benz UCI Mountainbike-Worldcup der Männer in der letzten Dekade von ganz wenigen Namen geprägt. Julien Absalon, Jaroslav Kulhavy und Nino Schurter haben die Siege in den meisten Fällen unter sich ausgemacht. Doch diese Zeiten sind vorbei. Kulhavy und Absalon haben sich längst zur Ruhe gesetzt und Nino Schurters Position auf dem Thron der Cross-Country-Elite wackelt. Und zwar gewaltig. Absolut betrachtet ist Nino Schurter immer noch der erfolgreichste Cross-Country-Worldcup-Fahrer aller Zeiten. Keine Frage. Doch es scheint so, als reichen der Ruhm und die Erfahrung des 35-Jährigen nicht mehr aus, um auch im Jahr 2021 noch Worldcup-Rennen zu gewinnen. Die ersten Rennen der Saison 2021 haben gezeigt: Eine Generation junger Fahrer will sich nicht länger von König Schurter regieren lassen. In Albstadt verlor er im Sprint gegen Koretzky. In Nove Mesto landete der Europameister Schurter nur auf Rang sieben, während Tom Pidcock seinen ersten Elite-Worldcup gewann. Auch bei den Damen hatten ehemalige Top-Favoritinnen wie Jolanda Neff, Pauline Ferrand-Prévot oder Kate Courtney keine Chance auf den Sieg.
Eins ist offensichtlich: Der Kreis der Favoriten, die einen Worldcup oder das Olympia-Rennen gewinnen können, ist über den Winter deutlich größer geworden. Victor Koretzky, Nino Schurter, Matthias Flückiger, Ondrje Cink, Thomas Pidcock und Mathieu van der Poel sind in dieser Saison die Namen, die man auf dem Schirm haben muss. Der aktuelle Weltmeister Jordan Sarrou und der Neuseeländer Anton Cooper waren beim Worldcup-Auftakt zumindest noch in Schlagweite. Eines ist bei der Auflistung dieser Favoriten nicht von der Hand zu weisen. Die dominierenden Fahrer in Nove Mesto betreiben den Mountainbike-Sport quasi im Nebenerwerb. Pidcock und van der Poel mischten bis kurz vor den ersten MTB-Worldcups noch das Peloton bei den Frühjahrsklassikern auf der Straße ordentlich auf. Van der Poel gewann den Strade Bianche und wurde bei der prestigeträchtigen Flandern-Rundfahrt Zweiter, Pidcock holte beim Amstel Gold Race hauchdünn den Silberrang. Beide haben gut dotierte Verträge im deutlich besser bezahlten Straßenradsport und dennoch können sie es nicht lassen, sich mit den Mountainbikern im Dreck zu wühlen. Ondrje Cink hat nach einer Tour de France-Teilnahme 2017 seine Straßenkarriere wieder an den Nagel gehängt und ist wieder vollkommen ins Lager der Mountainbiker gewechselt. Bei Cink ist die Sache klar geregelt, aber warum tanzen die beiden Top-Favoriten van der Poel und Pidcock auf zwei Hochzeiten, wo sie doch auf der Straße locker das Doppelte verdienen könnten?
Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist die Chance, auf dem Mountainbike eine olympische Medaille zu holen, deutlich größer als auf der Straße. Taktische Rennverläufe und starke Mannschaften haben im Straßenradsport eine so große Rolle, dass nicht immer sicher ist, dass auch der stärkste Fahrer gewinnt. Zum anderen scheint es, als hätten van der Poel und Pidcock einfach mehr Spaß beim Biken als beim Rennradfahren. Nach seinem Sieg in Nove Mesto sagte der 21-jährige Brite den Satz „i was born for mountain biking“ in die Kameras der Journalisten. Es macht den Eindruck, als fahre er nur Straßenrennen, um Geld zu verdienen. Sein Herz aber schlägt fürs Mountainbiken. Bei van der Poel könnte man eine ähnliche Interessenslage vermuten, auch wenn sich der abgebrühte Profi nicht derart tief in die Karten schauen lässt wie der junge Pidcock. Übrigens: Im Winter, wenn Fahrer wie Schurter an ihrer Grundlage arbeiten, duellieren sich van der Poel und Pidcock zusätzlich noch bei Cross-Rennen. Zusammen mit Wout van Aert repräsentieren Pidcock und van der Poel eine Generation Radsportler, die sich nicht auf eine Disziplin festlegen wollen. Dass dieser Spagat zwischen den beiden Disziplinen nicht leicht ist, musste van der Poel in der Vergangenheit am eigenen Leib erfahren. Nachdem er den Sommer 2019 auf dem Mountainbike verbrachte, erlitt er im Herbst deselben Jahres beim Versuch Straßenweltmeister zu werden, eine bittere Niederlage. Vor den Olympischen Spielen in Tokio will er noch bei der Tour de France an den Start gehen, spielt aber laut Medienberichten schon jetzt mit dem Gedanken, diese frühzeitig zu beenden, um sich für Olympia zu schonen. Die Jungs mit dem stärksten Antritt im Mountainbike-Feld (van der Poel und Pidcock) betreiben einen Balanceakt zwischen den Disziplinen und es ist nicht klar, ob sie das bis zum Startschuss in Tokio auch so durchhalten werden. Was die MTB-Saison umso spannender macht. Denn Vollblut-Biker wie Schurter, Flückiger oder Cink konzentrieren sich rein auf das olympische Mountainbike-Rennen und haben mit Sicherheit keine Lust, sich von den Teilzeit-Bikern vorführen zu lassen. Die Saison 2021 dürfte deshalb die spannendste Cross-Country-Saison seit langem werden. Schon der nächste Schlagabtausch beim Worldcup in Leogang könnte ganz anders verlaufen als der Saisonauftakt.
Während sich die Herren in Nove Mesto und Albstadt ein spannendes Rennen mit mehreren Führungswechseln und taktisch klugen Attacken lieferten, war die Sache bei den Damen schon fast eintönig. Die erst 21-jährige Französin Loana Lecomte konnte sich in den Short-Track-Rennen zwar nicht durchsetzen, dominierte dafür aber in der olympischen Disziplin Cross Country. Beeindruckend unaufgeregt fuhr sie sowohl in Albstadt als auch in Nove Mesto einen Start-Ziel-Sieg in Solomanier ein. Während die Konkurrenz bei den Interviews nach den Rennen nur ins Mikrofon hechelte, wirkte Lecomte bei der Siegerehrung, als hätte sie sich noch nicht einmal anstrengen müssen. Im Gegensatz zu den Männern steht die Favoritenrolle bei den Damen ganz klar fest. Bekannte Namen wie Jolanda Neff, Kate Courtney, Anne Terpstra oder Pauline Ferrand-Prévot werden es schwer haben, an Loana Lecomte vorbei zu kommen. Wenn Lecomte weiter so fährt wie beim Saisonauftakt, geht es für die Damen-Konkurrenz in diesem Jahr nur um Platz zwei. Erstaunlich stark präsentierte sich die 22-jährige Amerikanerin Haley Batten. Die Newcomerin im Elitefeld landete beim Cross-Country-Rennen in Albstadt und Nove Mesto jeweils auf dem Podium. Beim Short Track in Nove Mesto reichte es für die Frau mit dem explosiven Antritt sogar zum Sieg.
Aus deutscher Sicht verlief der Worldcup-Start eher durchwachsen. In Albstadt belegte das Trio Schwarzbauer, Brandl (beide Lexware), Fumic (Cannondale) die Plätze 19 bis 21. In Nove Mesto gelang Brandl im Short Track mit dem fünften Platz der Sprung auf das erweiterte Podium, dafür musste er das Hauptrennen nach einem Sturz verfrüht beenden. Manuel Fumic landete mit Rang 37 im Mittelfeld und der junge Luca Schwarzbauer (25) lag nur zwei Plätze hinter dem Routinier auf Platz 39. Noch ist die Entscheidung nicht gefallen, aber es scheint so, als dürfen Fumic und Brandl für Deutschland nach Tokio zu den Olympischen Spielen reisen. Luca Schwarzbauer und Georg Egger bleiben aller Voraussicht nach auf der Reservebank für das Olympia-Rennen. Bei den Damen sucht Elisabeth Brandau mit den Plätzen 24 (Albstadt) und 38 (Nove Mesto) noch vergeblich nach ihrer Form. Die zuletzt mit Problemen kämpfende Ronja Eibl war mit Platz 22 (Albstadt) und 18 (Nove Mesto) nur minimal stärker. Beide haben in der Vergangenheit schon bewiesen, dass sie zu deutlich mehr fähig sind, und finden bis zu den Olympischen Spielen hoffentlich wieder in ihren gewohnten Rhythmus zurück.
Sowohl bei den Herren als auch bei den Damen haben sich bisher eher unbekannte Namen die Worldcup-Siege geholt. Thomas Pidcock und Loana Lecomte waren zwar schon in der U23-Kategorie erfolgreich. Dass sie ihre ersten Elite-Rennen aber derart dominant fahren würden, war nicht zu erwarten. Bei den Herren scheint es so, als gäbe es im Jahr 2021 mehr als eine Hand voll Favoriten. Mit Schurter, Flückiger, van der Poel, Pidcock, Cink, Koretzky, Cooper und Sarrou hatten zum Saisonauftakt eine ganze Reihe von Fahrern die Form für einen Platz auf dem Podium. Der Worldcup in Leogang von 11.-13. Juni dürfte noch einmal extrem spannend werden!