Jan Timmermann
· 20.04.2024
MTB-Marathons sind der Klassiker unter den Mountainbike-Rennen. Mensch und Maschine gegen Berg und Natur. Tausende Höhenmeter in einer schönen aber rauen Berglandschaft auf dem Fahrrad zu bezwingen ist ein Unterfangen mit Erlebnis-Garantie. Erst recht, wenn das Ganze im Marathon-Rennformat stattfindet. Inzwischen gibt es hunderte Events weltweit und sogar eine eigene Marathon-Worldcup-Wertung. Rennfahrer, die diese Weltklasse-Rennen für sich entscheiden können, sind aus einem anderen Holz geschnitzt, als der durchschnittliche Normalo. Sie kennen sich in der Marathon-Szene besser aus, als jeder andere. Deshalb haben wir einige der größten Namen um ihre Tipps gebeten: Welches Rennen sollte man gefahren sein? Was waren ihre spannendsten Erlebnisse? Welche Tipps haben sie für Marathon-Biker?
Zwar ist die Dänin inzwischen aus dem aktiven Rennsport ausgestiegen, mit insgesamt fünf Weltmeistertiteln im MTB-Marathon und fünf Cape-Epic-Siegen ist sie jedoch eine Expertin, wie es keine zweite gibt.
Ich finde, dass es von jedem Marathon eine denkwürdige Anekdote gibt. Nicht nur körperlich sind Schmerzen zu erwarten, auch dem Geist wird einiges abverlangt. Im Ziel geht es mir meistens gut, weil die Anstrengungen vorbei sind. Das Leadville 100 war aber eine ganz andere Liga und sicher das härteste Rennen, das ich je gefahren bin. - Annika Langvad
Hier ist Annika Langvads Top-Fünf der Marathon-Rennen weltweit:
Beim Leadville 100 hatte ich das Gefühl härter unterwegs zu sein, als jemals zuvor. Nach dem Rennen auf über 3000 Meter Höhe fühlte es sich so an, als hätte ich mir ein Loch gegraben, aus dem es keinen Ausweg mehr gab. Ich musste mich meiner damaligen Team-Managerin voll und ganz hingeben. Sie übernahm das Denken und musste mir sagen, was ich zu tun hatte. Zum Beispiel: ‘Zieh die Socken aus. Schalt das Wasser ein. Geh unter die Dusche’ Das war sowohl erschreckend als auch befreiend. - Annika Langvad
Vor dem Rennen sollte man die jeweiligen Bedingungen, die man zu erwarten hat, genau analysieren. Manchmal kann sich die Temperatur vom frühmorgendlichen Start bis zum Finish am Nachmittag dramatisch verändern. Darauf sollte man sich mit einer guten Flüssigkeitsversorgung ab Start bereits vorbereiten. Genauso sollte man das Terrain kennenlernen und sein Equipment entsprechend wählen. Mit dem richtigen Antrieb und den richtigen Reifen wird es deutlich leichter sein, durch die finalen Stunden den Rennens zu kommen. Sein Material sollte man gut kennen. Je länger der Marathon, desto wahrscheinlicher sind technische Probleme. Man sollte darauf vorbereitet sein, alles, was auf der Strecke passiert, reparieren zu können. Üben kann man das schon zu Hause. Wer im Training bereits auf die Geräusche seines Bikes achtet, kann Defekte frühzeitig erkennen. Übung macht den Meister! Man muss zwar nicht trainieren, wie ein Profi, aber Vorbereitung ist definitiv eine gute Idee. Einen Marathon kann man auch simulieren. Dinge, wie die Nährstoff-Versorgung oder den Einsatz von Tire-Plugs sollte man üben. Im Marathon zahlt sich das dann sicher aus.
Ein paar Stunden nach dem Leadville 100 rief ich meinen Freund an. Ich musste vor Erschöpfung weinen, dann konnte ich nicht einmal mehr das. Nach einiger Zeit musste meine Team-Managerin eingreifen und sagen: ‘Es geht ihr gut, sie ist nur sehr müde!’ Heute lachen wir über diese Erinnerung. - Annika Langvad
König Karl, Kopf des Team Bulls, hat in seinem Leben bereits weit über eine halbe Millionen Kilometer auf dem Bike gesammelt. Seine Spezialität sind Etappenrennen, doch auch der Rest seiner Erfolgs-Liste liest sich, wie ein Rezeptbuch für den Legendenstatus: Sechs Mal stand er beim Cape Epic ganz oben auf dem Siegertreppchen. Die BIKE Transalp konnte Platt ganze sieben Mal für sich entscheiden. Ergänzt wird das durch je einen Welt- und einen Europameistertitel sowie zwei deutschen Titeln in der Marathon-Disziplin. Hier ist seine Top Fünf der Marathon Events:
Ich habe schon weit über 1000 solcher Marathon-Veranstaltungen gemacht und finde sie immer noch absolut reizvoll. Das macht einfach Spaß! Inzwischen bin ich beim Cape Epic 20 Mal und damit jedes Jahr gestartet. Bei der BIKE Transalp habe ich drei Jahre pausiert und bin seit zwei Jahren wieder zurück. Ein Ende ist nicht in Sicht. Eigentlich schon bekloppt aber es gibt mir etwas! - Karl Platt
Viele Leute gehen zu nervös an die Sache heran. Sie versuchen krampfhaft so gut wie möglich auf den Wettkampf vorbereitet zu sein. Oft wird da die Nadel im Heuhaufen gesucht. Besser ist es den Spaß in den Vordergrund zu stellen und den Marathon einfach mal zu genießen: Hausaufgaben machen ja aber bitte nicht die Freude verlieren. Natürlich sollte das Bike in einem guten Zustand sein. Vor allem mit einem ordentlichen Antrieb, Kette, Ritzel und guten Reifen ist viel geholfen. Nicht alle Fahrer achten darauf. Entscheidend kann auch die Ernährung sein. Hier sollte man nichts Wildes ausprobieren, sondern bei Gewohntem bleiben. Wenn es sonst kein Müsli zum Frühstück gibt, sollte das auch nicht vor einem Rennen der Fall sein. Auf der Strecke sollten sich Marathon-Biker gut verpflegen und nicht von Adrenalin oder Euphorie mitreisen lassen, um dann später völlig einzubrechen.
Der 32-Jährige aus dem oberbayerischen Lenggries brachte die deutschen Fans zum Jubeln, als er sich 2021 nach einem spannenden Rennen auf Elba die Marathon-Weltmeister-Krone aufsetzte. Auch einen Europameister-Titel und drei deutsche Meistertitel nennt der Fahrer des Canyon Sidi MTB Teams sein eigen. Hier sind seine Top-Fünf-Events:
Bei meiner ersten Cape-Epic-Teilnahme mussten wir krankheitsbedingt aufgeben. Mein Teampartner und ich hatten eine Etappe gewonnen, wurden aber von einem Magen-Darm-Virus flachgelegt. Zwei Wochen vorher hatte ich allerdings meinen WM-Titel gewonnen und dieser wurde gebührend nachgefeiert, als ich wieder fit war. Mit ein paar Drei-Liter-Magnum-Flaschen Rotwein und Gin war das ein legendärer Abend fürs Team. - Andreas Seewald
Marathon Rennen sollte man so fahren, als wäre es nur eine sportliche Tour. Umgekehrt sollte man sich auch im Training nur so verpflegen und genauso fahren, wie man es im Rennen auch vorhat. Im Rennen selbst sollte Nichts Neues ausprobiert werden.
Eigentlich sind Anne Terpstra und Nicole Koller gar keine klassischen Marathon-Fahrerinnen, sondern behaupten sich regelmäßig erfolgreich in der Cross Country-Disziplin. Bis auf ein Podium beim Tankwar Trek konnten sie bisher kaum Marathon-Erfolge aufweisen. Allerdings konnte das Duo beim diesjährigen Cape Epic in Südafrika mit 617 Kilometern und 16.500 Höhenmetern einen perfekten Sieg einfahren und acht von acht Etappen gewinnen. Grund genug die Fahrerinnen des Ghost Factory Racing Teams nach ihren Erfahrungen und Tipps zu fragen.
Wer beim Cape Epic starten möchte, sollte extrem gut auf seine Gesundheit achten. Vor Ort ist es sehr leicht krank zu werden. Wir haben deshalb zum Beispiel öffentliche Toiletten gemieden. - Anne Terpstra
Mich hätte auf den letzten drei Kilometern vorm Etappenziel fast ein Springbock vom Bike geholt. Man denkt immer, dass nur die Spitze des Fahrerfeldes in Kontakt mit Wildtieren käme und diese weiter hinten schon alle aufgescheucht sind. Das stimmt allerdings nicht. Anne musste mir nach dem Schrecken mit einem mentalen Reset helfen, um auf dem Weg ins Ziel noch konzentriert zu bleiben. - Nicole Koller
Bei einem Etappen-Marathon locker zu bleiben ist eine Kunst. Es kann sein, dass es einem am zweiten Tag extrem schlecht geht, am dritten ist die Welt aber wieder in Ordnung. Der vielleicht wichtigste Tipp von Terpstra und Koller lautet deshalb sich jeden Moment in Erinnerung zu rufen, dass man am Rennen teilnimmt, weil es Spaß macht. Am Ende ist das der entscheidende Grund zum Mountainbiken. Es klingt einfach, ist aber bei einem Wettkampf auch schnell wieder vergessen. Meditation und Autogenes Training können mit der Lockerheit helfen. Auch das Team um einen herum ist extrem wichtig. Wichtiger noch, als die Athletinnen es vor ihrem Start beim Cape Epic eingeschätzt hätten. Wer sich gegenseitig gut kennt, ist klar im Vorteil.
Vor dem Cape Epic bin ich lediglich bei einem einzigem Marathon gestartet: der WM 2021 in der Schweiz. Auf die Startrunde folgte ein rund 20-minütiger Downhill, an dessen Fuße ich auf Platz drei herauskam. Ich dachte mir: ‘Jetzt musst du voll durchziehen!’ Allerdings waren noch satte 60 Kilometer übrig. Zehn Kilometer vor dem Ziel stand ich dann da, wie der Esel am Berg. Das hatte definitiv einen Lerneffekt! - Nicole Koller
Obwohl Bulls-Teamfahrer Alban Lakata erst im Alter von 21 Jahren in den Marathon-Sport einstieg, gehört er weltweit zu den erfolgreichsten Athleten dieser Disziplin. Drei Weltmeister-, zwei Europameister- und acht österreichische Meistertitel gehen auf sein Konto. Besonders gerne fährt der Ausnahme-Sportler mit einer Stundenleistung von 420 Watt die langen Marathon-Distanzen. Hier ist seine Top-Fünf der Marathon-Events:
Wer beim Leadville 1000 starten will, sollte früh anreisen, um sich etwas an die Höhe auf 3000 bis 4000 Meter über dem Meeresspiegel zu gewöhnen. Bei der Sella Ronda Hero sollten Teilnehmer lieber ein kleineres Kettenblatt montieren, denn dort geht es eigentlich nur steil bergauf und wieder runter. Flachpassagen sucht man vergebens. Auf der Strecke des Rock d’Azur ist es sinnvoll am Anfang etwas mehr zu investieren, um später auf den Trails nicht im Stau zu stehen. Wer den Ötztal Radmarathon bezwingen möchte, sollte bereits im Training über 2000 Kilometer gefahren sein und sich akribisch mit der Rennverpflegung auseinandersetzen.