BIKE Magazin
· 20.06.2003
Er kam aus Sibirien und bestellte sich ein Bike im Quelle-Katalog. Mit „russischer Härte“ hat es Karl Platt zum Aushängeschild der deutschen Marathon-Szene geschafft.
Platt ist ein Siegertyp. Einer, der dem Erfolg sein ganzes Leben unterordnet. Der draufzahlt, wenn es sein muss; der zweite Plätze als Niederlage abbucht. Den Gardasee-Marathon vor ein paar Wochen hat er gewonnen. Doch er findet es heute noch schade, dass sein größter Gegner wegen einer gerissenen Kette aufgeben musste. „Ich hätte gerne richtig gewonnen“, sagt er. Das „richtig“ betont er kämpferisch. "Als Profi", sagt er, "muss man sich richtig in die Fresse hauen können."
Zehn Jahre lang hat Platt seinen Körper mit eisernem Willen zu einer Kampfmaschine gedrillt: 1,80 Meter groß, 70 Kilo leicht, 7,5 Prozent Körperfett, 480 Watt Maximalkraft. Man könnte Hydraulikkolben in seinen sehnigen Beinen vermuten. Er hat dafür verzichtet. Auf wilde Partys, auf Alkohol, aufs Abi - sogar auf eine Berufsausbildung. Kaum ein anderer Fahrer trainiert so hart wie er. 200 Kilometer lange Einheiten, Bergtraining, Intervalle. Jeden Tag bei jedem Wetter. Für Platt ein Traumjob. „Als Profi“, sagt er, „muss man sich richtig in die Fresse hauen können.“
Man könnte das auch „russische Härte“ nennen. Denn bis zu seinem zehnten Lebensjahr lebte Karl im sibirischen Nowosibirsk. Die Sowjets hatten seine Großeltern im Zweiten Weltkrieg dorthin verschleppt. Um die kalten und langen Winter zu überstehen, wurde jedesmal eine ganze Scheune voll mit Kohle gebunkert. Karl erinnert sich gern an seine Kindheit. Als Gorbatschow das Reiseverbot lockerte, wanderten die Platts nach Osthofen bei Worms aus. Den baptistischen Glauben hat sich die Großfamilie bis heute bewahrt. Seinen ersten Sex hatte Karl in der Hochzeitsnacht. „Das war etwas ganz besonderes.
Zwei Herzen, eine Seele: Eugenie stammt,wie Karl, aus Sibirien. Ihr baptistischer Glaube verbot Sex vor der Ehe. Seit zwei Jahren sind die beiden glücklich verheiratet.
Vater Platt war wenig begeistert, als sein ältester Sohn anfing, seine Freizeit auf dem Fahrrad zu verbringen. Für den arbeitsamen Mann war das vergeudete Zeit. Egal, Karl bestellte sich im Frühjahr 1991 ein Mountainbike im Quelle-Katalog. Ein schweres Stahl-Monster ohne Federgabel und eigentlich viel zu groß. „Ich habe wochenlang Zeitungen ausgetragen, um die 600 Mark dafür zu verdienen“, erzählt Karl beim Kaffee in seiner Drei-Zimmer-Wohnung. Seine Frau Eugenie (23), schaltet sich amüsiert ein. „Du hast doch deine Brüder austragen lassen und selbst das Geld kassiert“, kichert sie. Eugenie ist froh, dass ihr Gatte mal länger als nur für ein paar Tage daheim ist. Zweisamkeit ist selten geworden, seit sich Karl zum Aushängeschild der deutschen Marathon-Szene gestrampelt hat. Im Frühjahr war er von drei Monaten zweieinhalb unterwegs: eine Woche Training auf Mallorca, dann zwei Wochen Gran Canaria, drei Wochen Zypern und wieder zwei Wochen Mallorca. Dann vier Wochen Amerika. Jedes „Hallo“ dazwischen war auch ein Abschied.
Das Quelle-Bike hat das Leben von Karl verändert. Schon kurz nach dem Kauf meldete sich der Rad-Fanatiker beim „LLG Wonnegau“ an. Das Vereinstraining spielte sich damals noch hauptsächlich in den Kiesgruben der Umgebung ab. „Da ging es nicht um powern oder Kilometer schrubben. Rampen bauen, irgendwo runterspringen – Spaß, sonst nichts. Einmal brach meine Gabel, dann der Rahmen. Doch das war egal, das konnte man schweißen lassen.“ Mehr aus Zufall startete Karl noch im selben Jahr bei seinem ersten Cross-Country-Rennen. „Sieben Fahrer standen bei der Hobby-Klasse am Start. Alle sind Vollgas losgebrettert. Jeder wollte Erster sein. Ich wurde Dritter und bekam einen Pokal. Das war der Punkt an dem ich wusste: „Ich will Rennfahrer werden“. Die Erfolge kamen schnell: Junioren-Kader, Deutscher Downhill-Meister, dann der Umstieg in die Cross-Country-Szene, Sieg bei der Transalp-Challenge. Platt machte alle platt. Doch so richtig platzte der Knoten erst beim Gardasee-Marathon 2001. Mit diesem Sieg bekam der Name Platt einen Klang, dem inzwischen auch Sponsoren verfallen sind. „In Amerika kam der Marketing-Manager von Oakley zu mir, klopfte mir auf die Schulter und fragte, ob er irgendwas für mich tun kann. Das war schon ein Wahnsinnsgefühl, in dieser Liga dazu zu gehören“, sagt Platt, der neuerdings immer einen Stapel Autogramm-Poster dabei hat.
Training daheim: Auf Karls Trainingsrunden ist der Wein sein ständiger Begleiter.
Neben dem Radfahren gibt es nicht viel im Leben von Karl Platt. Dazu kostet der Sport einfach zu viel Zeit. Keine Ecken, keine Kanten, keine Hobbys. Wenn er eins nennen müsste, dann Kochen – sagt er. Die Dreizimmer-Wohnung im Eigenheim der Schwiegereltern ist eingerichtet, wie hunderttausend andere Wohnungen auch. Eichefarbener Laminatboden, Kunstdruck aus dem Baumarkt, Obst-schale auf Katalogtisch, überall Hochzeitsbilder. Wenn er mal einen Tag machen könnte, wozu er Lust hat, würde er in ein gemütliches Café gehen und die Eltern besuchen. Karl ist Familienmensch. Nur eine klitzekleine Macke gibt er selbst zu: Autos. Wenn Karl darüber spricht, überschlägt sich seine Stimme. Er saugt jede Ausgabe der „Auto, Motor und Sport“ in sich auf. Manchmal fährt er auch mit Kumpels auf den Nürburgring. Dann wird für ein paar Stunden mit Super bleifrei statt mit Isodrinks Vollgas gegeben. Gerade erst hat er den Kredit für einen neuen, 40000 Euro teuren Audi A4 angezahlt. Ob das nicht unvernünftig ist in diesem unsicheren Job? „Ich fahre das ganze Jahr quer durch Europa zu Rennen. Da kann man sich auch ein gutes Auto leisten“, findet er. Von seinen Sponsoren und den Preisgeldern kann der Marathon-Star momentan gut leben. Auch wenn das natürlich gar nichts ist, im Vergleich mit den Straßen-profis. Der Sieg beim Gardasee-Marathon zum Beispiel spülte gerade mal 750 Euro Preisgeld aufs Konto.
Mit seinen 25 Jahren hat Platt viel erreicht. Sportlich sowieso und auch auf privater Ebene. Was er später mal beruflich machen wird, daran verschwendet er noch keine Gedanken. Immerhin hat er jetzt zumindest mal eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Man weiß ja nie. Platt hat noch viele Ziele. Ein paar Kinder, vielleicht sogar ein eigenes Haus. Noch ein paar Mountainbike-Titel. Deutscher Meister, Europameister, am besten natürlich Weltmeister. Schließlich hat seine Profi-Karriere gerade erst begonnen. Am meisten aber wünscht er sich, einmal bei den olympischen Spielen am Start zu stehen und eine Medaillie zu holen. „Es muss ja nicht unbedingt Gold sein. Ein zweiter Platz ist ja auch nicht schlecht.“ Und das meint er ausnahmsweise ernst.
Wohnort: Osthofen/Rheinland Pfalz
Alter: 25 Jahre (Stand: 2003)
Größe: 180 cm
Gewicht: 70 kg
Beruf: Radprofi
Mountainbiken seit: 1991
Team: Rocky Mountain-Xenofit
Erfolge: Deutscher Junioren-Meister Downhill 1996,
Sieger Transalp Challenge 2002 (mit C. Bresser),
Sieger Gardasee-Marathon 2001 und 2003, Sieger CC-Bundesliga-Lauf Münsingen 2002
Hobbys: Kochen, Snowboarden, Autos
Lieblingsessen: Pizza
Lieblingsurlaubsland: Malediven
Lieblingsfilm: Matrix
Lieblingsbuch: Die Biebel
Lieblingsmusik: Alles, außer Volksmusik
Lieblingsmagazine: BIKE, Auto, Motor u. Sport, FHM
Kontakt:
karlplatt1@aol.com