Henri Lesewitz
· 24.03.2023
Beim legendären 24 Hours in the Old Pueblo mischte sich auch BIKE-Reporter Henri Lesewitz unter die Teilnehmer. Die Distanz entpuppte sich dabei als das kleinste Übel. Die mögliche Gefahr, bei diesem 24-Stunden-Rennen zu sterben, war schlimmer. Warum zur Hölle bezahlen Biker Geld, um sich in Arizona einmal rund um die Uhr durch die Wüste zu schinden? Auf der Suche nach der Antwort.
Ein 24-Stunden-Rennen durch die Wüste Arizonas? Warum sollte man als Biker Geld dafür bezahlen, um sich bei einem Ultra-Marathon einmal rund um die Uhr zu schinden – und am Ende gar das eigene Leben aufs Spiel zu riskieren? Auf der Suche nach der Antwort mischte sich BIKE-Reporter Henri Lesewitz unter die Teilnehmer des legendären 24 Hours in the Old Pueblo. Ein schlafloser Selbstversuch.
Den Wert einer Sache erkennt man daran, was man bereit ist, dafür zu geben. Alles hat seinen Preis. Dass ich bereit bin, für dieses Erlebnis mit meinem Leben zu bezahlen, lässt mich kurz erschaudern. Doch da steht es. Schwarz auf weiß. Man könne sterben. Und ich habe es unterschrieben.
Der Zettel in meiner Hand ist der Haftungsausschluss für das 24 Hours in the Old Pueblo, eines der ältesten und legendärsten Langstreckenrennen der Welt. Einmal rund um die Uhr durch die Sonora-Wüste in Arizona. Was allein schon reichen würde, um einen menschlichen Körper überzustrapazieren. Besonders, wenn man die Solo-Kategorie gebucht hat, so wie ich. Der Haftungsausschluss listet die Tücken des Rennens detailliert auf. Dunkelheit. Temperaturschwankungen. Dehydration. Das, was mich eigentlich beunruhigt, ist unter dem Begriff „Terrain“ zusammengefasst. Klapperschlangen. Kojoten. Und ganz speziell der wohl fieseste aller Kakteen, der Jumping Cholla, der seine zentimeterlangen, harpunenartigen Stacheln beim kleinsten Kontakt ins Fleisch seines Gegenübers schießt.
Es gehört zu den großen Rätseln der menschlichen Psyche, warum man 325 Dollar für so einen Irrsinn ausgibt, den man im schlimmsten Fall mit dem Leben bezahlen muss. Die Antwort ist simpel: Langstreckenrennen zählen zum Intensivsten und Faszinierendsten, was man als Biker erleben kann. Darum. Die 2000 Startplätze des 24 Hours in the Old Pueblo sind stets innerhalb von Minuten ausverkauft. Alle haben den Haftungsausschluss unterschrieben. Der Grusel ist Teil der Vorfreude. Außerdem: Gegen die eigene Wohnung ist die Sonora-Wüste die reinste Hochsicherheitszone. Knapp 8000 Menschen sterben jährlich bei Haushaltsunfällen, habe ich mal gelesen. Dreimal so viele wie im Straßenverkehr. Alleine in Deutschland. Eine knallharte Faktenlage, die meinen Stresshormonspiegel aber dennoch kaum abzusenken vermag.
Das Renngelände befindet sich auf einem gewaltigen, schroffen Wüstenareal unweit von Tucson. Steine, Staub, Kakteen. Eine Kulisse wie die eines John-Wayne-Westerns. Das provisorische Camp aus Zelten und Campingmobilen wuchert weit in die hügelige Landschaft hinein. Der Schnee, der die umliegenden Berge überkront, lässt das launenhafte Klima erahnen.
Es ist kurz vor 12 Uhr. Ich stehe eingequetscht im Pulk der Startbereiten auf einem Hügel. Bis auf diejenigen, die ganz vorne stehen, sind alle rege damit beschäftigt, jeglichen Verdacht von Nervosität und Platzierungseifer von sich abzuwenden. Der Typ neben mir hat sich als Ausdruck seiner Unverkrampftheit eine Dinosaurier-Maske aus Latex über den Kopf gestülpt, in die sein Helm eingearbeitet ist. Jetzt guckt er durch zwei winzige Löcher im aufgerissenen Rachen des Urviechs in den Schlund eines nur Zentimeter entfernten Megafons. „Make some noise!“, schreit der Stimmungseinpeitscher der Meute entgegen, und die Menge tut, wie geheißen.
Die Partystimmung dämpft etwas meine Anspannung. Dennoch bin ich hochnervös. Die Monstrosität der zu bewältigenden Aufgabe bleibt ja trotz Stimmungsorkan unverändert. 24 Stunden im Sattel. In einer lebensfeindlichen Wüste voller Gefahren. Eine brutale Herausforderung. Aber irgendwie auch geil. Ob es gut ausgeht, oder nicht, hängt alleine von mir ab. Wie eine Messerklinge eine Zwiebel, so schält ein Ausdauerrennen Schicht für Schicht die äußere Schale des Fahrers ab, bis das Innere klaffend offenliegt: der wahre Härtegrad von Körper und Psyche. Das Sein unter dem Schein. Was da wohl bei mir zum Vorschein kommt? Ein Jammerlappen? Oder ein Eisenharter?
Das Startsignal erlöst mich von der quälenden Grübelei. Schulter an Schulter sprintet die Meute los, den Bikes entgegen, die sich einen halben Kilometer entfernt befinden. Es ist ein sogenannter Le-Mans-Start. Meine Atmung reagiert äußerst hysterisch auf den scharfen Wechsel von Rumstehen und Losrennen. Na super. Ich sitze noch nicht mal auf dem Bike und habe schon Sauerstoffmangel. Der Moment hat was von einem Apnoe-Tauchgang. Man springt in einen dunklen, kalten Ozean, ohne zu wissen, wie lange man es schaffen wird, die Luft anzuhalten.
Die Strecke entpuppt sich als liebreizend modellierte Singletrail-Acht. Eine 25 Kilometer lange Verschmelzung von Kurven, Kurzanstiegen und Abfahrten. Ein grandioser Ort für eine Tour. Ein gnadenloser für ein 24-Stunden-Rennen. Daran lässt der Laktatschock, der meine Beine schon kurz nach dem Start ereilt, keinen Zweifel. Dass der Körper bei Sauerstoffmangel Laktat produziert, ist eine Art Drehzahlbegrenzer. Der Schmerz in den Beinen drosselt den Pedaldruck, was das Herz vor dem Explodieren bewahrt. Was nett gemeint ist vom Körper, macht das Biken zur Hölle. In den Beinen scheinen Feuer und Säure gleichzeitig zu wüten. Tempo rauszunehmen, würde Erlösung bringen, doch daran ist auf den engen Trails nicht zu denken. Man will nicht der Pfropfen sein, der alle aufhält.
Schnellere vorbeizulassen, birgt dagegen die Gefahr, zu nah an einen dieser Jumping Chollas zu kommen. Die Biester warten nur drauf, mir ihre teuflischen Harpunenstacheln ins Fleisch zu schießen. Ich habe gar keine andere Wahl, als mit der aufgepeitschten Menge mitzuhecheln. Mit einer Mischung aus Spaß und Verzweiflung knete ich über den Kurs. Sobald das Feld von Hügeln und Tempo in Fetzen gerissen ist, wird es angenehmer werden. Hoffe ich zumindest.
Die Teilnahme an einem 24-Stunden-Rennen kann dein Leben verändern. Diese Erfahrung ist jede Anstrengung wert.” - Todd Sadow, Veranstalter des 24 Hours in the Old Pueblo
19 Uhr, schon sieben Stunden im Sattel. Die Sonne verglimmt farbgewaltig hinter den Hügeln. Knapp 100 Kilometer haben meine Beine schon ziemlich erschlaffen lassen. Was zu erwarten war. Auf die Beine ist bei derartigen Distanzen selten Verlass. Rennen dieser Art fährt man mit dem Kopf. 24 Stunden lang Mountainbike zu fahren, ist in den Augen von Außenstehenden ähnlich krass wie Selbsthäutung. Doch ganz so einfach ist das nicht. Läuft es gut, verschmelzen Körper, Geist, Maschine, Raum und Zeit zu einem magmaartigen Ganzen. Dann wird ein 24-Stunden-Rennen zum Magischsten, was man je erlebt hat. Läuft es schlecht und nur eine Komponente – ob Wetter, Psyche oder Beine – zerstört das fragile Gleichgewicht, können es die grausamsten 24 Stunden deines Lebens werden.
Bei mir scheint alles im grünen Bereich. Die Beine sind zwar schon nah am K. o., doch in mir drin hat sich ein tiefer Frieden eingestellt. Es ist, als hätte ich die Tür zu einer anderen Galaxie eingetreten. Die Alltagswelt mit ihren Terminen und Pflichten ist weit weg. Ich fühle mich voll im Hier und Jetzt. Treten, lenken, atmen. Das ist alles, um was ich mich kümmern muss. Von mir aus könnte es noch tagelang so weitergehen. Herrlich.
Gleich 1:30 Uhr, die Wüste ist schwarz wie ein Pharaonengrab. Nur die grellen Lichtkegel der Bike-Lampen fressen sich durch die Dunkelheit wie weiße, fluoreszierende Würmer. Mit inzwischen nur noch windelweichen Tritten kämpfe ich gegen die Steigungen an, die von Runde zu Runde steiler zu werden scheinen. Das schöne Flow-Gefühl der Abendstunden ist auf rätselhafte Weise komplett verschwunden. Ausgelöscht nicht etwa von Muskelschmerz, sondern von einer ekelhaften Müdigkeit, die langsam jede Faser meines Körpers erfasst. Schuld ist der Biorhythmus, dieser verdammte Spießer, für den Menschen nachts ins Kuschelbett und nicht auf ein Mountainbike gehören. Ungeachtet der Tatsache, dass ich mich gerade inmitten eines Rennens befinde, fährt er einfach das System herunter. Eine bodenlose Frechheit. Müdigkeit ist das Laktat des Kopfes. Alles wirkt jetzt feindlich. Die Kälte. Die Anstiege. Die Distanz. Die Kakteen. Noch fast zehn Stunden! Eine schreckliche Vorstellung. Warum tun Menschen das? Nüchterne Antwort: Weil der Weg in den Marathon-Himmel immer durch die Hölle führt. Das ist Sinn der Sache. Da muss ich jetzt durch.
Die Uhr zeigt 11:35 Uhr. Gestern um diese Zeit habe ich dem Start entgegen gefiebert. Jetzt die finale Runde: Die zurückgekehrte Sonne hat die Wirkung eines Defibrillators. Als hätte es die schlaflose, eiskalte Nacht nicht gegeben, bringt sie die verloren geglaubte Energie zurück. Pedaldruck, Motivation, Spaß: alles plötzlich wieder da.
Langstrecken-Biken hat ja leider ein Image-Problem. Für viele ist es ein Synonym für Schmerz und Frust. Was daran liegt, dass es die wenigsten bis zur finalen Zündstufe durchziehen. Laktat und Atemnot sind nur die Grundbausteine für das einzigartige Superheldengefühl, das man weder kaufen, simulieren, noch googeln kann. Um es zu erleben, braucht man Geduld. Das Hoch bedingt das vorherige Tief. Je brutaler das ist, desto heftiger reagieren anschließend die Glückshormone. Was das betrifft, muss sich hier wohl keiner Sorgen machen. Die Strapazen der letzten 23 Stunden sind allen ins Gesicht geschrieben. Den Team-Fahrern, die sichtbar leiden, aber noch mit Wumms auf die Pedale treten. Noch mehr aber natürlich den Solo-Startern, deren Gesichter gleichermaßen fiebrig wie erloschen wirken. Getragen von Euphorie und Erleichterung knete ich ins Ziel.
“Good job!”, kommentiert der Moderator. Das finde ich aber auch. 270 Kilometer und 4000 Höhenmeter habe ich mir in die Beine gepresst. Eine ziemliche Überdosis für einen Februartag. Ich bin so fertig, dass ich Mühe habe abzusteigen. Mein Körper ist mausetot. Doch ich fühle mich so lebendig wie schon lange nicht mehr.
Der Weg in den Marathon-Himmel führt immer durch die Hölle. Das ist das Konzept. Nur, wer sich durch die Tiefphasen beißt, erlebt das Superheldengefühl bei Überqueren der Ziellinie. - Henri Lesewitz, Reporter BIKE-Magazin
Das 24 Hours in the Old Pueblo ist eines der ältesten und legendärsten seiner Art. Nächstes Jahr wird die 24. Austragung zelebriert. Die Strecke im Outback von Tucson/Arizona ist ein 25 Kilometer langer Singletrail-Rundkurs, der speziell für das Rennen angelegt wurde. Wer auf Platzierung aus ist, der wählt an einem Strecken-Split kurz nach dem Start die direkte Route. Wer lieber einen epischen Trail fahren will, nimmt die längere Schleife durch die Berge.
Man kann als Team fahren, oder solo. Das Rennen ist so beliebt, dass die 2000 Startplätze stets innerhalb von Minuten ausverkauft sind. Wer einmal mitgefahren ist, der weiß auch, warum. Das Old Pueblo ist zwar eine taffe Langstrecken-Challenge, gleichzeitig aber auch eine Szene-Party. Manche Teilnehmer campen die ganze Woche lang in dem Wüstenareal. Termin des Rennens ist Mitte Februar.
Das Old Pueblo bietet neben der eigentlichen Strecke eine ganze Reihe spezieller Herausforderungen. Zwar kommen die Klapperschlangen nur bei drückender Sonne raus. Dass unter jedem Fels eine lauern könnte, sorgt aber für Kopfkino. In der meist klirrend kalten Nacht besteht eher keine Gefahr. Extrem tückisch sind einige der Kakteen, die fast den gesamten Streckenrand säumen. Der Jumping Cholla zum Beispiel durchsticht mit seinen Stacheln sogar Schuhsohlen. Kommt man ihm zu nahe, schießt er seine fiesen Stacheln ab, was extrem schmerzvoll ist.
Die Metropole Tucson befindet sich in einer Art Gebirgskessel und ist wahrscheinlich jedem Western-Fan bekannt. Obwohl mehr als eine Million Einwohner in der breit wuchernden Stadt wohnen, ist der Stadtkern klein und lauschig. Gemütliche Cafés wechseln sich mit kleinen Kneipen und Kunstläden ab. Hotels gibt es in allen Komfortstufen und Preisklassen. Zu empfehlen sind Ressorts wie das Omni Tucson National, das über Fitness-Räume, Gastronomie sowie eine Pool-Anlage verfügt und ein idealer Ausgangspunkt für Ausflüge in die Umgebung ist. Tipp: der Saguaro-Nationalpark mit imposanten, meterhohen Kakteen.
Wüsten haben ein spezielles Klima. Tagsüber meist warm, können die Temperaturen nachts bis unter Null sinken. Die beste Reisezeit für Arizona ist zwischen Herbst und Mai. In den Sommermonaten wird es am Tag glühend heiß. Dann ist Biken nahezu unmöglich.
Allein in Tucson gibt es drei große Trail-Netze. Einfach am Einstieg parken und der Beschilderung folgen. Ob auf anspruchsvollem Untergrund hoch in die Berge, oder auf Flow-Routen die Bergflanken entlang, kann man nach Lust und Laune entscheiden. Anbieter Homegrown MTB Tours verleiht Bikes, gibt Tipps und organisiert auf Wunsch jede Art von Ride.
Die Trails beim 24 Hours of the Old Pueblo und auch die allermeisten anderen Trails rund um Tucson sind perfekt modelliert. Ein sportliches Fully mit versenkbarer Stütze ist top. Wer statt der Enduro-Varianten die Flow-Trails wählt, kommt auch mit einem Hardtail prima zurecht. In machen Loops sind Sprünge integriert. Diese lassen sich umfahren. Wer auf Airtime aus ist, der ist mit einem Enduro gut beraten.
Unser Reporter nutzte das Rennen für einen Test der neuen Lupine SL AX, der neuen, aktuell hellsten StVZO-zugelassenen Bike-Lampe von Lupine. Die SL AX hat in der hellsten Stufe 3800 Lumen und kann wahlweise im Anti-Blend-Modus oder voll aufgeblendet gefahren werden. Sie bietet eine breite, gleichmäßige Ausleuchtung, was auf engen Trails wie beim 24 Hours in the Old Pueblo von großem Vorteil ist. Fährt man nicht die ganze Zeit auf hellster Stufe, hält der Akku die ganze Nacht. Um auf einem 24-Stunden-Kurs bei Dunkelheit sicher zu fahren, sollte eine Lampe mindestens 1500 Lumen haben.