Sissi Pärsch
· 28.04.2023
Triumph und Tragik, Gipfel der Gefühle und Tal der Tränen – bei Supertalent Vali Höll scheint das eine nicht ohne das andere zu gehen. Doch jetzt ist Vali Downhill-Weltmeisterin. Knoten geplatzt, Wandel im Gange!
Mein erstes Interview mit Valentina Höll fand 2015 statt. Es war die Premiere des Glemmride-Festivals in ihrer Heimat Saalbach-Hinterglemm, mitorganisiert von ihrer Mutter Sabine. Vali war 13 Jahre alt. Sie kam allein. Ob ihre Eltern noch dazukommen möchten? Sie winkte ab. Die hätten Besseres zu tun.
„YT Industries holt die Downhill-Weltmeisterin 2022 ins Team“, hatte ihr damaliger Sponsor selbstbewusst verkündet. Die Bike-Branche schmunzelte über die Großspurigkeit – doch dagegen wetten wollte auch keiner. Besser so! Acht Jahre später wurden wir alle Zeuge des angekündigten Triumphs: von den 3:53 Minuten im staubigen Les Gets, ihr ungläubiger Blick im Ziel, der Jubel der Zuschauermassen.
Und dann folgte wieder Valis Kontrastprogramm: erst Sieger-Podest, dann Klo. Nach der Zeremonie, der Champagner- und der normalen Dusche verbringt Vali den Abend und die Nacht im Badezimmer. Es war nicht der Alkohol, der sie vor die Schüssel zwang, sondern ein Magen-Darm-Virus. Les Gets, das Team, Freunde und Familie im Taumel – und Vali im Elend.
Eben ein Bild, das geradezu exemplarisch scheint für die vergangenen zwei Jahre von Vali Höll, in denen die Highs und die Lows so nah beieinanderlagen. Zwei Jahre, in denen auf Bestzeiten die Crashes folgten. Zwei Jahre mit Gewinn des Gesamt-Weltcups und WM-Gold – und die zwei der „unhappiest“ Jahre in ihrem Leben, wie sie sagt. Aber die Weltmeisterschaft soll einen Wendepunkt markieren. Bei Vali steht ein Auf- und Umbruch an.
Vielleicht muss man zurückkehren in Valis Heimat, um ihre triumph- wie tumultreichen Jahre als Profi zu verstehen. Leogang 2020: Valis erste Elite-WM (Doppelweltmeisterin der Juniorinnen ist sie bereits), und das auf ihrer Heimstrecke. In der Quali liegt sie zwei Sekunden vor der Konkurrenz. Am Renntag springt sie den Gap-Drop, doch springt zu kurz, schleudert über den Lenker: Knöchel gebrochen! Leogang 2021: Vali liegt im Weltcup-Rennen über drei Sekunden in Führung. Kurz vorm Ziel der Sturz. Sie wird dennoch Zweite. Leogang 2022: In der Quali Zweitschnellste, im Rennen folgt auf einen Ausrutscher nach dem Start ein Salto im Mittelteil – Rennen vermasselt!
„Leogang hat mich gebrochen“, sagt sie heute. Wir sitzen nur wenige Kilometer vom Bikepark entfernt in ihrem Elternhaus. „Ich dachte immer, ich sei nicht sehr emotional, aber im Ziel habe ich geheult und konnte nicht mehr aufhören. Das letzte Mal geweint habe ich zehn Jahre davor auf der Beerdigung meiner Oma.“ Ihr Home-Run hat sie gebrochen – aber er hat auch etwas aufgebrochen.
„Ich war schon immer sehr strukturiert, sehr sortiert. So hat alles gepasst – in der Schule, beim Training, mit den Sponsoren“, reflektiert sie. „Ich wollte immer alles alleine regeln, wollte nie, dass mir jemand hilft. Meine Eltern kamen erst ins Spiel, wenn es ums Unterschreiben ging. Vielleicht hat man als Mädl in dem Punkt einen Vorteil gegenüber den Jungs, weil man einen Reifevorsprung hat.“ Weggehen? Parties? „Das war so uninteressant. Ich habe mit 16 das erste Mal Alkohol getrunken...“
Es ist nicht die fehlende Disziplin, die ihr in den Rennen im Wege stand, und schon gar nicht das fehlende Talent. Es ist ihr Kopf. „Ich wollte niemanden enttäuschen. Ich wollte beweisen, dass ich den Hype nicht umsonst bekomme, und hatte total hohe Erwartungen an mich. Und die habe ich ausschließlich an Resultate geknüpft.“ Vali macht eine Pause und atmet durch. „Ich hatte ein falsches Bild vom Profi-Sein. Nur auf das Ergebnis schauen macht nicht happy. Und immer daran zu denken, dass es mich auf die Fresse haut, auch nicht.“
Rookie Vali lernt die harte Seite des Elite-Daseins kennen. „Woher hätte ich wissen sollen, wie krass es ist. Jeder redet immer vom Sieg. Der Rest interessiert keinen. Irgendwie dachte ich, wenn man mal gewinnt, dann ist man auf einem High, und dann rockt man alles easy. Cami (Anm. d. Red.: Camille Balanche) ist eine Person, da kann das funktionieren. Sie hat krasses Selbstvertrauen. Ich sage ihr immer, sie soll mir beibringen, wie das geht. Sie glaubt einfach an sich. Ich bin da anders...“
Selbst bei ihrem Sieg des Gesamt-Weltcups 2021 ist die Freude nur begrenzt. „Es war schon der Wahnsinn, aber ich habe den Overall gewonnen, weil eine andere Fahrerin Pech hatte. Ich hatte vorher keine Sekunde drüber nachgedacht. Das sagt schon was aus.“ Vali spricht klar und analytisch. Und sie spricht, als würde diese Vali nun der Vergangenheit angehören.
Als Dreijährige stieg sie zum ersten Mal aufs Bike, mit sechs Jahren fuhr Vali Höll ihr erstes Bike-Race, mit 13 nahm sie YT unter Vertrag, mit 16 gewann sie alle UCI-Downhill-Worldcups, doch ihren Kopf frei zu kriegen, lernte Vali erst mit 20.
„Da passiert jetzt was bei mir. Ich finde gerade heraus, was mir eigentlich Spaß macht im Leben.“
Vali ist soeben 21 geworden. „Da passiert jetzt was bei mir. Ich finde gerade heraus, was mir eigentlich Spaß macht im Leben.“ Sie zieht nach Innsbruck. Dorthin, wo ihre Freunde sind, wo immer was los ist. „Was mit meinen Freunden zu machen, ist aktuell das Wichtigste für mich. Wir gehen Biken oder Skifahren, aber danach trinken wir halt auch einen Aperol und gehen feiern. Ich bin brutal dankbar, dass ich dieses Umfeld gefunden habe. Ich ändere mich gerade als Person.“ Es ist offensichtlich, dass sie gut drauf ist. Sie wüsste jetzt, meint sie, worauf es ankommt: „Den Kopf frei machen.“
Ob sie es denn jemals mit einem Mental-Coach versucht habe, will ich wissen. „Ja, schon“, meint Vali, „aber das hat nicht wirklich gepasst. Was mich viel mehr weitergebracht hat, waren Gespräche mit anderen Sportlern.“ Die Downhill-Frauen sind dafür bekannt, sich gut zu verstehen. Ist das tatsächlich so? Vali nickt: „Total. Und das ist für jede von uns echt wichtig. Nicht nur, weil wir uns so viel austauschen, sondern auch ganz einfach, weil wir so viel Spaß miteinander haben.“ Sie hat mit Nina Hoffmann, Veronika Widmann, Camille Balanche und Emilie Siegenthaler Silvester gefeiert, war gerade mit Nina, Veronika, Noga Korem und Monika Hrastnik im Trainingscamp auf Mallorca.
Aber der große Befreiungsschlag kam aus ihrem Inneren. „In Leogang habe ich zehn Minuten geheult. Die Menschen sahen mich das erste Mal verletzlich. Das war irgendwie auch befreiend.“ Auf Leogang folgte die Lenzerheide. Dort wurde sie Fünfte – und feierte. „Mich hat’s im Training und im Rennen geschmissen, aber es war mir egal.“ Es wurde spät. Um drei Uhr am Morgen saß sie noch beim „Deep Talk“ mit Freunden zusammen. Für sie markiert dies einen Wendepunkt in ihrer Karriere. In dieser Nacht entschied sie sich, ihre Einstellung zu ändern – zum Bikesport wie zum Leben.
„Ich hatte in Andorra und bei der WM ein anderes Mindset.“ Beide Male gewann sie. „Ich habe den Fokus darauf gelegt, wie ich Fahrrad fahre, auf den Style, auf den Spaß. Und ich bin auf die After-Parties gegangen, auch wenn am nächsten Wochenende ein Rennen anstand.“
„Ich hatte die beste Off-Season ever! Mir gelang es endlich, den Kopf mal auszuschalten und Spaß zu haben.“
Aktuell habe sie die lustigste Off-Season überhaupt. Auch wenn sie im Oktober noch das Epstein-Barr-Virus heimsuchte und sie monatelang kränkeln ließ. „Mein Körper hat mir gezeigt, dass es nicht so geil war, wie die letzten zwei Jahre gelaufen sind ... Aber zurzeit fühle ich mich so, so gut im Kopf.“
Und die Sorgen, die sie sich aktuell macht, die teilt sie mit dem gesamten Fahrerfeld. Es sind die Unsicherheiten, die der Vermarktungs- und Übertragungswechsel von Red Bull zu Discovery mit sich bringt. „Wir wissen überhaupt nicht, was kommt. Wir wissen nicht, wo die Rennen zu sehen sein werden, wir wissen nicht, wie der Rennkalender aussieht, und wir wissen nicht, ob es neue Rennformate gibt.“
Die Gerüchteküche brodelt. Angeblich sollen Semifinals und Finale an einem Tag ausgetragen werden. „Zweimal Val di Sole hintereinander zu fahren, das wäre schon krass. Und so was wird entschieden, ohne jemals die eigentlichen Player zu fragen.“ 2022 haben sich die Downhiller zusammengeschlossen und die Pro Riders Association gegründet, um eine gemeinsame Stimme zu haben.
„Wir haben uns generell viel ausgetauscht, speziell mit Finn (Iles) und Loïc (Bruni), vor allem auch zu Sicherheitsthemen. Wir hatten nie eine Chance, gehört zu werden. Also haben wir uns formiert. Klar hat Warner Bros mehr Entscheidungskraft als eine Riders Union. Aber wir sind die Athleten. Wir sind diejenigen, die alles geben und dabei viel riskieren.“, sagt Vali.
Valis Prozess des Erwachsen-Werdens spiegelt sich auch in ihrer klaren Meinungsäußerung wider. Ihr größtes Vorbild ist dabei wohl Cécile Ravanel. Cécile fuhr EWS-Rennen, XC- und DH-Weltcups; seit 2020 trainiert sie Vali. „Cécile ist das Beste, was mir passieren konnte. Ich vertraue ihr total. Nicht nur, weil sie als Bikerin genau weiß, was Sache ist, sondern auch, weil sie megastraight ist. Sie sagt exakt das, was sie denkt.“
Nach einer Pause ergänzt Vali: „Und Cécile war auch diejenige, die mich ermutigt hat, mit den anderen Fahrerinnen Kaffee trinken zu gehen. Davor war das nicht so. Ich bin eher introvertiert und ziehe mich zurück, aber sie hat mich dazu gebracht, mich zu öffnen. Jetzt ist der Austausch mit den anderen total wichtig für mich. Sie sind alle so cool, und wir können über Probleme reden. Sie wissen eben genau, wie sich Dinge anfühlen.“ Eine ihrer engsten Freundinnen aber ist die Schweizer Ski-Slopestylerin Mathilde Gremaud. „Mathilde hat mir gespiegelt, was da in mir abgeht. Sie ist Olympiasiegerin, sie ist die coolste Socke, aber sie zweifelt auch an sich.“
Ein Wandlungsprozess ist im Gange bei Vali, und keine weiß das besser als sie selbst. „Für mich bin ich immer noch Rookie, aber ich merke, dass ich erwachsener werde.“ Das merke sie auch daran, dass sie mehr auf sich schaut und weniger auf andere. Und daran, dass sie nun selbst Vorbild ist – speziell für Mädels, „weil die Jungs haben eh genügend Vorbilder.“ Das sagt sie, obwohl über 80 Prozent ihrer circa 150.000 Instagram-Follower männlich sind.
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2022 fand das erste „Vali Höll Performance Camp“ mit sechs jungen Racerinnen statt. „Im Skateboarden, im Slopestyle, im Bikesport – es ist der Wahnsinn, was da gerade abgeht, wie viele Role Models es gibt und was nachkommt. Die Mädels haben was zum Aufschauen, und das feiere ich extrem.“ Auch bei den MTB-Rennformaten tut sich etwas. Im iXS Rookie Cup gibt es jetzt getrennte Jungs- und Mädchen-Kategorien. „Generell haben Mädels die Möglichkeit, sich in mehr Rennen zu beweisen. Rosa Zierl, Lina Frener – da kommen superschnelle Fahrerinnen, und das wird richtig geil.“
„Ich will nicht nur schnell sein. Ich will schnell sein und gleichzeitig stylish. ’Ne coole Socke eben.“
Vali grübelt ein wenig. Vielleicht, sagt sie, sei es sogar so, dass die Jüngeren sie im Gegenzug genauso inspirieren. „Bei der kommenden Generation geht es darum, mit mehr Style zu fahren. Und das will ich auch. Ich will nicht nur schnell sein. Ich will schnell sein und gleichzeitig stylish. ’Ne coole Socke eben. Wissen, was man in der Luft macht, whippen, spielen und Spaß haben. Ich glaube, mir geht es jetzt eher darum, einen Fußabdruck als Charakter zu hinterlassen – und nicht als Fahrerin, die dies und das gewonnen hat.“
Leogang 2023: Was können wir da erwarten, Vali Höll? „Da geht’s natürlich auf “, sagt sie und lacht. „Ach, keine Ahnung. Weißt du, alles hat seinen Grund. Ich glaube extrem an Karma. Also irgendwann...“