Der Fall Flückiger ist abgeschlossen. Der Schweizer Elite-Mountainbiker wurde endgültig und von allen Vorwürfen der Verletzung von Anti-Doping-Bestimmungen freigesprochen. Für Mathias Flückiger geht damit ein mehr als zweijähriger Kampf um seine Rehabilitation als sauberer Radsportler zu Ende.
Sportlich ist Flückiger schon länger zurück. Nach seiner ungerechtfertigten Doping-Sperre meldete sich der Schweizer mit seinem fünften Platz bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris eindrucksvoll zurück und machte unmissverständlich klar, dass er sich vollständig von diesem Rückschlag erholt hat.
Währenddessen lief der Prozess gegen ihn weiter. Die Schweizer Anti-Doping-Behörde Swiss Sports Integrity (SSI) hat nun jedoch endgültig auf einen Weiterzug an den Internationalen Sportgerichtshof TAS verzichtet, um die aufgehobene Sperre und einen Freispruch Flückigers anzufechten. Jetzt hätten zwar der Radweltverband UCI und die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA noch die Möglichkeit für einen Gang ans TAS gehabt. Die dafür gesetzten Fristen ließen beide Organisationen jedoch verstreichen.
Damit geht für Flückiger der Kampf gegen die Dopinganschuldigen zu Ende: "Die Belastung in den letzten zwei Jahren war unglaublich groß. Die Bewältigung dieses Falles, mit unendlich vielen Hindernissen, war der mit Abstand schwerste und längste Wettkampf in meiner Karriere. Ich bin dankbar, dass ich meine Familie, meine Freundin und ein unglaublich gutes Team an meiner Seite hatte. Sie haben es möglich gemacht, dass am Ende die Wahrheit siegte."
Aus Flückigers Sicht gab es mehrere Möglichkeiten, wie das Zeranol in seiner Probe vom 5. Juni 2022 gemessen werden konnte: Eine Verunreinigung über Fleisch aus Brasilien, Gifte von Schimmelpilzen bei der Einnahme von Getreide oder massive Fehler bei der Probeentnahme, dem Transport und der anschließenden Lagerung.
Außerdem habe es nie eine verwertbare Probe gegeben, geschweige denn eine positive A-Probe, wie dies immer wieder fälschlicherweise behauptet wurde. Bei der A-Probe wurden lediglich 0,3 Nanogramm Zeranol pro Milliliter gemessen, ein Wert nahe der Nachweisgrenze und weit unterhalb des Grenzwertes der WADA von 5 Nanogramm pro Milliliter.
Weil aber unterhalb des Grenzwertes keine Probe als "Abnormal Finding" (positiv) bezeichnet werden darf, sondern als "Atypical Finding" (atypischer Fund) gilt, hätten den Regularien zufolge zwingend weitere Untersuchungen vorgenommen und der Athlet einbezogen werden müssen. Und da es nie eine "positive A-Probe" gab, habe Mathias Flückiger formell auch gar keine Öffnung der B-Probe verlangen können.
Der Olympiazweite von Tokio und Fünftplatzierter in Paris 2024 wurde – und so hielt es die Disziplinarkammer (DK) von Swiss Olympic in ihrem Urteil fest – Opfer zahlreicher Fehler: Es lagen grobe Verfahrensverstöße vor, welche zur generellen Nichtigkeit und damit Unverwertbarkeit der Probe führten.
Hinzu kommt, dass die bei Flückiger jeweils fünf Tage vor und fünf Tage nach dem 5. Juni 2022 korrekt genommenen Proben und seine Haaranalyse negativ waren. Seine Rehabilitation als Profi-Radsportler ist dem Schweizer Mountainbiker gelungen, aber sie hat ihn jetzt fast zweieinhalb Jahre gekostet – für Flückiger viel zu lange: "Ich bin stolz, dass ich nie aufgegeben habe. Dass ich die Kraft hatte, so lange an die Gerechtigkeit zu glauben. Und dass ich über all die Zeit so viele mentale Rückschläge wegstecken konnte."
Enttäuscht ist Flückiger von den abgestraften Schweizer Institutionen: Weder die Anti-Doping-Agentur SSI noch der Verband Swiss Cycling, der den Fall als "positive Probe mit Anabolika" überhaupt erst an die Öffentlichkeit kommuniziert hatte, zeigten sich in irgendwelcher Form reuig, einsichtig oder sich eines Fehlers bewusst und verfolgten offenbar die Taktik "Gras drüber wachsen lassen" zu wollen.
Es freut Mathias Flückiger daher sehr, dass sich der Exekutivrat des Schweizer Sportverbands sowie Olympischen Komitees Swiss Olympic entschieden hat, den Fall Flückiger aufzurollen: "Mir geht es darum, die Abläufe und die Verantwortlichkeiten zu verbessern. Denn das System hat in meinem Fall massiv versagt, und zwar mehrfach. Es muss sichergestellt werden, dass es nie mehr einen solchen Fall im Schweizer Sport gibt. Ich hoffe, dass Swiss Olympic die Weichen für eine lückenlose Aufarbeitung des Falles stellt."
Im Urteil der DK wurde SSI zur Zahlung der Verfahrenskosten von 3000 Schweizer Franken (umgerechnet etwa 3225 Euro) und einer Entschädigung von 43.380,45 Franken (knapp 46.650 Euro) an Mathias Flückiger verpflichtet. Dieser Betrag läge jedoch weit unten den tatsächlichen Kosten, die Mathias Flückiger angibt, im Laufe der letzten zwei Jahre ausgegeben zu haben. Dazu kämen die entgangenen Prämien und Sponsoring-Einnahmen sowie die persönlichen Aufwendungen.
Für den Fall Flückiger heißt das, so klingt es aus seiner Pressemeldung am Ende heraus, dass er sich wohl doch etwas länger zieht – mit der Aufarbeitung von Swiss Olympic und auch für Flückiger selbst, der auf dem finanziellen Schaden nicht sitzen bleiben will.
Als Flückiger im letzten Jahr das erste Mal seit den Dopingvorwürfen vor die Presse trat und seine Geschichte erzählte, war es ihm besonders wichtig, seinen Fall aufzuklären: “Was mir widerfahren ist, kann jeder Schweizer Sportlerin und jedem Schweizer Sportler passieren. Es darf kein zweites Schicksal wie meines geben.” Mit dem Schicksal meint er die vermeintliche positive Dopingprobe vom Schweizer Verband am 05. Juni 2022, die bei den Schweizer Meisterschaften in Leysin genommen wurde und durch die er provisorisch gesperrt wurde (BIKE berichtete).
Am 19. März 2023 gab Flückiger sein richtiges Comeback im Rahmen des Schweizer Saisonauftaktrennens in Gränichen. Die Vorbereitungen liefen zu der Zeit auf Hochtouren. Zuvor fuhr er bereits als Sechster ins Ziel beim Rennen im spanischen Banyoles. Aber nicht nur physische Fitness, sondern auch mit seiner Psyche will Flückiger im Reinen sein und so ist es ihm ein Anliegen aufzuklären: “Damit ich als Athlet befreit auf den Rennplatz gehen kann, muss ich zuvor meine Geschichte erzählen und wichtige Fakten zum Fall präsentieren.”
Worum ging es nochmal beim Dopingfall Mathias Flückiger? Am 5. Juni 2022 wurde Flückiger nach einer positiven Dopingprobe vom Schweizer Verband und seinem Team provisorisch gesperrt. Der Vorwurf: positiver Test auf eine anabole Substanz. Der Mountainbike-Profi äußerte sich nach 3 Wochen zu den Vorwürfen und wies diese zurück.
Bei der Substanz handele es sich um Zeranol, welches er nicht wissentlich zu sich genommen habe. Es wurden geringe Mengen dieser Substanz festgestellt, die sich aber auch durch den Verzehr von kontaminierten Fleisch erklären ließen. Die Menge der Probe wäre allerdings so gering gewesen, sodass sie nicht als positives, sondern als sogenanntes “atypisches” Ergebnis gewertet werden müsse. Darüber hinaus wurde Flückiger in zwei weitere Dopingtests wenige Tage nach dem eigentlichen Test negativ getestet.
Am 17. Dezember 2022 hob die Disziplinarkammer die vorläufige Sperre von Mathias Flückiger auf. Korrekt wäre es gewesen, die Probe in der Tat als atypisch zu bezeichnen. Demzufolge hätte es auch zu keiner provisorischen Sperre kommen dürfen, da eine positive Probe Voraussetzung für eine solche Maßnahme ist.
Zwar kann der Athlet jetzt wieder ins Mountainbike-Renngeschehen zurückkehren, aber Flückiger will mit seiner Geschichte auf Fehler im System aufmerksam machen: “Es geht mir nicht darum, zu urteilen oder zu verurteilen. Ich will aufzeigen, dass mein Fall zu einem Dopingfall wurde, obwohl es nie einen hätte werden dürfen.” Das finale Urteil in dieser Sache stand zu diesem Zeitpunkt allerdings noch aus.
Seit dem 18. August 2022 arbeitete Mathias Flückiger in München mit seinem Anwalt, Dr. Thilo Pachmann und seinem wissenschaftlichen Berater, Dr. phil. Nat. Matthias Kamber, den Fall auf, um zu einer Lösung zu kommen.
Bis dahin war allerdings noch kein finales Urteil gefällt worden und so zerrte die Ungewissheit an der Substanz von Flückiger: “Ich hoffe sehr, dass die zuständigen Instanzen meinen Fall so schnell wie möglich abschließen. Erst dann bin ich diese ständige, teilweise kaum aushaltbare Last endlich los.”
Er wollte wieder zurück auf die große Bühne des MTB Cross-Country-Rennsports. Für das damals kurz bevorstehende Swiss Bike Cup-Rennen mochte Mathias Flückiger nur eins: “...Mountainbiken! Mit uneingeschränkter Leidenschaft und mit uneingeschränkter Freude.”