Es ist einfach himmlisch. Man steht voller Vorfreude am Marathon-Start, um einen rum lauter begeisterte Radsportler, die auf einen Traumtag in den Bergen mit gigantischem Panorama hinfiebern. Und dann das: Schon nach wenigen Kilometern zwickt der Hintern. Aus dem Sattel gehen hilft bald auch nicht mehr und am Gipfel angekommen fühlt man sich, als würde Luzifer persönlich die Sitzknochen mit seinem Dreizack bearbeiten. Es brennt, als würde das eigene Sitzfleisch über dem Höllenfeuer schmoren!
Sitzbeschwerden gehören zu den häufigsten Problemen beim Radfahren. Je nachdem, welche Studie man bemüht, sind bis zu 91 Prozent der Bikenden betroffen. Als Hauptverdächtiger ist schnell der Sattel ausgemacht, doch dabei wird oft außer Acht gelassen, welchen Einfluss die Radhose auf den Sitzkomfort hat. Vor allem auf der Langstrecke kommt es auf das passende Polster und kleine, aber entscheidende Details an. Wir haben 22 Endurance-Hosen für Frauen und Männer im Preisbereich zwischen 70 und 270 Euro getestet und waren überrascht, wie gut die aktuelle Hosengeneration abschneidet.
Besonders auffällig: viele Hersteller fügen ihre Bib-Shorts mit so wenigen Nähten wie möglich zusammen und halten diese besonders flach, um Reibung zu verhindern. Nahtlose, breite Träger sind inzwischen Standard, angesetzte Beinabschlüsse wie bei Löffler die absolute Ausnahme. Je weniger verspielt die Hose im Detail ist, desto besser funktioniert sie unserer Erfahrung nach im Sattel. Manche Modelle kommen mit gerade mal einer Naht am Oberschenkel aus und die Beinabschlüsse rutschen selbst ohne klebriges Silikonband beim Treten nicht mehr hoch. Davon profitiert vor allem, wer gerne Strecke macht. Denn nach vielen Kilometern im Sattel können Silikonstreifen wie Peitschenhiebe auf der Haut brennen, Nahtknoten sich wie Nadelstiche anfühlen.
Auch bei der Wahl der Materialien lassen sich die meisten Hersteller nicht lumpen und verarbeiten edlen Zwirn. Hochwertiges Garn mit hoher Spannkraft und robuster Oberfläche umschließt den Träger mit angenehmer Kompression und fühlt sich dennoch geschmeidig und weich an – kein Vergleich mehr zu den oft labbrigen Stoffen der Vergangenheit.
Der Tatsache, dass auch immer mehr Frauen die Liebe zur Langstrecke entdecken, werden die Hersteller mit hochwertigen Damenmodellen gerecht – teils mit cleveren Details. Mussten sich Frauen bis vor wenigen Jahren oft mit Einsteiger- oder Bundhosen begnügen, gibt es inzwischen eine große Auswahl an Bib-Shorts, die den Herrenhosen ebenbürtig sind. Dabei spielt auch die weibliche Anatomie eine Rolle – etwa bei den Trägern. Die werden teils mittig, teils außen an der Brust vorbeigeführt, was vor allem bei üppigerer Oberweite ein Vorteil sein kann, wie unsere Langstrecken-Expertin Sandra Schuberth erklärt.
So genannte Drop-Tail-Konstruktionen erleichtern den Pinkelstopp – man zieht die Hose einfach über den Po nach unten. Und die Polster sind nicht mehr windelweich, sondern bieten über Stunden im Sattel eine echte Stütze. Bloß kein Druck Das ist auch bei den Herrenhosen der Fall. Plüschig weiche „Sofakissen“ findet man in diesem Test kaum mehr. Dichtere Schäume mit geringerer Höhe versprechen auch auf lange Sicht guten Support.
SQlab treibt diesen Trend mit seinem nur vier bis sechs Millimeter dünnen, ultrastraffen Polster (auch bei Löffler) auf die Spitze. Gut trainierte Ausdauersportler schweben damit wie auf Wolken – für Gelegenheits-Biker ist das aber definitiv nichts. Alles bestens also? Nicht ganz, denn manche Hersteller setzen immer noch auf Sitzpolster, die sich wie ein Marshmallow zusammendrücken lassen. Und da sehen wir schon Luzifer, wie er am Gipfel steht und seinen Dreizack schwenkt!
Seit unserem letzten Test hat sich einiges getan. Klar, mindestens 150 Euro für eine der Top-Hosen ist eine menge Geld. Dafür sind viele der Bib-Shorts extrem aufwendig gemacht: nahtlose Beinabschlüsse, die auch ohne Silikon in Position bleiben; straffe, robuste Materialien, die gleichzeitig ultra-bequem sind; nahtfreie Träger mit perfekter Spannkraft und Sitzpolster, von denen man auch nach Stunden im Sattel noch nicht aufstehen will. Da lohnt sich die Investition! - Stefan Frey, BIKE-Redakteur
Hier gibt’s sämtliche Teilnoten und die Gesamtnote der jeweiligen Hosen in der Übersicht. Den ausführlichen Test der einzelnen Modelle findet ihr unter dem Link weiter oben im Artikel.
Diese Details und Features sind uns während unseres Tests besonders ins Auge gestochen.
Wie sieht das ideale Sitzpolster aus? Weich und dick oder dünn und straff? Kommt ganz drauf an. Wir verraten, welche Faktoren bei der Wahl des Hosenpolsters die entscheidende Rolle spielen.
Genau wie beim Sattel spielt auch beim Sitzpolster die Breite eine wichtige Rolle. Diese muss zum individuellen Sitzknochenabstand passen. Typisch ist bei Frauen und Männern etwa ein Abstand zwischen zehn und vierzehn Zentimeter. Basis für die Wahl sollte immer eine Vermessung der Sitzknochen sein. Achtung: Manche Sitzpolster sind nach außen hin abgestuft und bieten nur auf einem schmalen Bereich den maximalen Komfort. Besser sind durchgängig dicke Hosenpolster.
Je mehr Stunden man im Sattel verbringt, desto „eingesessener“ ist der Hintern. Die Sitzknochen gewöhnen sich mit zunehmendem Training an die Druckspitzen und bekommen eine Art unempfindliche Hornhaut, die weniger schnell schmerzt als bei Untrainierten. Gut trainierte Biker werden daher immer besser mit einem dünnen und straffen Hosenpolster viele Kilometer abspulen. Auf kurzen Runden und für weniger Trainierte darf das Polster auch mal etwas dicker und weicher ausfallen.
Stufen, Höcker, Nähte – jede Unebenheit auf dem Sitzpolster kann auf Lange Sicht zu Druckstellen oder Reibung führen. Daher sollte das Sitzpolster möglichst eben und nahtfrei konstruiert sein. Ein kleiner Kanal als Aussparung in der Mitte kann eventuell Druckstellen im Dammbereich verhindern. Wichtig: Es sollte nicht zu viel Stoff im Polsterberiech sein, da sich sonst das bekannt schwammige Windelgefühl einstellt, sich das Material in Wellen legt, Scheuerstellen verursacht und Blutgefäße und Nervenbahnen einklemmt.
Dick und weich ist gleich bequem. Diesem Irrglauben sind schon viele Biker aufgesessen. Inzwischen haben viele Hersteller verstanden, dass es sich gerade gegenteilig verhält. Daher kommen bei den Endurance-Hosen auch zunehmend flachere und straffere Polster zum Einsatz. Dicke Polster mit geringer Dichte setzen sich auf Dauer schnell durch und verursachen dann häufig Druckprobleme im Dammbereich. Straffe Polster bleiben auch auf Dauer formstabil und geben den Sitzknochen mehr Support.