Es ist das langersehnte Wochenende. Endlich findet sich Zeit für ein Männer-Wochenende mit den erwachsenen Söhnen. Zwei Tage lang nicht viele hundert Kilometer voneinander getrennt, sondern ganz nah, eng an eng auf dem Campingplatz. Um die Familien-Zusammenführung perfekt zu machen, ist eine Tagestour geplant - der alten Zeiten Willen, aus Spaß an der Freude, als gemeinsames Erlebnis. Nichts Wildes, sondern einfach ein Vater und seine zwei Kinder zusammen unterwegs auf den Bikes. Dass noch vor Abfahrt ein Rahmen brach, hätte die unbezahlbare gemeinsame Zeit leicht in eine emotionale Schieflage bringen können. Zum Glück lässt sich auch ein Rad mit gebrochenem Rahmen wieder provisorisch fahrbar machen.
Fürs Camping-Wochenende mit der Familie ist das alte Endorfin VP-4-R SL ideal. Gut 15 Jahre alt und im Blickwinkel der damaligen Zeit im absoluten State-Of-The-Art-Aufbau: 26-Zoll-Laufräder, Rohloff-Getriebenabe, Lenkerhörnchen. Damit wurden bereits zahlreiche Pässe bezwungen, alpine Trails gerockt und Bikepacking-Trips durchgezogen, als “Bikepacking” noch gar kein Begriff war. Nun soll es seinen Piloten zum nächsten Supermarkt und mit einem Rucksack voller Dosenbier fürs Wochenende wieder zurück transportieren. Rund 100 Kilo sitzen im Sattel. Der hibbelige Dämpfer ist auf der geraden Schotterpiste durch den Kiefernwald gesperrt, um nicht seekrank zu werden. Auf halbem Rückweg erfolgt die Katastrophe. Ein leises Knacken als das Alu-Sitzrohr reißt, ein lautes Surren, als dessen oberer Teil plötzlich am Hinterreifen schleift. Für den Fahrer nur ein Schreck, für das Endorfin der Todesstoß - oder nicht?
Das Gefühl des Verlusts ist groß. So viele prägende Erinnerungen hängen an dem Bike. Das alte Schätzchen ist am Ende. Der Traum der Vater-Sohn-Tour ist geplatzt. Es ist nicht nur der Rahmen, der in diesem Moment bricht, es ist auch das Liebhaber-Herz. So ein Totalschaden ist schwer zu akzeptieren. “Wenn man das Bike doch wenigstens für dieses Wochenende noch fahren könnte!” Dieser Wunsch lässt die Bike-verrückte Familie nicht los und gemeinsam beginnen die Drei nach einer Lösung zu suchen. Die technischen Mittel auf dem Campingplatz sind begrenzt. An Schweißen ist nicht zu denken. Eine äußerliche Versteifung der Bruchstelle fällt aufgrund mangelnden Materials aus. Auch lässt sich das vordere Rahmendreieck nicht weit genug aufbiegen, um einen dicken Ast als interne Versteifung in den Rahmen zu pressen. Also müssen Kabelbinder, Draht und Panzertape herhalten.
Wie beim berühmtesten Fernseh-Tüftler der 80er ist die Situation auf dem Campingplatz schwierig und die Materialien sind profan. Die Schrauben der oberen Dämpferaufnahme sind rundgedreht und lassen sich mit dem zur Verfügung stehenden Werkzeug nicht mehr lösen. Durch die Demontage des unteren Dämpferbolzens lässt sich das Federbein um 90 Grad drehen. Die Rotation der großen Umlenkwippe wird jetzt nicht mehr durch den Hub des Dämpfers limitiert. Stattdessen lässt sich der Abstand zwischen den Montagepunkten fürs Federbein minimieren. Eine Querstrebe der Wippe geht am Sitzrohr an, noch bevor dieses mit dem Hinterreifen in Kontakt kommt. In dieser Position liegen die zwei Enden der Bruchstelle plan aufeinander.
Wenn sich die Umlenkung in dieser Position fixieren ließe, wäre zwar die Geometrie des Bikes schwer beeinträchtigt, es bliebe aber vom Prinzip her fahrbar. Zunächst wird die Wippe also mit Kabelbindern ganz nach unten gezogen. Die Fixierung wird durch zwei Drähte aus dem Kofferraum des Campervans verstärkt. Die Bruchstelle ist nun zusammengedrückt. Um ihr zusätzlich etwas provisorische seitliche Stabilität zu geben, helfen mehrere Lagen eng gewickeltes Panzertape. Um den losen Dämpfer nicht aufs Unterrohr schlagen zu lassen, wird dieser ebenfalls mit einem Kabelbinder fixiert. Etwas Pappe von einer Apfel-Verpackung fungiert als Schutz für den Rahmen.
Apropos Rahmenschutz: Da die Wippe in dieser Position mit einer Querstrebe an den Rahmen anschlägt, besteht die Gefahr, dass dieser weiteren Schaden nimmt. Deshalb wird ein weiteres Stück Pappe im Zwischenraum verkeilt und mit zwei Kabelbindern gesichert. Ein kurzer Zwischentest zeigt: Die Not-Reparatur ist zwar nicht hübsch aber funktional. Das Rad mit dem gebrochenen Rahmen wirkt wieder stabil. Allerdings hat die maximale Kompression des Hinterbaus den Sitzwinkel extrem abgeflacht. Indem der Sattel ganz nach vorne geschoben wird, kann der Effekt abgemildert werden.
Ein erstes vorsichtiges Aufsitzen, eine erste Pedalumdrehung, ein wiedergefundenes Grinsen - der gebrochene Rahmen ist noch fahrbar. Natürlich sitzt es sich durch die mutierte Geometrie, wie der sprichwörtliche Affe auf dem Schleifstein. Zudem liegt das Tretlager nun so tief, dass in der untersten Pedalstellung kaum Bodenfreiheit bleibt. So oder so ist Vorsicht geboten, um die Frankenstein-Konstruktion nicht zu überlasten und nicht am Boden hängen zu bleiben. Eine echte Mountainbike-Tour ist so nicht mehr drin. Auch eine Nachahmung scheint nicht empfehlenswert. Der Rahmen ist dauerhaft kaputt.
Das Vater-Sohn-Wochenende aber ist gerettet. Ohne Probleme läuft das zum Hardtail degradierte Fully über Asphalt, Schotter und einfache Waldwege die 17 Kilometer zum nächsten Minigolfplatz und zurück. Auch, wenn der Rahmenbruch weiter schmerzt: Die Not-Reparatur war nicht nur für sich genommen eine aufregende Familienaktion, sie hat auch Hoffnung auf ein zweites Leben des Bikes gemacht. Lag daheim in der Garage nicht noch dieser alte 26-Zoll-Rahmen? Viele der Teile müssten sich übertragen lassen. Für andere gibt es bezahlbare Alternativen. Das Bike ist tot - es lebe das Bike!