Text: Kerstin Börß
In den verschiedensten Lebensbereichen tummeln sich die unterschiedlichsten Mythen. Das betrifft natürlich auch den Radsport. Oftmals existieren diese schon so lange, dass sie kaum noch hinterfragt werden. Allerdings handelt es sich immer noch um Mythen. Welche stimmen und welche sind frei erfunden? Wir wollen mit den folgenden sieben Fahrrad-Mythen aufräumen.
Dass die Beine beim Radfahren die Hauptarbeit leisten, daran lässt sich nicht rütteln. Allerdings lohnt es sich, den Blick zu erweitern. Ein großes Stichwort ist hier Rumpftraining. Und klar, jetzt winken schon viele ab: Die Zeit, die ich für meinen Sport habe, möchte ich radelnd und nicht mit Übungen verbringen. Doch wer die Körpermitte stärkt, wird positive Auswirkungen auf dem Fahrrad merken. Die Haltung bessert sich, Verspannungen und Schmerzen können vorgebeugt werden. Also ab auf die Matte in den Unterarmstütz!
Neben Krafttraining ist auch Yoga eine gute Ergänzung zum Radfahren, die Profis machen es vor. Demi Vollering, die in diesem Jahr die Tour de France Femmes gewann, hat Yoga fest in ihren Tagesplan integriert – um trotz Stunden auf dem Rad flexibel zu bleiben. Außerdem sei es ein wichtiger Baustein zur Regeneration, verrät die Niederländerin auf Instagram. “Es hilft mir, meinen Körper zu entspannen und meinen Geist zu beruhigen. Es lehrt mich, weiter zu gehen, meine Grenzen zu erweitern.” Denn neben Beinen, Rumpfmuskulatur und Co. braucht es auch den Kopf zum Radfahren, um neue Fitnessziele zu verfolgen und trotz brennender Oberschenkel am Berg weiterzutreten.
Kette rechts! Großes Blatt! Der Fahrrad-Mythos rund um die dicken Gänge hat viele prägnante Phrasen hervorgebracht. Wer also nur das große Blatt benutzt und die Kette ganz rechts hat, kämpft sich mit dem schwerstmöglichen Gang über die Straße. Das mag heroisch klingen. Aber ist die daraus resultierende niedrige Trittfrequenz wirklich die schlauste Wahl? Bei dieser Frage kann man sich im Lesen von Studien verlieren. Bei der niedrigen Trittfrequenz (Kette rechts) werden die Beinmuskeln meist mehr beansprucht, während bei hoher Frequenz das Herz-Kreislauf-System gefordert ist.
Deutlich spannender als die Theorie ist es, selbst einmal verschiedene Gänge und Trittfrequenzen auszuprobieren – sowohl im Flachland als auch am Berg. Was empfinde ich als anstrengend? Schaffe ich es, bei hoher Frequenz weiterhin gut auf dem Rad zu sitzen, oder wackle ich herum? Man kann zum Beispiel für 15 Sekunden die Trittfrequenz zählen und diese dann auf eine Minute hochrechnen.
Der slowenische Radprofi Matej Mohoric gewann im Herbst den Titel bei der Gravel-WM. Dort überzeugte er unter anderem mit seiner hohen Trittfrequenz, die er auch aufrecht erhalten konnte, als er die äußerst steilen Anstiege in Norditalien in Angriff nahm. Kürzlich sprach Mohoric mit der französischen Presse über den Faktor der Übersetzung. “Heutzutage ist es möglich, ein Rennrad mit einer leichteren Übersetzung auszustatten, die es uns erlaubt, die Pedale auch an steilen Anstiegen mit einer angenehmen Trittfrequenz zu drehen, die irgendwo zwischen 80 und 105 Umdrehungen pro Minute liegt.”
Draußen wird es kalt und ungemütlich – höchste Zeit, das Fahrrad in den Winterschlaf zu schicken. Frühestens im Frühjahr, dann, wenn die ersten Radklassiker über den Fernsehbildschirm flimmern, kann darüber nachgedacht werden, das Fahrrad wieder aus dem Keller zu holen. Stimmt der Fahrrad-Mythos, dass im Winter Off-Season ist? Natürlich ist nichts einzuwenden gegen eine kleine Sportpause. Und auch wenn es draußen mit Schnee und Eis gefährlich glatt wird, sollte das Rad nicht bewegt werden. Aber eine komplette Winterpause ist nicht nötig.
Denn wer radelnd mit Thermoklamotten und wärmenden Gedanken durch den Winter kommt, hat im Frühjahr mehr Spaß bei den Gruppenausflügen als diejenigen, die eine lange Pause eingelegt haben. Und wenn es dann doch zu fies draußen ist, bietet sich Indoor-Cycling an. Dank smarter Rollentrainer und detailverliebter Online-Trainingsplattformen verwandelt sich das eigene Wohnzimmer geschwind in die Champs-Élysées.
Ein extrem breiter und super gepolsterter Sattel, vielleicht noch mit Lammfellüberzug als Krönung: Wer so unterwegs ist, bekommt oft abwertende Blicke. Denn als allgemein verbreitete Weisheit gilt, wer das Fahrrad auch nur ansatzweise als Sportgerät versteht, braucht einen auffallend schmalen Sattel. Wenn man sich allerdings einmal anschaut, wie verschieden die Körper doch sind, die mit ihren Zweirädern durch die Gegend flitzen, sollte man schnell auf die Idee kommen, dass diese Regel nicht allgemein gültig sein kann. Und genau so sieht es mittlerweile auch die Fahrradindustrie mit deutschen Firmen wie SQlab oder Ergon als Vorreiter.
Das einzig wichtige Gesetz sollte nämlich lauten: Der Sattel muss ergonomisch passen. Und wenn nun bei einer Person die Sitzhöcker weiter auseinanderliegen, dann muss auch der Sattel eine breite Sitzfläche haben. Weitere Komponenten sind Aussparungen am Sattel, die Länge der Sattelnase und dann natürlich auch der Härtegrad. Wenn der Sattel die richtigen Maße hat und die Sitzknochen statt des Gewebes drumherum belastet werden, benötigt man kein Lammfell mehr. Ein passender Sattel ist maßgeblich für eine gute Sitzposition auf dem Fahrrad – eine, die zum Beispiel eine bessere Kraftübertragung und längere Ausfahrten ermöglicht.
Bei der gemütlichen Gruppenausfahrt gibt es immer diese eine Personen, die stresst, weil es ihr zu langsam geht. Dabei existieren gute Gründe für ein lockeres Tempo. Dr. Inigo San Millan ist zum Beispiel ein großer Verfechter dieses Trainings. Und der Spanier weiß, wovon er spricht. Schließlich arbeitet er als Head of Performance beim Radteam UAE Emirates, zu welchem auch der zweimalige Tour-de-France-Sieger Tadej Pogacar gehört. San Millan schwört auf stundenlanges Training im Grundlagenausdauerbereich oder auch in der Zone 2, wie er es nennt. Dass beim lockeren Fahren nebenbei auch noch Gespräche möglich sind, gehört wahrscheinlich nicht zu den Hauptargumenten von San Millan, ist aber für eine schöne Gruppenausfahrt definitiv ein Pluspunkt.
Nichts als Wahrheit steckt in diesem Fahrrad-Mythos. Denn Radfahren macht glücklich – ob in der Gruppe oder allein. Und wer dann noch ein Lächeln, ein Nicken oder einen kurzen Handgruß für die anderen Radelnden übrighat, verdoppelt die Fahrfreude.
Wer das Radfahren zum Abnehmen nutzen möchte, versucht, möglichst viele Kalorien zu verbrennen. Unterwegs mit Snacks wieder nachzuladen scheint da kontraproduktiv. Doch das Gegenteil ist der Fall: Wer mit nüchternem Magen losfährt und dann auch bei der Fahrt nichts zu sich nimmt, bekommt schnell die Quittung. Dann geht der Motor aus, und der berühmte Hungerast schlägt zu. Die Ausfahrt ist beendet, der Fitness ist so nicht geholfen. Nur wer sich gut verpflegt, kann auch stundenlange Ausfahrten genießen. Auf die Kalorienzahl kann man nach dem Radfahren wieder achten, wenn ein fettiges Abendessen mitsamt süßem Softdrink lockt.