Wer schon einmal eine mehrtägige Tour gefahren ist, weiß, dass besonders der Start in den zweiten oder dritten Tag sehr zäh sein kann. Man fühlt sich trotz reichlicher Mahlzeiten energieloser, vielleicht steif und verspannt, manchmal unkonzentrierter und zu allem Übel auch weniger motiviert. Ein harter Tag im Sattel ist und bleibt eine Anstrengung für den Körper, aber muss nicht zwingend den „Tag danach“ versauen. Das gilt natürlich auch für Tagesausflüge, deren Nachwirkungen man nicht unbedingt durch die komplette Bürowoche mitschleppen will.
Wie machen das eigentlich professionelle Radfahrer? Wettbewerbe wie das „Race across America“ dauern neun extrem lange Tage, eine Tour de France sogar 23. Liegt das ausschließlich am Fitnessgrad der Sportler, oder gibt es hier Geheimnisse in Sachen Regeneration, die man für sich zu Hause anzapfen könnte?
Radfahren kostet Energie, sowohl im Touren- als auch im Hochleistungssektor. Und weil man deutlich länger in die Pedale treten als zum Beispiel Joggen kann, sind die verbrannten Kalorienbeträge auch bei geringem Tempo durchaus beachtlich, teilweise so hoch, dass ein ungeübtes Verdauungssystem kaum hinterherkommt, selbst wenn jederzeit ausreichend Nahrung zugeführt wird. Bei Radprofis besteht der „Alltag“ um die Etappen herum deshalb auch zum großen Teil aus Essen – lieber ständig und kleine Portionen als eine Völlerei nach Ankunft. Bis zu 10.000 kcal sind das. Das wäre für Amateure nicht zu schaffen, der Rhythmus sollte aber der gleiche sein. Um seine Verdauung optimal auszunutzen, sollte die schon während der Fahrt mit leicht verdaulichen Häppchen gefüttert werden. Diätkost ist hier genauso kontraproduktiv wie schwere, fettige Abendessen. Ein Reisgericht mit Gemüse und Fisch, später eine Tüte gesalzene Nüsse und ein Trinkjoghurt wären eine top Kombi, wer sehr lange unterwegs war, kann gleich nach Ankunft den ersten Hunger mit einer Butterbrezel oder Ähnlichem bekämpfen.
Aber nicht nur die Kalorienspeicher wollen aufgefüllt werden. Noch wichtiger ist das Thema Flüssigkeit. Faustregel: Verspürt man heftigen Durst, ist es eigentlich schon zu spät! Je nach Anstrengung und Hitze verdunstet der Körper nämlich schneller Wasser, als er es aufnehmen kann. Die Regeneration beginnt hier also ebenfalls schon im Sattel, durch ständige Flüssigkeitsaufnahme auch schon VOR dem Durstgefühl. Einen halben Liter pro Stunde sollte man anpeilen, das erspart auch die ineffektive „Druckbetankung“ nach der Tour, hervorgerufen durch ein kurzfristig nicht zu stillendes Durstgefühl.
Gerade bei mehrtägigen Touren kann man sich einige Probleme ersparen, wenn man neben Wasser in der ersten Flasche in der zweiten einen Mineraldrink mitführt. Das kann ein Pulvergemisch oder eine Brausetablette sein, Mineralwasser reicht hier leider nicht mehr. Gute Erfahrungen haben wir hier mit Produkten von Xenofit, Hydraid und Sanct Bernhard gemacht. Nicht ohne Grund wird in vielen Zielbereichen von Marathonveranstaltungen oder Radevents alkoholfreies Weizenbier gereicht. Das ist quasi halb Getränk, halb Mahlzeit, leicht verdaulich und deutlich leckerer als jedes Pulver. Ein Glas dürfte tatsächlich sogar mit Alkohol sein, alternativ ein Glas Wein, kleine Mengen Alkohol fördern die Entspannung der Muskeln und der Seele, der Effekt schlägt aber bei höheren Mengen flott um! Was genau in welchem Weißbier steckt, lesen Sie im umfangreichen Test der TOUR-Kollegen ab Seite 50.
Wer keine Mineralien zusätzlich zu den Mahlzeiten aufnimmt, empfindet Speisen oft als geschmackloser, weniger salzig. Das ist eine Reaktion des Körpers, die mehr Salzaufnahme bewirken soll. Dem sollte man auch nachgeben. Natrium und Kalium holt man sich neben Kochsalz besonders aus Milchprodukten, Bananen, Knollengemüse, Nüssen, Kartoffeln und – schon wieder – aus Bier.
Um dem Beispiel der Radprofis zu folgen, so regelmäßig wie die Mahlzeiten stehen bei ihnen Massagen auf dem Zeitplan, nach Etappen grundsätzlich immer. Vorher sieht man sie, selbst nach sechsstündigen hochintensiven Rennen, sich auf stationären Bikes ausstrampeln. Beides ist für den Hobbybiker eher unrealistisch, kann aber doch abgespeckt die Regeneration top voranbringen. Statt bis zur Unterkunft Vollgas zu strampeln, sollte man ca. 20 bis 30 Minuten vorm Ziel den Druck rausnehmen. Mit einem kleinen Gang, wenig Widerstand und erhöhter Trittfrequenz fährt man sich sozusagen die angehäuften Stoffwechselprodukte aus den Muskeln und dem Blut raus. Die würden zwar auch theoretisch im Bett liegend abgebaut, aber elend langsam, und oft sind es genau die, die man am nächsten Morgen in den Muskeln spürt. Allgemein sollte man den Kreislauf nach dem Absteigen noch etwas in Gang halten. Wechselduschen (heiß/kalt) hilft hier ebenso wie ein gemütlicher Spaziergang.
Massieren lassen kann man sich natürlich in den meisten Tourismuszentren ebenso wie ein Radprofi, aber im Gebirge, auf dem Land oder im fernen Ausland wird’s eher schwierig, mal ganz abgesehen von den immensen Kosten.
Nicht ganz so effizient und ehrlich gesagt auch nicht so schön sind da Selbstmassagen. Zusammen mit leichtem Stretching beugt man damit gut der gefürchteten Steifigkeit am Tag danach vor. Beim Dehnen nicht übertreiben, es geht eher darum, jeden benutzten Muskel einmal richtig lang zu ziehen, und nicht, beweglicher zu werden. Einfach an den Fingern beginnend jedes Gelenk drei bis fünf Mal in jede natürliche Richtung bis zum Anschlag bringen und zurück. Das schließt den Nacken ein. Bei Hüfte und Schultern die Rotation nicht vergessen und grundsätzlich nicht mit Kraft oder Schwung arbeiten.
Wer genug Platz im Gepäck hat, kann eine kleine Faszienrolle einstecken oder, aktuell voll im Trend, einen vibrierenden Stab wie den Blackroll Releazer. Tipp: Klingt komisch, aber mit einem kompakten Nudelholz lässt sich zumindest an den großen Muskeln fast das gleiche Ergebnis erzielen! Bei wem Budget und Platz begrenzt sind, dem empfehlen wir, eine kleine Portion Babyöl mitzuführen. Mit ihm als Gleitmittel kann man die Fingerkuppen mit großem Druck längs der Fasern „durch“ die Muskeln schieben, das, im Wechsel mit Ausschütteln, löst Verklebungen der Faszien und wirkt fast wie eine Lymphdrainage – nur von herzfern Richtung Herz arbeiten.
Viel guter Schlaf ist der unverzichtbare Kernbaustein jeder Regeneration - Trainer-Weisheit
Wohl aufgefüllt und ohne große Verspannungen sollte der Körper fit für die kommenden Tage sein. Aber auch der Kopf beziehungsweise die Seele sollte erfrischt sein. Hier gibt es viele Taktiken vom Autogenen Training bis zu Musikgenuss. Wichtig: Natürlich sollte man den Tag und die Anstrengung resümieren, damit man sich bewusst wird, was man geleistet hat und woher eventuelle Wehwehchen kommen. Gleichwohl sollte der vorherige Tag so etwas wie die Standortbestimmung für den nächsten sein. Wie lange habe ich sitzend durchgehalten, wie viele Kilometer und Höhenmeter bewältigt?
Zusammen mit den äußeren Umständen ergibt das eine gute Grundlage für eine mögliche kommende Etappe. Aber: Man sollte auch abschalten! Mal nicht an das Rad, die Strecke, die Anstrengung und noch vor einem liegende Leistungen denken. Gesellige Runden (ohne nur über die Tour zu sprechen), kleine Unternehmungen, Lesen oder der Anruf zu Hause lenken ab und geben dem Kopf wieder Frische.