Thomas Weschta
· 05.10.2022
Fahrtechnik-Grundlagen reichen für zahmes Gelände vor der Haustür. Bikepark-Strecken verlangen dagegen nach fortgeschrittenem Können. Fahrtechnik-Experte René Schmidt verrät, wie man die klassischen Park-Hindernisse am besten bewältigt.
Die Dreifaltigkeit des Bikeparks sind Anlieger, Drops und die perfekte Linienwahl für die mehr oder weniger anspruchsvolle Strecke dazwischen. 170 Millimeter Federweg verzeihen noch ein paar Fehler, aber in wirklich rauem Gelände muss das Bike-Handling sitzen. René Schmidt, unser Fahrtechnik-Experte, erklärt daher, was es zu beachten gilt, wenn man die Stollenreifen aus der Godel schiebt - oder tatsächlich zum Traileinstieg hochgestrampelt ist.
Der Tausendsassa Schmidt mit perfektionistischer Veranlagung für Technik berät nicht nur die deutsche Cross-Country-Nationalmannschaft in Sachen Fahrtechnik. Mit seiner Firma René Schmidt Suspension Service wartet, repariert und optimiert der 38-Jährige Mountainbike-Fahrwerke. René hat über zehn Jahre Erfahrung als Downhill-Profi. Der sympathische Thüringer weiß nicht nur, wovon er spricht, sondern kann Fahrtechnik-Kniffe auch noch leicht verständlich erklären.
Auf einer naturbelassenen Strecke steht man oft vor der Frage, wie man einzelne Passagen am besten absolviert. Dafür gibt es keine Musterlösung. Hier die wichtigsten Grundsätze, die Dir dennoch bei der Linienwahl helfen.
Stellt man sich den Streckenverlauf von oben vor und zieht dabei die Ideallinie mit einem Stift nach, scheint alles klar zu sein. Die Realität sieht meist anders aus.
Sieh Dir das große Ganze sowie die einzelnen Feinheiten genau an und füge beides zusammen. In diesem Beispiel gibt es zwei Spuren – innen und außen. Die klassische, äußere Linie birgt ein paar Wurzeln, eine kleine Stufe und einen Anlieger am Kurvenausgang. Nimmt man diese Hindernisse in Kauf, kann man hier sauber einen Radius beibehalten und mit vollem Schwung drumherum rollen. Die innere Bahn ist frei von Hindernissen, scheint also eine plausible Alternative zu sein. Will man diese jedoch erwischen, muss man schon zu Beginn abbremsen und scharf einlenken. Das kostet erst mal Geschwindigkeit. Dafür steuert man dann unbeschwert kerzengerade auf den Anlieger am Kurvenausgang zu. Das Problem dabei: Hier muss man erneut verzögern, um spitz um die Ecke fahren zu können.
Es zeigt sich deutlich, der kürzeste und einfachste Weg ist nicht immer der beste. Die korrekte Ausrichtung am Ende der Kurve ist wichtig für eine schnelle und sichere Weiterfahrt.
Für eine schnelle und sichere Abfahrt sucht man immer nach maximalem Bodenkontakt und somit Grip.
Die kleine Stufe auf der äußeren Linie ist aus Fahrersicht nicht gut einsehbar. Davon abgeschreckt werden sie die meisten einfach abrollen. Bei genauerem Hinschauen fällt aber auf: Man kann den Baum zu Hilfe nehmen. Zum einen als Stütze – er wird sicher nicht umfallen. Zum anderen sammelt sich dahinter die ganze, aus der Mitte weggebremste Erde. Die Stufe ist hier nur halb so hoch, und das bedeutet mehr Bodenkontakt, weniger Erschütterungen am Lenker und höhere Kurvengeschwindigkeit! Außerdem ist hier auch gut zu erkennen, wie der Körper bereits dem Streckenverlauf der Makro-Linie entsprechend ausgerichtet ist. Wer sich für die augenscheinlich einfache Linie in der Mitte der Stufe entscheidet, fährt auch hier den kommenden Anlieger wieder spitz an, muss abbremsen und verliert Schwung. Kleiner Vorteil: Diese Variante lässt sich bei jeder Witterung sicher fahren.
Längswurzeln sind bei feuchten Bedingungen besonders kritisch. Versuche dann, sie möglichst zu meiden. Doch Wurzeln sind nicht immer Dein Feind. Sie können Dir auch helfen und in Kurven den nötigen Seitenhalt geben.
Wer im Bikepark fährt, kommt um Anlieger nicht herum. René verrät, wie man die künstlich angelegten Kurven am sichersten meistert und wertvolle Zeit spart.
Wer mit hohem Speed und mit blockierten Rädern bis tief in die Kurve bremst, fühlt sich zwar schnell, ist es aber nicht. Oberstes Gebot: Wähle die richtige Anfangsgeschwindigkeit. Im Anlieger korrigiert man den Speed bestenfalls noch dosiert mit der Hinterradbremse. Am Kurveneingang etwas zu investieren, lohnt sich. Suche Dir eine hohe Linie, am besten oberhalb der Hauptspur (Bild 1). Richte Deinen Kopf und Körper mit leicht angewinkelten Armen und Beinen in Kurvenrichtung aus, um bereits hier den Kurvenausgang anzupeilen.
Siehst Du diesen, kannst Du nach Passieren des Scheitelpunkts die Bremse lösen und Dich leicht in die Senke abfallen lassen (Bild 2). Scanne den weiteren Streckenverlauf und lasse Dich dabei nicht von nebenstehenden Bäumen, Steinen oder sonstigen Hindernissen ablenken. Hier geht es rein um die Weiterfahrt. In diesem Fall ist am Übergang zur Geraden eine kleine Erhöhung platziert. Nutze diese mit einem Extra-Push, um hier noch mehr Geschwindigkeit für die Strecke mitzunehmen. Gehe dann zurück in die Grundposition. Die Pedalstellung bleibt während des Turns waagerecht.
Mit einer möglichst hohen Linie am Kurveneingang umfährt man nervige Bremswellen, die einen nicht nur Grip, sondern auch Kraft kosten. Die Hauptlinie ist nicht immer die bessere Wahl!
Um sich einen Drop hinunterzustürzen, braucht es schon etwas Überwindung.
Je tiefer die Landung, desto größer der Nervenkitzel. René zeigt, wie es richtig geht.
Wie auch beim Anlieger wählst Du Deine Geschwindigkeit schon während der Anfahrt und rollst am besten, ohne zu bremsen, die letzten Meter bis zur Absprungkante. Der Blick visiert die Kante an. Sei entschlossen und unverkrampft. Die Kurbelstellung ist horizontal, das bringt Ruhe in die Anfahrt; Beine und Arme sind leicht gebeugt. Sobald das Vorderrad über die Kante rollt, streckst Du Arme und Beine dynamisch, der Körperschwerpunkt wandert leicht nach hinten. So verhinderst Du, dass sich die Front absenkt, und Du leitest eine kontrollierte Flugphase ein.
Jetzt kommt die Airtime: Beide Räder sollten nahezu auf einer Höhe segeln, der Körper ist in einer zentralen Position auf dem Bike. Du visierst bereits die Landung an. Für die Landung fährst Du Arme und Beine wie ein Fahrwerk aus. So können sie die Aufprallenergie optimal abfangen. Im Idealfall landest Du mit beiden Rädern gleichzeitig, um sofort für anstehende Steuer- oder Bremsvorgänge bereit zu sein. Heck- oder besonders frontlastige Landungen können vor allem bei höheren Drops zu Problemen führen. Fang am besten klein an. Das Gute am Drop: Die Technik bleibt immer die gleiche, egal ob 1-Meter- oder 5-Meter-Drop. Aber sie muss sitzen und richtig getimt sein.
Suche Dir einen guten Drop zum Lernen. Heißt: maximal 0,5 Meter mit einer langen, breiten Landung mit etwas Neigung. Die Anfahrt sollte lang und frei von Hindernissen sein, sodass Du Dich alleine auf den Drop konzentrieren kannst. Bevor Du anfährst, gehe zur Kante und schau Dir Absprung und Landung genau an. Das gibt Selbstvertrauen. Der Sattel ist ganz abgesenkt.