Jörg Spaniol
· 18.03.2021
Naturschutzgebiete, Biosphärenreservat, Wandertourismus – ein Jugend-Team und offene Behördenvertreter stecken in der Rhön trotzdem ein neues MTB-Revier ab.
Über sieben Jahre Anlauf brauchte das Projekt, jetzt ist das Ziel erreicht. Das neue Wegenetz in der fränkischen Rhön ist seit Ende April 2021 eröffnet. Im vergangenen Jahr haben wir die Beteiligten an dem Leuchtturmprojekt im Rahmen unserer Kampagne LOVE TRAILS – RESPECT RULES besucht und zum aktuellen Stand befragt. Lesen Sie hier die Reportage aus BIKE 11/2020 in voller Länge.
Naturschutzgebiete, Biosphärenreservat, Wandertourismus – klingt nicht so, als hätten Biker in der Rhön allzu gute Karten. Doch ein Jugend-Team und aufgeschlossene Behördenvertreter stecken ausgerechnet dort mit Einsicht und Ausdauer ein neues Bike-Revier ab.
Moritz' Hinterreifen ist ziemlich blank, und seinem Trainer ist das nicht entgangen. "Runtergefahren oder runtergebremst?", fragt Andreas Schubert seinen kecken Team-Fahrer mit hochgezogener Augenbraue. Und Moritz weiß schon mit neun Jahren, was er in diesem Moment zu sagen hat. "Runtergefahren, glaube ich …", sagt er ein wenig verlegen. Runtergebremst wäre definitiv die falsche Antwort.
Andreas Schubert, Abteilungsleiter und Trainer des Nachwuchs-Teams Schwarze Berge, hat sich nicht sieben Jahre für den Bike-Sport im Biosphärenreservat Rhön starkgemacht, um Imponierbremser heranzuzüchten. Denn, hätten sie es dann geschafft, den seidigen Trail anlegen zu dürfen, auf dessen nagelneuem Abschnitt Moritz gerade begeistert hin und herjagt? Direkt am Naturschutzgebiet – und das nicht nur mit Erlaubnis des Försters, sondern sogar mit dessen tatkräftiger Unterstützung?
Am Ende jahrelanger Planung, vor einigen Monaten, räumte ein schweres Forstfahrzeug die letzten Hindernisse aus dem Weg, und die Jungs und Mädels vom Team Schwarze Berge konnten mit Schaufel und Rechen, mit Hacke und Laubbläser losziehen, um fünf Kilometer Singletrails in die Wälder zu gravieren.
Sieben Jahre Anlauf stecken in dem Projekt, da klingen fünf Trail-Kilometer wenig beeindruckend – doch sie sind es. Sie stehen nämlich dafür, dass Biker in der Gegend ernst genommen und ihre Wünsche akzeptiert werden. "Die derzeitige Beschilderung war doch eher dafür da, die Biker auf Forststraßen zu schicken, wo sie den Jägern und Wanderern aus dem Weg sind", sagt Andreas Schubert.
Die vielen neuen, meist kurzen Trail-Abschnitte sind dagegen die "missing links" zwischen bestehenden Wegen. Mit ihrer Hilfe lassen sich sinnvolle, abwechslungsreiche Runden basteln. Weiß man das, wird ein richtig großer Schuh draus: 1000 Kilometer Bike-Strecken, verteilt auf 30 Runden, sind der Plan.
Dass die gerade mal 35 Mitglieder des Teams Schwarze Berge nicht der protzige FC Bayern des Radsports sind, könnte der Sache sogar genützt haben, denn wichtiger als Geld waren Enthusiasmus und gute Vernetzung – und da kann die Nachwuchstruppe punkten: In einer Gegend, in der die organisierte Freizeit für die Jungs Fußball und für die Mädchen Turnen heißt, hängen sich Eltern gerne rein, um die Kids aufs Bike zu bringen. Und wer lange genug auf dem Dorf wohnt, kennt für alle Fälle einen, der einen kennt, der weiterhilft.
Das geht schon beim Trainingsgelände des Vereins los: Auf dem kleinen Dienstweg kam die Erddeponie der Gemeinde Geroda günstig als Übungsplatz daher. Derzeit ist er etwas derangiert, denn Corona hat jedes Techniktraining verhindert. Die wuchernde Natur attackiert zusehends die kleinen Drops, Wippen und Slalomkurse. Den Weg zur windschiefen Materialhütte müssen sich Andreas Schubert und seine Schützlinge erst mal durch die Brennnesseln und Brombeeren bahnen.
Um den Platz wieder fitzumachen, müssten sie tagelang die Hacke schwingen, doch ihre Energie stecken sie derzeit lieber in den Streckenbau draußen im Wald. Fünf Jahre hat es gedauert, bis überhaupt etwas ging, denn zäher als jedes Brombeergestrüpp ist das Geflecht aus Zuständigkeiten und Interessen draußen im Wald.
Eine kurze und unvollständige Liste der Beteiligten: Rhönclub und Landratsamt, Naturparkverein und Jagdpächter, Waldbesitzer, Biosphärenreservat und Staatsforst, umrahmt von Bundes- und Landesgesetzen. Kaum zu glauben, dass da noch ein paar Biker Platz haben. Haben sie aber. Denn nicht überall, wo es um den Wald geht, stehen Holzköpfe herum.
Im Landkreis Bad Kissingen, im Süden der Bayerischen Rhön, scheint der Frontverlauf "Biker gegen den Rest der Welt" weitgehend unbekannt zu sein. Jürgen Metz ist Geschäftsführer des dortigen Landratsamtes. Metz fährt selbst Mountainbike, hat einen Sohn im Bike-Team und einen strategischen Blick auf den Trail-Bau: "Es geht hier auch um Regionalentwicklung und das gleich auf zwei Ebenen", sagt er. "Ein Aspekt ist das Freizeitangebot – auch für Fachkräfte, die hier hinziehen sollen. Und natürlich entwickelt es den Tourismus weiter. Es wurde Zeit, die Strecken den Entwicklungen des Sports anzupassen. Selbst Touren-Fahrer sind ja nicht mehr zufrieden, wenn sie nur auf Schotterstraßen biken können."
Einfach die vorhandenen Wanderwege unter die Räder zu nehmen, kommt nicht überall in Frage. Denn die Rhön, ein beliebtes Wandergebiet, wirbt mit mehreren Premium-Wanderwegen. Und so einer zeichnet sich auch dadurch aus, dass auf ihm keine Biker fahren. Dazu kommen etliche Naturschutzgebiete, zum Teil mit strengen Betretungsregeln.
Hier Trails durchmarkieren? Kein Gedanke. Dass sie keinen Bikepark ins Biosphärenreservat Rhön zimmern wollten, darüber waren sich Biker und Entscheider ohnehin einig. "Die Region steht für sanften Tourismus, und auch vom Gelände her ist das keine Gegend für Enduro-Fahrer", erklärt Jürgen Metz. Lenkerbreite Natur-Trails ohne gebaute Hindernisse sind das Ziel, so rau oder so flowig, wie der Untergrund es eben hergibt. Doch wohin mit diesen Trails für konfliktarmen Fahrspaß?
Wenn jemand Joachim Urbans Handynummer wählt, ruft der Grauspecht aus dem Smartphone. Urban ist der Revierförster in Oberbach und kenntnisreicher Naturfreund. Ein Drittel seines Reviers sind Naturschutzgebiete. Doch Urban ist auch Mountainbiker. Eine lange Trail-Passage führt durch "seinen" Wald, um eine kritische Wanderwegpassage zu vermeiden.
Eine sogenannte Rückegasse, eine Schneise für die Holzabfuhr im Nutzwald, hat er den Bikern dafür abgetreten. "Ein bisschen Eigeninteresse mag auch dabei sein", grinst er, "aber letztlich geht es darum, die Nutzer zu lenken. Es ist besser, wir machen das, als wenn jemand wild irgendwas postet, und dann geht die Post ab, mitten im Naturschutzgebiet. Ein Verein wie das Team Schwarze Berge ist da für uns ein guter Partner: Zum einen findet hier eine sehr positive Verhaltensschulung statt, und zum anderen erreichen wir über die junge Generation auch die Älteren."
Ein paar dicke Bäume und einen fiesen juristischen Brocken mussten die Beteiligten dafür aus dem Weg räumen: die Frage der Haftung im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht. Denn, während die Verantwortung für bestehende Wege klar geregelt ist, sind angelegte Trails Freizeiteinrichtungen. Da muss verhandelt werden, wer einspringt, wenn etwas passiert. Joachim Urban klingt erleichtert: "Ich glaube, wir beschreiten da neue Wege. Zumindest zum ersten Mal in Bayern hat das Landratsamt den Vertrag unterzeichnet."
Noch fehlen die Markierungen, noch sind die Trails nicht in Karten verzeichnet. Doch mit geklärter Haftungsfrage kann Andreas Schubert seine Jungs und Mädels ganz optimistisch zu den Trailtools, dem Rechen und dem Laubbläser in der Bretterhütte, schicken. Noch fehlen zwei Kilometer freigelegter Waldboden.
Das sind viele Arbeitsstunden für Nils und Maria, Tilman, Samuel und die anderen vom Team und die Schüler der Bike-AG an der Brückenauer Realschule. Dass ein bisschen Plackerei dazugehört, findet auch Teamchef Andreas: "Wer einen Trail selbst anlegt, wird ihn ganz anders pflegen als ein kommerzielles Angebot", sagt er und schaut auf die schlanke Linie zwischen den Buchen: "Und die beste Pflege für einen Trail ist es, ihn zu befahren."