Der 23. Mai 1915 ist ein Sonntag. Eigentlich ein heiliger Tag. Doch an diesem Tag erklärt Italien Österreich-Ungarn den Krieg – und so bekommt der Erste Weltkrieg einen weiteren schrecklich-schönen Schauplatz: die Berge zwischen Stilfser Joch und Sexten. „La Grande Guerra“, wie die Grausamkeit jenseits des Brenners euphemistisch-zynisch heißt, wurde jahrelang von beiden Seiten vorbereitet: man hat monströse Festungen auf Berggipfel gemauert und Unmengen todbringender Geschütze auf 2000 Meter Höhe gewuchtet.
So wie am Monte Verena. Die Italiener nennen den Berg stolz „Dominatore degli Altipiani“ – Herrscher über die Hochebene. Von hier oben feuern die italiener am 24. Mai 1915 um 3 Uhr 55 die erste Granate des Gebirgskrieges ab. Ziel: die österreichisch-ungarischen Geschützstellungen in Lusern. Das Gegenfeuer lässt nicht lange auf sich warten und schon am 12. Juni – also gerade mal 20 Tage nach „Inbetriebnahme“ – wird das Forte Monte Verena quasi dem Erdboden gleichgemacht. Die 49 dort stationierten Soldaten lassen dabei ihr Leben. Es sollten die allerersten von Hunderttausenden im Gebirgskrieg zwischen 1915 und 1918 sein. Soweit zur höllischen Seite der Sette Comuni.
Himmel: 23. Juni 2024 Es ist wieder ein Sonntag. Ich stehe mit meinen Kumpels Markus und Arno am Gipfel des Monte Verena. 2015 Meter über den Dingen. Weit im Westen kann man Lusern erkennen. Und die Hochebene von Costa Alba. Von dort schlugen die 385-Kilo-Granaten mit 1200 Stundenkilometern ein. Abgefeuert von einem Geschütz mit dem zynischen Spitznamen „schlanke Emma“. Den Einsatz der „dicken Berta“ erkannte man wohl als unnötig…
Aber der Krieg ist lange vorbei. Bei aller Demut – wir drei können nichts für den Irrsinn unserer Urgroßväter. Wir feiern lieber Freiheit und Brüderlichkeit. Markus ist Österreicher, Arno Südtiroler, ich Deutscher. Zusammen wollen wir eine der interessantesten Ecken im Veneto entdecken: die Sette Comuni, die Sieben Gemeinden. Wollen an einem verlängerten Wochenende drei Touren fahren, die einen guten ersten, wenn auch längst nicht erschöpfenden Einblick in dieses höllische Himmelreich geben.
Wer vom Hauptort Asiago hier hoch auf 2015 Meter Seehöhe will, braucht ganz schön Schmackes. Oder wie wir E-MTBs. „Lass uns direkt über die Piste hochfahren“, schlägt Markus an der Talstation des leicht skurrilen Skigebiets namens „Verena 2000“ vor. Also Turbo-Modus rein, Oberkörper über den Lenker und hoch die sausteile schwarze Piste! Zwanzig Minuten Schwerstarbeit für Mensch und Macchina, dann stehen wir oben. Und schauen ins E-Bike-Paradies: Im Norden streckt sich die Cima di Vezzena keck in den Wölkchenhimmel. Im Süden – und schier zum Greifen nah – bricht die Cima di Campolongo mehrere hundert Meter senkrecht ins Valle d’Astico ab.
Auch hier versteckte sich vor gut einem Jahrhundert ein gewaltiges Gipfelfort vor feindlichem Feuer. Auch hier wie am Monte Verena: vergebens. Wer zum ehemaligen Forte hochkurbelt, kann in friedlicher Seelenruhe die vielen Gänge, Tunnels und Hallen erkunden. Wie am benachbarten Monte Verena ist auch die Cima di Campolonga eine Art Freilichtmuseum. Wer den Schrecken mit eigenen Augen sieht, will, dass er nie wieder geschieht.
Hölle: Wer gut sieht, wird auch gut gesehen. Das müssen die beklagenswerten Soldaten anno 1915 auf dem Beobachtungsposten namens Forte Spiz Verle am eigenen Leib erfahren. Der Ausguck wird von Österreich-Ungarn direkt auf den Felsgipfel der Cima di Vezzena gebaut – und von den Italienern vom zweiten Tag des Grande Guerra an pausenlos beschossen. Über 6000 Granaten werden zwischen Mai 1915 und Kriegsende auf den exponierten Spähposten 1400 Meter über dem Valsugana abgefeuert. Die Hölle für die 46 Mann Besatzung.
Einige Hundert Meter tiefer, im Forte di Busa Verle, sind 236 Mann stationiert. Einer davon heißt Luis Trenker. Später wird der Grödner ein weltbekannter Schauspieler und Regisseur. Im Gebirgskrieg ist er einfacher Soldat. In dem autobiografischen Roman „Sperrfort Rocca Alta“ verarbeitet er zwanzig Jahre nach Ende des Gebirgskriegs seine schrecklichen Erlebnisse.
Himmel: Die 110 Jahre alten Militärstraßen, der Sette Comuni sind oft Meisterwerke der Baukunst. Und nie über zehn Prozent steil. Also perfekt für Mountainbiker, um schnell und effizient bis zum Gipfel zu kurbeln. Siehe Verena, Campolongo und Vezzena. Meine beiden Mitstreiter scharren bei all dem Schotterstraßengerumpel aber schon mit den Hufen. Sie wollen Trails. Zugegeben: Die Hochebene der Sieben Gemeinden ist viel mehr Militärstraßen- als Trail-Land. Aber mit ein wenig Spürsinn und Pioniergeist finden sich auch hier ausgesprochen nette Schmalwege. Wie an der Cima di Vezzena. Arno checkt an der weiten Schotterkehre schnell das geradeaus weiterführende Weglein und streckt den Daumen nach oben. Also endlich: Trails! Und gar nicht mal so schlechte.
Drei Stunden später: Wieder zurück im Hauptort Asiago, kehren wir im „Gran Caffè Adler“ ein. Und fühlen uns in die Belle Époque der vorletzten Jahrhundertwende zurückgebeamt. Das Holz in dem historischen Prachtbau der k.u.k-Monarchie ist dunkel, die Aschenbecher aus Stein, die Vorhänge bleischwer. Und am Nebentisch sitzt ein Tattergreis. Über ihm hängt ein Wandspruch in wunderlicher Sprache. „Z’baibe boda nètt straitet, dar hunt boda nètt pèllt, di khatz boda nètt vånk maüs, mochtmase nètt haltn in haus.“ Auf deutsch: „Eine Frau, die nicht schimpft, einen Hund, der nicht bellt, und eine Katze, die keine Mäuse fängt, sollte man nicht im Haus haben.“
Das ist Zimbrisch, weiß Arno. Eine fast vergessene Sprache, die vor Urzeiten aus Bayern in die italienischen Südalpen kam – vor allem in Lusern und in den Sieben Gemeinden. In Roana, einer der „Siben Komoin“, sprechen noch etwa 50 Menschen Zimbrisch. Und die sterben langsam aus. Doch drüben in Lusern lernen Grundschüler die Sprache wieder.
Der Sprung der Grenadiere. Was sich für den unbekümmerten Bike-Touristen nach netter Zirkusnummer anhört, entpuppt sich als Horrorgeschichte: Vor 110 Jahren hat der Monte Cengio als südlichster Sperrriegel der Sette-Comuni-Hochebene große strategische Bedeutung. Wer den Monte Cengio beherrscht, beherrscht das 1000 Meter tiefer gelegene Valle d’Astico. Also bauen die Italiener Nachschubwege in den senkrechten Fels. Sterben müssen sie dennoch. Denn als sie im Juni 1916 in ihrer Felsgalerie von den Österreichern eingekesselt werden und keine Munition mehr haben, sehen einige Grenadiere nur noch einen Ausweg: Einen Angreifer packen und mit ihm in die Tiefe springen. Wie verzweifelt kann der Mensch sein?
Himmel: Markus, Arno und ich flüchten vor einem Donnerwetter ins Rifugio al Granatiere. Das Schutzhaus sieht genauso aus, wie eine Kneipe hinterm Nirgendwo aussehen muss: Kaugummi-Automat und Fliegenreste, beides aus den Achtzigern. Eine Klettergruppe feiert feuchtfröhlich ihren Gipfelsieg. Und ein spindeldürrer Kellner kredenzt Wurstbrote, Lemon Soda und Caffè. Genau das liebe ich: no style, aber eine Überdosis Herzlichkeit. Hier könnte ich den ganzen Tag sitzen. Einziges Problem: Wir haben noch 1000 Tiefenmeter unter uns. Auf einem Trail – doch wir müssen warten, bis der Himmel draußen wieder friedlich wird.
Ich mag Bike-Regionen, die was zu erzählen haben. Wer mit offenen Augen und Interesse an Land, Leuten und Kultur unterwegs ist, wird die Sieben Gemeinden lieben! - BIKE-Tourenautor Andreas Kern
Die Sette Comuni – oder auch: die Hochebene von Asiago – liegen zwischen 700 und 1200 Metern Höhe. Als Frontgebiet des Ersten Weltkriegs ist sie durchzogen von historischen Militärstraßen - ein Paradies für klassische Tourenbiker.
Die Anreise mit Bahn und Bus ist kompliziert und nicht empfehlenswert. Mit dem Auto erreicht man die Sieben Gemeinden am schnellsten über: Brenner-Autobahn, Ausfahrt Trento-Nord, am Caldonazzo See vorbei und auf dem Kaiserjägerweg zum Passo di Vezzena hinauf. Von dort nach Asiago, zum Hauptort der Hochebene (ab München 387 km).
Dank der südlichen Lage dauert die Tourensaison rund um Asiago von Anfang Mai bis weit in den Oktober (beste Tourenzeit!). Nur in den Hochlagen rund um die Zweitausender Cima Portule, Cima Dodici und Monte Ortigara kann Alt- bzw. Neuschnee das Tourenglück davor und danach einbremsen.
Die Hochebene der Sieben Gemeinden ist nicht nur der Himmel für Mountainbiker, sondern auch für Kulturinteressierte. Zwei Museums-Tipps für Schlechtwettertage: Das Istituto di Cultura Cimbra in der Via Romeo Sartori 20 in Roana und das Museo della Grande Guerra in der Via Roma 60 in Roana.
Wir haben nicht in Asiago, sondern im Valle d’Astico übernachtet: „La Casa di Alice“ in der Via G. Pascoli 6 in Cogollo del Cengio. Das Doppelzimmer kostet dort inklusive Frühstück 90 Euro. Info: www.alicehouse.it
Erste Adresse für einen gepflegten Après-Bike-Apéro: das altehrwürdige Gran Caffè Adler im Herzen von Asiago auf der Piazza Carli 59.
Das analoge Navigieren mit Papierkarten hat auf der Hochebene einen großen Vorteil: Man findet auf den topografischen 1:25.000-Karten jede Menge Secret Trails. Zum Beispiel den vom Monte Cengio ins Valle d’Astico hinunter (Tour 3). Am genauesten sind die Tabacco-Karten.
Palazzo del Turismo, Via Millepini 1, Asiago, Tel. 0039/04 24/600290, www.asiago.to
Auf der Seite www.visitaltopianoasiago.com finden sich viele Vorschläge für Mountainbike-Touren rund um Asiago.
Cima di Vezzena, Monte Verena und Monte Cengio: Es gibt unendlich viel mehr Touren, aber diese drei Runden erzählen die bewegendsten Geschichten.
Startpunkt: Am Ristorante Ghèrtele (wie hier beschrieben) oder am Passo di Vezzena.
Große Panoramatour zum spektakulärsten Aussichtsberg der Sette Comuni – der perfekte Einstieg in einen Sieben-Gemeinden-Trip! Vom Ristorante Ghèrtele (1133 m) überquert man die Hauptstraße und kurbelt auf einsamen Militärstraßen zur Casare delle Mandrielle (1593 m) und an der Malga Camporosa (1451 m) vorbei zum Passo di Vezzena (1421 m). Hier beginnt die eigentliche Auffahrt zur Cima di Vezzena. Wer mit dem E-MTB unterwegs ist, sollte den Akkustand im Auge haben und ggf. im Hotel Vezzena nachladen. Nach wenigen Minuten kommt man an der Ruine des Sperrwerks Busa Verle vorbei. Achtung: Das Gebäude ist einsturzgefährdet! Anschließend arbeitet man sich auf einer Militärstraße 500 Höhenmeter zum Gipfel hinauf. Nach dem atemlosen 1400-Meter- Tiefblick rollt man entweder auf bekanntem Weg wieder hinunter oder wagt den Trail Nr. 205. Danach beginnt eine ständige Berg- und Talfahrt auf breiten Militärstraßen gen Osten zur weithin sichtbaren Cima Portule (2308 m), dem zweithöchsten Berg der Sieben Gemeinden. In der Nähe der Agritur Malga Larici (1625 m) beginnt die schnelle Abfahrt auf breitem Weg hinunter zum Ausgangspunkt am Ristorante Ghèrtele.
Schlüsselstellen: Die einzige harte Trail-Nuss gilt es auf dem Weg Nr. 205 zu knacken. Dieser beginnt in der dritten Kehre der Abfahrt vom Gipfel und zirkelt auf S2/S3-Niveau zum Hauptweg.
Einkehr: Auf der Passhöhe: Hotel Vezzena (hotelvezzena.com). Nach der Cima di Vezzena im Rifugio oder in der Agritur Malga Larici. Auch möglich: Ristorante Ghèrtele (ristoranteghertele.it) und die Malga Camporosa.
Startpunkt: Agritur Malga Campovecchio
Kurzer, aber knackiger Trip zu zwei aussichtsreichen und geschichtlich interessanten Gipfelfestungen: Vom Parkplatz der Agritur Malga Campovecchio (1593 m) rollt man auf dem Anreiseweg zwei Kilometer bergab zur Bocchetta di Campolongo (1536 m). Kurz vor dem Rifugio biegt man links ab und kurbelt die knapp 200 Höhenmeter durch Wald hinauf zum ex Forte di Campolongo. Nach der Besichtigung geht's auf bekanntem Weg bergab, dann in der markanten Rechtskehre geradeaus und auf dem Trail Nr. 810 in Richtung Caverna del Sciason. Durch Märchenwald geht’s wieder zum Rifugio Campolongo und auf bekanntem Weg hoch zum Parkplatz des Skigebiets. Mit dem E-MTB kann man die Skipiste hochdüsen. Bio-Biker folgen besser dem Fahrweg, der direkt an der Malga Campovecchio rechts abzweigt (Weg Nr. 820). Kurz vor den fünf markanten Kehren unterhalb des Gipfels treffen sich beide Auffahrten. Nach dem Sightseeing rund um den Gipfel nimmt man den bekannten Weg und fährt in der fünften Kehre geradeaus. Auf dem Weg Nr. 820 geht’s erst zur ex Batterie Rossapoan und anschließend via Malga del Quarti zurück zum Parkplatz an der Agritur Malga Campovecchio.
Schlüsselstellen: Zwischen Cima di Campolongo und der sehenswerten Höhle Caverna del Sciason sowie weiter zum Rifugio Campolongo warten im Märchenwald viele kleine S1- und S2-Stellen.
Einkehr: Chalet Grizzly an der Talstation des Skigebiets. Auf dem Weg zum ex Forte Campolongo: Rifugio Campolongo (auch Übernachtung mgl.). Am Gipfel des Monte Verena: Rifugio Forte Verena (www.rifugioforteverena.it).
Startpunkt: Wer in einer der Sieben Gemeinden übernachtet, startet die Runde am Rif. al Granatiere. Wer sein Nachtquartier im Valle d’Astico hat, startet in Cogollo del Cengio (wie hier beschrieben).
Spannende Querung der Cengio-Abbruchkante mit anspruchsvollem Trail ins Valle d’Astico: Von Cogollo (356 m) folgt man der alten Straße in unzähligen Kehren 900 Höhenmeter hinauf in den Weiler Giordani. Ein Asphaltsträßchen leitet in Richtung Westen zum Rifugio al Granatiere. An der Kapelle vorbei schmuggelt sich ein Militärsträßchen durch den Laubwald zu einem Platz mit Schautafeln. Ab hier erobert man auf steilem und anspruchsvollem Weg den Gipfel des Monte Cengio (1354 m). Kurz auf gleichem Weg zurück, dann durch mehrere Tunnels gen Süden. Auf dem schmalen Felsenweg geht’s zurück in die Nähe des Rifugio al Granatiere. Wem der Nervenkitzel reicht, kann eine Minute später am Rifugio sein. Wer noch mehr Tiefenrausch erleben will, fährt (und schiebt) auf dem Schmalweg Nr. 651 unterhalb der senkrechten Felsen gen Osten, um am Col Mandre quasi in Falllinie hinab nach Cogollo zu trialen. Ein echtes Abenteuer! Unterwegs gibt’s mehrere Notausgänge hinüber zum Auffahrtssträßchen.
Schlüsselstellen: Die Auffahrt zum Monte Cengio ist lang und anstrengend. Der Galerieweg selbst ist nicht besonders schwierig, aber sehr ausgesetzt! Auf der Trail-Abfahrt Sentiero 651 werden nur absolute Fahrtechnik-Chefs happy. Exaktes Hinterradversetzen in steilem Gelände ist Pflicht!
Einkehr: Das Rifugio al Granatiere am Monte Cengio ist die einzige Einkehrmöglichkeit.
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