Bike & Sail an Liguriens OstküsteBackbord-Trails

Harald Philipp

 · 01.09.2025

Louise Paulin, Tom Öhler und Harald Philipp sind selbst überrascht, dass sie die Trails der ligurischen Ostküste noch nie versucht haben.
Foto: Christoph Bayer

Die Ligurische Küste ist abgegrast, was neue Trails betrifft. Möchte man jedenfalls meinen. Doch dann war da dieses Treppen-Video und Harald Philipp ahnte: Mit Boot könnte östlich von Finale Ligure und Genua noch was gehen.

​So einen ganzen Winter in Finale zu verbringen macht schon Spaß. Monatelang war ich auf diesen perfekt gebauten Trails unterwegs. Achterbahn-Gekurve auf Erde, Fels und Stein – mehr Paradies braucht man als Mountainbiker eigentlich nicht, um die dunklere Jahreszeit zu überbrücken. Doch dann klickte ich auf diesen Instagram-Clip und mir wurde schlagartig klar: mir fehlt das Abenteuer. Unbekanntes oder gar Unfahrbares findet man in Finale Ligure nicht. Jedenfalls keinen solch spannenden Spot, wie in diesem Video auf Social Media.

Der Italiener ließ sich mit dem Boot an die Ostküste Liguriens, also zwischen Genua und La Spezia, schippern. Am felsigen Ufer bei Monesteroli stiegen er und seine Kumpels aus, um die wohl steilste und ausgesetzteste Freitreppe zu fahren, die ich je gesehen habe. Schon beim Begehen der Stufen blieben sie fassungslos an der ein oder anderen Schlüsselstelle stehen. Trotzdem zogen sie irgendwann die Abfahrt auf dieser Treppe durch. Das ging an vielen exponierten Stellen gut, doch dann endet der Clip mit Waschmaschinen-Bildern der GoPro – und einem harten Schnitt: Krankenhaus.

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Der Pilot war hart gestürzt und hatte sich dabei im Gebüsch einen Gartenzaun in den Oberarm gerammt. Ein Unglück in unfassbarem Glück, kann man da nur sagen. Das hätte auch ganz anders ausgehen können. Aber auch ein Weckruf für mich: Da draußen, gar nicht so weit weg, wartet etwas, das Antworten braucht. Also, wo genau ist diese Treppe? Die muss ich mir aus der Nähe anschauen.

Mit dem Zug fuhr ich nach Monesteroli. Die Treppe war noch schlimmer als im Video: Stufen wie Mauern, endlos, absurd steil. Keine Stelle, an der ich dachte: „Das wird schön.“ Zurück in Finale erfuhr ich, dass die Treppe wegen einiger erodierter Stufen ohnehin gesperrt ist. Auch für Wanderer. Doch mein Explorer-Gen ließ trotzdem nicht locker. In der steilen Küste der Cinque Terre muss es doch noch mehr geben...

Und so kam es, dass Davide Bassan, Skipper und MTB-Guide aus Molini di Triora, sich aufmachte und für uns einen Katamaran organisierte.

La Spezia: Möwen und Fender-Quietschen

Davide Bassan (Mitte) ist glücklicherweise nicht nur Bikeguide, er hat auch einen Segelschein und macht für uns den Katamaran klar.Foto: Christoph BayerDavide Bassan (Mitte) ist glücklicherweise nicht nur Bikeguide, er hat auch einen Segelschein und macht für uns den Katamaran klar.

Winter ist Werftzeit, viele Boote liegen fest. Unser Glück. So ist es gar nicht schwer, in La Spezia ein Boot zu chartern. Einen Skipper haben wir ja schon. Davide wird uns nach Monesteroli steuern, doch bei der Gelegenheit wollen wir auch gleich all die anderen Fragezeichen der ostligurischen Küste abklappern.

Die Hafenstadt empfängt uns mit Möwen, Fender-Quietschen und Dieselgeruch. Mit an Bord gehen: Tom Öhler, Trial-Weltmeister und seit zwanzig Jahren mein Partner für Unternehmungen, bei denen man vorher nicht weiß, ob man sie wirklich fahren wird. Außerdem reicht mir Enduro-Profi Louise Paulin ihr Bike aufs Boot. Die Schwedin wohnt seit fünfzehn Jahren in Finale, war in diesem Küstenabschnitt aber auch noch nie unterwegs. Und dann ist da noch Ceppa – Davides Fundhündin, die er irgendwann mal beim Biken aufgelesen hat. Sie stellt sich sofort breitbeinig vorn an den Bug des Schiffes, als wolle sie sagen: „Seekrankheit ist nur was für Landratten.“ Damit sollte sie recht behalten.

Na, schnuppere ich da etwa Seekrankheit? Hündin Ceppa hält uns für Landratten.Foto: Christoph BayerNa, schnuppere ich da etwa Seekrankheit? Hündin Ceppa hält uns für Landratten.

Portovenere, unser geplantes Ziel für heute, kommt bald in Sicht. Doch unser Skipper schüttelt den Kopf: „Bei dem ablandigen Wind und diesem Seegang können wir in dem Hafen nicht festmachen.“ So geht's für uns gleich unverhofft 50 Seemeilen weiter bis nach Lavagna, den nördlichsten Punkt der Tour. Die hohen Wellen heben den Katamaran sanft – und lassen bei jedem Aufsetzen das Deck scheppern. Dazu schneidet der eisige Winterwind in unsere Gesichter. Unter Deck wäre es sicher wärmer, aber daran möchte man bei der Schaukelei nicht mal denken.

Windstill ist es erst wieder im sicheren Hafen von Lavagna. Wir schlafen wie Babys in unseren Kojen. Die erste Frage, die sich für uns von nun an stellt: Welche Downhill-Trails zur Küste hinunter könnten auch bergauf funktionieren? Schließlich müssen wir ja erst mal zu den Trail-Einstiegen hoch kommen. In Sestri Levante probieren wir den ersten aus: eine Spur aus kompakter Erde, Slickrock-Platten und versandeter Kurven. Doch dann die ersten Spitzkehren. Bergab versetzt man hier später einfach das Hinterrad, aber bergauf muss man jetzt das Vorderrad versetzen.

Tiramisu: Ohne E-Antrieb wäre man auf diesem Trip definitiv verloren gewesen.Foto: Christoph BayerTiramisu: Ohne E-Antrieb wäre man auf diesem Trip definitiv verloren gewesen.

Also: Blick dorthin, wo man hin will, Ellbogen auf, Front lupfen, kurz tippen, setzen, weiter. „Ohne Motor wäre das hier Schiebe-Yoga“, sagt Louise. Mit dem E-Bike aber hat man die Möglichkeit die Rätsel solcher Passagen zu lösen: niedriger Gang, runder Tritt, kurze, saubere Impulse, keine Gewalt – und immer wieder dieser kleine, präzise Hopp, der die Linie öffnet. Wir suchen uns auf der Trailmap Aufstiege wie andere das Tiramisu auf der Dessertkarte: Da, wieder so eine steile Rampe mit zwei engen Kehren! Bergab unscheinbar, aber bergauf dürfte das wieder ein schönes Puzzle werden. Tom nennt es „Trial on Trail“. Ich nenne es „Warum habe ich in Kehren bisher immer zu viel Gewicht vorn gehabt?“

Doch jetzt kenne ich ja die Antwort: Weil ich zu selten das Vorderrad versetzt habe. Einmal rutscht mir dabei überraschend das Hinterrad weg. Es lässt sich aber mit einem kleinen Sidehopp wieder einfangen. Kurzer Lacher und weiter geht's. Auf diesem Trail bei Sestri lernen wir recht schnell, dass Fahrkönnen nicht nur eine Kombination von geschickten Bewegungen ist, sondern auch eine Haltung: ruhig atmen, vorausschauend die Linie scannen, akzeptieren, dass ein Fehlversuch kein Scheitern ist, sondern allenfalls eine Randnotiz.

Unseren nächsten Stopp gen Süden legen wir in Levanto ein. Wir starten östlich der Stadt, wieder mit dem gleichen Plan: Trail rauf, Trail runter. Die Überraschung: Fast jeder Trail, der runter Spaß macht, geht auch bergauf – erstaunlich gut sogar. Auch, weil Fußgänger die Sandsteinpfade durch Levantos Pinien- und Olivenbaum-Hänge bereits sanft abgeschliffen haben. Das gibt unseren Reifen so viel Grip, dass wir Rampen hochkurbeln können, vor denen wir später bergab richtig Respekt haben werden. Das Meer blinzelt links unten, die Reifen singen, die Hände werden ruhiger, die Bremse offener, der Blick weiter. Es fühlt sich an, als würde uns die Küste regelrecht einatmen.

Freie Fahrt durch Pinien- und Oliven-Haine. Es gibt aber auch Trails, die auf der Karte top aussehen, sich dann in der Realität als reine “Bösartigkeit” herausstellen.Foto: Christoph BayerFreie Fahrt durch Pinien- und Oliven-Haine. Es gibt aber auch Trails, die auf der Karte top aussehen, sich dann in der Realität als reine “Bösartigkeit” herausstellen.

Das Meer bestimmt den Zeitplan

Nach dem Abendessen verkündet Skipper Davide, dass wir wegen eines angesagten Tiefdruckgebiets heute noch losmachen. Der Himmel ist zwar klar, aber der Wind legt an Stärke und Kälte bereits zu. Wenn er auch noch dreht, werden wir in Portovenere wieder nicht festmachen können. Besser wir versuchen es heute noch. Die Überfahrt fällt wieder sehr ruppig aus. Vor zwei Tagen hätten wir uns noch an die Reling geklammert. Doch jetzt stehen wir im Boot wie alte Seebären. Ceppa rollt sich im Cockpit zusammen, wie sonst nur zuhause auf dem Sofa.

Es wird Mitternacht, bis wir im Hafen von Portovenere einlaufen. Beleuchtete bunte Häuser stapeln sich in den Hang, Burg darüber, Fischerboote davor. Wir hängen unter Deck die nassen Handschuhe zum Trocknen auf, wärmen uns mit einem heißen Tee auf und krabbeln dann müde in die Betten. Das leichte Schaukeln des Bootes und das Tak-tak der Mastfallen erledigt, was keine App kann – es schaltet den Kopf auf Schlafmodus.

Klingt traumhaft: Sentiero Nr. 1...

Am Morgen entdecke ich in der Karte einen Weg, der nach den Erfahrungen der letzten Tage vielversprechend, fast schon traumhaft, aussieht: der „Sentiero Nr. 1“ klettert erst steil zur Burg von Portovenere hinauf und zieht sich dann, immer noch steil, eine Art Ridgeline entlang bis zu einem Fort hinauf. Und wenn wir dann noch nicht genug haben, können wir ihm weiter über diverse Gipfel des Küstengebirges gen Norden folgen. Also da sollte nicht nur der Fahrspaß stimmen, sondern auch die Aussicht gigantisch sein. Doch die Wirklichkeit sieht leider ganz anders aus.

Wir erleben nach wenigen Metern: Karst mit eingebauter Bösartigkeit. Löcher und Risse im rutschigen Fels, blasige Steine und große Kanten – letztere natürlich immer dort, wo man gerade einen schnellen Pedaltritt bräuchte. Es dauert nicht lang und wir müssen die schweren E-Bikes schultern. Selbst Tom steigt ab, weil ihm das Stopp-and-Go in diesem steinernen Wasserfall von Absätzen auf die Nerven geht. Landschaftlich eine klare 10 von 10, aber fahrtechnisch ist der Weg wirklich ein Reinfall.

Als wir am späten Nachmittag fix und fertig wieder zurück am Boot sind, haben sich Wind und Welle gegenseitig schon wieder so aufgeschaukelt, dass wir den geschützten Hafen nicht verlassen können. Also bleiben wir noch eine Nacht hier, bevor es wieder zurück nach La Spezia geht. Zeit, um unseren Bike & Boat-Trip mitten im Winter nochmal Revue passieren zu lassen: Zwischen den Häfen ist das Meer wirklich ein schöner Pausenraum. Morgens riecht es nach Salz und Kaffee, mittags nach Seetang und Kette, abends nach Diesel und Pasta. Jetzt, im Januar, haben wir öfter gefroren als uns lieb war. Doch ohne diese Kälte wäre das Befahren der Trails gar nicht möglich gewesen.

Katamaran und Meer erweisen sich zwischen unseren Trail-Versuchen als chilliger Pausenraum.Foto: Christoph BayerKatamaran und Meer erweisen sich zwischen unseren Trail-Versuchen als chilliger Pausenraum.

Die Steilküste der Cinque Terre gehört seit 1997 zum UNESCO Weltnaturerbe. Sobald die Temperaturen steigen, tummeln sich auf diesen Pfaden so viele Touristen – da ist mit dem Bike kein Durchkommen. Man muss es eben akzeptieren: Ostligurien ist bike-freundlich, aber einige Spots sind auf dieser Küstenseite für Biker nun mal tabu.

Die Monesteroli-Treppe haben wir uns übrigens tatsächlich verkniffen. Offiziell bleibt sie auch gesperrt – und das ist gut so. Aber immerhin hat sie uns so neugierig gemacht, dass wir diesen Trip übers Meer in Angriff genommen haben. Mit Schaukelbett in Häfen, Papierkarten falten, Wege aufspüren und Trails in beide Richtungen denken. Manchmal findet man so sein Levanto, manchmal eben auch seinen Sentiero Nr. 1. Und manchmal ist es vielleicht nur eine Geschichte, die im Hafen beim Afterride-Bier besser klingt, als sie sich tatsächlich gefahren hat.

Das muss man wissen...

​Das Revier

Liguriens Ostküste erstreckt sich von Genua bis nach La Spezia. Ein Großteil davon gehört zu den Cinque Terre: Fünf Jahrhunderte alte Küstengemeinden, die in einer Steilwand kleben und daher seit 1997 zum UNESCO-Weltkultur- und -Naturerbe zählen. Entsprechend viele Touristen tummeln sich hier im Sommer sowohl in den Gassen, als auch auf den Trails. Wer hier im Winter mit dem Bike herkommt, braucht für die steilen und meist auch felsdurchsetzten Wege gute bis sehr gute Fahrtechnik.

So kommt man hin

Um die Orte der Ostküste und ihre Trails zu erreichen, braucht man nicht zwingend ein Boot. Auf halber Höhe pendeln zwischen den Küstenorten im dichten Takt auch Regionalzüge mit großzügigen Fahrrad-Abteilen. Vorteil: Im Zug lassen sich auch die Bike-Akkus wunderbar aufladen.

Die beste Zeit

Wie erwähnt, macht es keinen Sinn, die Trails im Sommer anzugehen. Die Wege sind ohnehin so technisch, dass man an Schlüsselstellen immer wieder anhalten muss. Kommen dann noch Wanderer-Karawanen dazu, für die man ständig anhalten muss, dürfte gar kein Flow und Fahrspaß mehr aufkommen. Beste Zeit daher: Dezember bis Februar.

Die besten Spots

Nach allen Trails, die wir entlang der Ostküste versucht haben, können wir folgende Spots empfehlen:

Kantig, felsig, aber schön griffig: Sestri Levante hat uns als Bikespot gut gefallen.Foto: Christoph BayerKantig, felsig, aber schön griffig: Sestri Levante hat uns als Bikespot gut gefallen.
  • Sestri Levante: Slickrock-Platten, kompakte Erde bieten guten Grip, Spitzkehren-Technik erforderlich bergauf und bergab.
  • Levanto: Überwiegend glatter, griffiger Sandstein; überraschend viele Downhills sind hier mit dem E-MTB auch bergauf schön fahrbar.
  • Lerici: Es ist das Heimatrevier von E-Enduro-Weltmeister Andrea Garibbo. Die Trails sind sehr verspielt, aber auch ziemlich rutschig.

Definitiv sparen, weil zermürbend unfahrbar, kann man sich dagegen leider den Sentiero Nr. 1 oberhalb von Portovenere. Klar gesperrte und verbotene Spots gibt es auch: Einmal die Unfall-Treppe aus dem Video in Monesteroli, aber auch die Trails rund um die Hafenstadt Portofino. Hier besteht ein klar verhängtes Bike-Verbot.

Das Monesteroli- Video

Der italienische Freerider und Slopestyler Torquato Testa hat das spektakuläre Treppenmonument von Monesteroli versucht. Seine Abfahrt samt Sturz kann man auf Youtube ansehen. Aber bitte auf keinen Fall nachfahren, die Treppe ist offiziell auch für Fußgänger gesperrt.

Bike & Sail-Video

Auch von unserem Trip entlang der ligurischen Ostküste hat Filmer Fabian Spindler ein Video gedreht. Es wird ab 22. September auf Youtube zu sehen sein.

Infos Cinque Terre

Alle Infos zu den Zügen, Unterkünften und Restaurants: cinqueterre.eu.com

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