Sabine Greber
· 26.04.2020
Der Spitzkehren-Kultpfad am Lago d'Idro liegt landschaftlich besonders schön. Er gilt aber auch als Messlatte, denn nach der Abfahrt wird die Frage kommen: "Und, wie viele Kurven hast Du geschafft?"
Ich gebe zu: Der 136-Kehren-Trail ist nicht mein Lieblings-Trail. Noch nicht. Aber er hat das Zeug dazu, denn ich werde ihm so oft auf den Pelz rücken, bis ich auch seine letzte verdammte Kehre im Sattel durchrollt habe. Beim ersten Mal habe ich nur sieben geschafft, beim zweiten Mal schon 13. Die Erfolgskurve geht also steil nach oben. Und wenn ich im Frühjahr das nächste Mal an den Idrosee komme, werde ich das Hinterradversetzen zu Hause schon so lange geübt haben, dass mindestens 80 Kehren klappen dürften.
Der 136-Kehren-Trail am Idrosee ist ein echter Klassiker mit Kultstatus. Gerade mal 45 Autominuten vom Gardasee entfernt, zackt sich der alte Militärweg den Monte Stino hinunter. Den Weg selbst würde wohl jeder an Lago-Trails gewöhnte Biker als "flowig" beschreiben: feiner Kiesel, so gut wie keine Stufen, kaum Geröll, noch angenehmes Gefälle. Im Prinzip also fast schon einsteigertauglich – wenn diese vielen, eng zugeschnürten Kehren nicht wären. Und das in diesem Steilhang! Ohne Hinterradversetzen kommt man auf dieser Abfahrt nicht weit, nur muss man sich das mit direktem Blick in den Abgrund auch erst mal trauen.
Aber mal abgesehen von seinen fahrtechnischen Fußangeln, liegt dieser Trail einfach wahnsinnig schön. Am besten übernachtet man am Campingplatz in Baitoni, direkt am Nordufer des Lago d’Idro. Von hier aus hat man nicht nur einen tollen Blick über den fjordartigen See, sondern wohnt auch praktisch an der Auffahrt zum Monte Stino. 1466 Meter ist der Berg hoch, und die knapp 1200 Höhenmeter bis zum Trail-Einstieg hinauf verteilen sich auf 20 Kilometer. Das klingt nach gemütlichem Anstieg, doch schon die Asphaltstraße nach Bondone hinauf enthält ein paar Prozentrampen. Später wechselt der Untergrund auf Schotter und die letzten drei Kilometer zum Bocca-Cocca-Pass hinauf schließlich auf Trail. Es gibt Leute, die können komplett hochfahren. Fahrtechniker wie Flo Konietzko etwa. Ich dagegen muss den eingewachsenen Pfad zu großen Teilen schieben. Doch die letzten fünf Kilometer zum Monte-Stino-Gipfel lassen sich wieder leicht dahinrollen. Jetzt nur noch die Stufen zum Aussichtspunkt hinauf, und man blickt aus der Vogelperspektive auf den Idrosee. Wie ein blau schimmernder Saphir liegt er da unten in einem Nest aus steil aufragenden, saftig-grün bewaldeten Bergen.
So, und nun die Abfahrt: Die ersten sechs Kehren vom Aussichtspunkt hinunter – so viel Selbsteinschätzung muss sein – werde ich niemals fahrenderweise erleben: eine Steiltreppe, dicht stehende Geländer, Stufen und all das mit Absturzgefahr allerhöchsten Grades. Bleibt für mich also ein Zickzack-Übungsparcours aus 130 Kehren und 1000 Tiefenmetern nach Vesta hinunter. Achtung: Manchmal schrappt der an sich einfache Trail sehr nah an der Felswand entlang. Wer hier mit dem Lenker hängen bleibt, bekommt einen gefährlichen Schubs Richtung Abgrund. So, wie ich beim ersten Mal. Allerdings erst nach der Abfahrt, als wir hinter Vesta den teils seilgesicherten Ufer-Trail nach Baitoni zurückgeklettert sind. Damals hat mich ein Ast vor dem Absturz bewahrt. Daher mein Tipp: Lieber in Vesta an der Beachbar noch ein Bierchen trinken und dann mit dem Dampfer zurück nach Baitoni!
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