Im Westbalkan teilen sich Nordmazedonien, Kosovo und Albanien ein Grenzgebirge. Und einen 300 Kilometer langen Kammweg, der mit dem „International Tourism Award“ ausgezeichnet wurde: der High Scardus Trail. Gerhard Czerner hat ihn mit dem MTB ausprobiert.
Es war während eines Slowenien-Trips, als ich meinen Kumpels beim Abendessen von diesem Geheimtipp-Trail im Westbalkan erzählte. Da drehte sich ein Mann vom Nebentisch zu uns um: „Sprecht ihr vom High Scardus Trail in Mazedonien? Ich habe dort ein paar Trails gebaut!“ Unglaublich, aber wahr.
Stojan ist selbst begeisterter Mountainbiker und Inhaber der Agentur „Outdoor Adventure Macedonia“. Er habe zwar an dem Weitwanderweg-Projekt über den Gebirgskamm mitgewirkt, aber ob die gesamten 300 Kilometer der Route auch mit dem Bike fahrbar sind – das habe noch niemand ausprobiert. Bingo!
Monate später treffe ich mit meinen Abenteuer-erprobten Tourengefährten Madlaina Walther und Gerald Rosenkranz in Nordmazedoniens Hauptstadt Skopje ein. Stojan hat inzwischen alles vorbereitet: Shuttle, Unterkünfte, Route. „Folgen wir nicht einfach einem ausgeschilderten Weg?“, möchte Madlaina wissen. Als Schweizerin hatte sie im Vorfeld die Vorstellung, dass es sich bei einem Trail, der 2022 mit dem „International Tourism Award“ ausgezeichnet wurde, eigentlich nur um einen eindeutig in die Landschaft gezogenen, ausgeschilderten Schotterweg handeln könne.
Doch Stojan nimmt uns zum Warmfahren mit auf den Vodno, den 1066 Meter hohen Hausberg der Stadt. Hier finden wir einen Uphill-Trail, eine Seilbahn, diverse Abfahrten und am Ende surft es sich auf dem Adrenalin-Trail sehr spaßig zurück in die Stadt. Damit sind auch die letzten Zweifel vom Tisch: Hier weiß man offensichtlich sehr genau, was ein echter Biketrail ist.
Am nächsten Tag schaukeln wir im Van gen Westen und bald auf einem Schotterweg zur Ljuboten Mountain Hut (1630 m) hinauf. Die Hütte ist frisch renoviert, es gibt ein sehr leckeres Abendessen auf der Terrasse und dazu eine tolle Aussicht, die sich von Tetovo bis nach Skopje erstreckt. Von hier aus geht’s morgen früh richtig los. „Und zwar dort hoch!“, Stojans ausgestreckter Arm zeigt in die andere Richtung auf einen grasbewachsenen Gipfel in Pyramidenform.
Ein sanfter Riese, dachte ich da noch, doch tatsächlich schieben und tragen wir die Bikes jeden einzelnen Meter hinauf. Der Weg ist einfach zu grob und steil, teilweise gar nicht zu erkennen. Doch oben auf 2498 Metern Höhe stehen wir immerhin mit einem Bein in Nordmazedonien und mit dem anderen im Kosovo. In der Ferne erkennen wir die Liftanlagen von Brezovica, dem größten Skizentrum im Kosovo – unser Tagesziel.
Doch leider entpuppen sich weder die folgende Abfahrt noch der Weiterweg über ein grasiges Hochplateau als Leckerbissen. Es gibt zwar einen Trail, aber man muss ihn sich unter dem hohen Gras ertasten. „Es hat im Frühjahr viel geregnet. So hohes Gras habe ich hier oben noch nie erlebt“, versucht Stojan sich selbst die Situation schön zu reden. Es ist fast dunkel, als wir die geplante Unterkunft erreichen. Stojan hat uns diesmal in der kleinen Skiwerkstatt eines Kumpels eingebucht. So müssen wir nicht komplett ins Tal abfahren, denn entlang des Grenzkamms gibt es jetzt keine Unterkünfte mehr.
Auch am nächsten Tag erweist sich unser Local als Glücksgriff. Wenn es irgendwo fahrbare Abschnitte gibt, findet er sie. So kurven wir bald auf wild verschlungenen Pfaden am 2200 Meter hoch gelegenen Karanikolla-See vorbei. Unterwegs stoppen wir nur, weil Stojan unsere nächste Herberge noch telefonisch klar machen möchte. Doch als wir nach einem langen Tag, mit vielen Höhenmetern, im kleinen Bergdorf Bozovtse eintreffen, ist das Haus verrammelt. Der Vermieter geht nicht ans Telefon. In einer Seitengasse finden wir eine kleine Bar. Sie hat geöffnet und es steht eine Couch davor, in die wir uns fix und fertig hineinplumpsen lassen. Stojan zückt wieder sein Handy. Es wird immer später, unsere Mägen knurren, und bis es dunkel wird, sind wir das Dorfgespräch Nummer eins.
Plötzlich blenden uns die Scheinwerfer eines Jeeps. Sein Fahrer nimmt uns mit in sein Restaurant, das allerdings bereits geschlossen hat. Doch er weckt seine Frau noch mal für uns und die kocht uns kurz vor Mitternacht noch einen großen Topf Nudeln. Als die gerade vertilgt sind, ruft der Vermieter unserer gebuchten Unterkunft zurück. So können wir uns doch noch in dessen Wohnzimmer auf der Couch, auf dem Teppich und in den Kinderzimmer-Betten ausstrecken. Wenigstens die paar Stunden, bis der Muezzin zum Gebet weckt.
Landschaftlich rücken die sanften Hügel nun in den Hintergrund. Vor uns türmen sich die schroffen Felswände der Sharr-Berge, die Ähnlichkeit mit den Dolomiten haben. Wilde Felszacken im Spalier. Leider endet der Forstweg bald und es ist wieder Schieben angesagt. Doch während wir mühsam auf 2100 Meter aufsteigen und unsere Augen über die saftig-grünen Berghänge ohne jeden Hauch von Zivilisation schweifen lassen, verstehen wir langsam: Ein lückenloses Wegenetz, wie wir es in den dicht besiedelten Alpen kennen, gab es hier nie, es wird nun dran gearbeitet.
Im Balkan wanderte man bisher durch intakte Natur und Wildnis. Wege waren nur dort wichtig, wo man mit dem Auto hinkommen musste. Daher sollte man auf dem High Scardus Trail auch besser mit GPS-Gerät unterwegs sein. Denn auch die angebrachten Holz-Wegweiser sind im hohen Gras schnell zu übersehen. Mit dieser Erkenntnis schlagen wir am Ende des Tages unser Biwak an einem kleinen Bergsee auf, wo wir trotz des sensationellen Sternenhimmels – und auch ein bisschen Angst vor Bären und Wölfen – bald in den Schlaf gleiten.
Im Ort Trnica endet die Überquerung der Shar-Berge. Von hier aus geht es nun weiter in den höchsten Gebirgszug des Landes, den 2764 Meter hohen Korab. Doch wir sitzen gerade im Restaurant vor einem Teller Tavče Gravče, dem Nationalgericht mit Bohnen, Paprika und Tomaten, da liest Stojan den Wetterbericht aus seinem Handy vor: Eine Schlechtwetterfront ist im Anmarsch, wir müssen umplanen.
Per Shuttle geht’s am Nachmittag des nächsten Tages über die albanische Grenze nach Tanushe. Stojans Neuplanung heißt „Cross Border Adventure Biking Trails“, ein von der EU unterstütztes Trail-Projekt für den „Next Level Adventure Tourism“. Klingt vielversprechend, und vor allem hat Stojan an diesen Trail-Bauarbeiten in der Grenzregion selbst mitgewirkt. Eine Aufstiegshilfe brauchen wir nicht, denn die 400 Höhenmeter auf eine Art Hochplateau-Gipfel lassen sich locker hochpedalieren.
Der Ausblick im weichen Abendlicht ist traumhaft. Lange sitzen wir hier oben auf 1800 Metern Höhe, saugen diese magischen Momente auf und Stojan hat viel zu erzählen von seinem Trail-Bauprojekt – bis es fast zu spät ist für die Abfahrt, so dunkel ist es inzwischen geworden. Aber gut, Stojan wird ja wissen, wo und wie er seine Trail-Kurven hingeschaufelt hat. Er fährt voran und wir holpern etwas zögerlich durch das niedrige Buschwerk hinterher. Teilweise können wir ihm nur noch nach Gehör folgen, weil er seine Bärenglocke am Lenker gelöst hat.
Dann verschluckt uns stockdunkler Wald und wir müssen unsere Stirnlampen aus dem Rucksack fummeln. „Hört ihr Stojan noch bimmeln?“, fragt Madlaina. Alle lauschen in die Dunkelheit – nichts mehr zu hören. Etwas besorgt setzen wir uns wieder in Bewegung. Vorsichtiger jetzt, um auch das Gebüsch hinter der jetzt immer enger werdenden Trail-Spur auszuleuchten. Nicht, dass unser mazedonischer Freund da irgendwo liegt. Doch dann steht er plötzlich mit erhobenen Armen in meinem Lichtkegel: „Stopp!“ Stojan zeigt Richtung Unterholz.
Irgendwo da drin muss sein Trail weiter gehen. Beherzt stapft er voran. Das Geäst zerrt an unseren Klamotten und verhakt sich immer wieder in unseren Speichen, doch nach einer gefühlten Ewigkeit lässt das Dickicht endlich von uns ab und wir stolpern auf einen Weg, der uns nach Žirovnica führt. Hier hat um 23 Uhr noch eine Bar geöffnet, in die wir wie die Bären einfallen.
Wir sind jetzt eigentlich trotz völlig verkratzter Beine wieder ganz guter Dinge, nur Stojan ist zerknirscht, weil man seine ganze Trail-Arbeit hier einfach wieder so verwildern lies. „Aber ich verspreche euch: Am Deshat wird alles anders!“ Wir müssen lachen. Aber Stojan bleibt dabei: „Dort warten meine absoluten Lieblings-Trails. Ich war letztens erst dort.“
Der Deshat oder auch Dešat ist ein Gebirgszug, der sich südlich an den Korab anschließt. Über seinen Kamm zieht sich die Grenze zwischen Nordmazedonien und Albanien. Das Shuttle-Fahrzeug bringt uns zu einer Alm und von dort geht’s wieder zu Fuß weiter. Diesmal sogar mit den Bikes auf dem Rücken, weil der Bergweg zum Grenzkamm hinauf wieder zu steil zum Fahren ist. Aber es gibt immerhin einen Pfad!
Doch das Lachen vergeht uns schnell, denn oben angekommen, öffnet sich ein Ausblick, der spektakulär bis weit nach Albanien hineinreicht. „Ja, bist du deppert!“, entfährt es Gerald. „Das sieht wirklich vielversprechend aus“, bestätigt auch Madlaina, aber sie meint vielmehr die Trail-Abfahrten, die sich von hier oben die Bergflanken hinunterwickeln. Durchgehend, ohne Unterbrechung.
Stojan schlägt die Karte auf und deutet auf einen kleinen Ort: „Rabdisht – da wollen wir hin. Entfernung: etwa zwei Tagesetappen.“ Hier merkt man dem Wegverlauf wirklich an, dass er für Wanderer ganz neu angelegt wurde. Zunächst balanciert der Pfad im leichten Auf und Ab am Bergkamm entlang, bis wir einen kleinen Pass erreichen. Beim Blick auf die albanische Seite des Hanges sticht uns eine markante Kante ins Auge, die irgendwie nicht richtig ins Gelände passen will. Stojan seufzt:
Ja, das ist ein künstlich angelegter Streifen aus Sand und weicher Erde. Der sollte Albaner an einer Flucht hindern.
Bis 1990 war das Land unter der kommunistischen Diktatur von Enver Hoxha komplett abgeriegelt. „Und wenn sie es doch geschafft haben, dann haben sie bei der Überquerung Fußabdrücke hinterlassen und ihre Verfolger wussten, in welcher Richtung sie suchen müssen“, klärt unser Guide uns auf. Erschreckend, wie wenig man doch über dieses gar nicht so weit entfernte Land Albanien weiß. Heute entdecken wir hier oben nur noch ein kleines Schild mit der Aufschrift „State Border“.
Anfangs zeigt sich die Abfahrt wieder etwas zugewachsen. Dafür ist das Blumenmeer, das sich vor uns ausbreitet eine Augenweide. Stojan lotst uns allerdings zweifellos Richtung Waldrand. Tatsächlich startet mit den ersten Baumstämmen das versprochene Trail-Feuerwerk. Eine Spur aus samtigem Waldboden nimmt uns auf. Diesmal nur unterbrochen von Wurzelpassagen und Spitzkehren. Perfekt!
Wir fühlen uns um Jahrhunderte in die Vergangenheit zurückversetzt, als wir durch die schmalen, mit Steinen gepflasterten Gassen von Rabdisht zu unserer Unterkunft rollen. Durch ein großes Tor betreten wir den Innenhof des Guest House Sabriu. Apfelbäume säumen den Weg zu einer überdachten Terrasse. Ein Feuer knistert im offenen Kamin. Der Wirt Sabri und seine Frau empfangen uns herzlich und servieren uns ein Abendessen, an dem wir mehrere Stunden gemütlich sitzen.
So bemerken wir gar nicht, dass draußen doch noch die Schlechtwetterfront heranwalzt, die eigentlich für vorgestern angekündigt war und uns um den Abschnitt über den Korab gebracht hat. Eine offene Tür knallt plötzlich zu, ein Blitz, dicht gefolgt von Donnergrollen. Dann trommelt schon der Regen aufs Dach. Gut, dass wir jetzt nicht mehr irgendwo im Dickicht festhängen!
Der 301 Kilometer lange und mit 22.500 Höhenmetern bestückte Fernwanderweg wurde im Jahr 2016 zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) ins Leben gerufen, ist aber noch nicht komplett fertiggestellt. Nach dem Vorbild des Fernwanderwegs „Peaks of the Balkans“ soll auch in dieser strukturschwachen Gebirgs- und Grenzregion zwischen Nordmazedonien, Kosovo und Albanien nachhaltiger Tourismus gefördert werden.
Für Wanderer ist die Route in 20 Tagesetappen unterteilt und verläuft eigentlich über mehrere kleine Gebirgszüge: Sharr-Gebirge, Korab, Dešat, Jablanica und Galičica. Die Route ist bis auf wenige Lücken markiert und ausgeschildert, aber ohne GPS-Gerät ist man ziemlich schnell aufgeschmissen. Infos zu den einzelnen Etappen: high-scardus-trail.com
Am Ufer des Ohridsees gibt es inzwischen auch eine Art Trail Center mit insgesamt 42 ausgeschilderten Enduro-Kilometern. Infos dazu: ohride.org
Von Mai bis September sollte der Trail schneefrei sein. Im Hochsommer sind die Temperaturen am Berg noch angenehm, in den Tälern kann es allerdings brütend heiß werden. Im Oktober ist es dagegen recht regnerisch.
Bisher gibt es entlang der Route nur eine Hütte, in der man alpen-ähnlich am Berg übernachten kann: die Ljuboten Mountain Hütte. Für alle anderen Übernachtungen hat man entweder eine Biwak-Ausrüstung dabei oder fährt abends ins Tal ab.
Gerhard: Die Routenwahl am High Scardus Trail ist für Wanderer gemacht und zum Biken nur abschnittsweise geeignet. Die Gegenden um Rabdisht und Ohrid bieten großartige Möglichkeiten zum Biken. Dort gibt es die passende Infrastruktur. Wer sich die Anstiege mit einem Shuttle erleichtern möchte, braucht ein geländegängiges Fahrzeug. Ich rate zu einem ortskundigen Guide. Die Orientierung ist nicht immer leicht und die Wegführung ändert sich manchmal. Da helfen Ortskenntnisse enorm.
Seid ihr denn dem Weg durchgehend gefolgt?
Es gibt streng genommen nicht „DEN Weg“. Es gibt Varianten, welche in die gleiche Richtung gehen. Diese stellt man sich zusammen. Wir sind dem Weg grob gefolgt, wo es nach Einschätzung von Stojan Sinn ergeben hat. Sonst sind wir Varianten gefahren, welche nach seiner Einschätzung rollbarer sind. Aufgrund des schlechten Wetters haben wir das Gebiet um den Korab ganz ausgelassen und haben aus Zeitmangel im Süden einige Überführungsetappen im Shuttle zurückgelegt – zum Beispiel von Rabdisht nach Ohrid.
Wir können daher nicht behaupten, wir wären den gesamten High Scardus Trail gefahren. Wir waren vielmehr auf den Spuren des High Scardus Trails unterwegs. Zusammengefasst ist der Versuch, den High Scardus Trail durchgehend zu befahren, nicht gelungen.
Braucht man für die drei Länder Visa?
Nein. In den Kosovo sind wir über grüne Grenzen in den Bergen gefahren, da gibt es keine Kontrolle. Auch die Ein- und Ausreise in Albanien war unkompliziert.