Markus Greber
· 14.12.2021
Syntace steht seit Jahrzehnten für unverwüstliche MTB-Komponenten. Doch wie sieht’s mit der Nachhaltigkeit aus? Der charismatische Tüftler und Firmenchef Jo Klieber hat da seine eigene Philosophie. Ein Hausbesuch.
Fahrradfahren ist nachhaltig, klar. Bei der industriellen Produktion von Bikes gibt’s dennoch Verbesserungspotenzial. Wir haben deshalb die RIDE GREEN-Kampagne ins Leben gerufen, mit der wir als Magazin Mensch und Industrie für das Thema Nachhaltigkeit sensibilisieren wollen. Nach einem Workshop mit allen beteiligten Partnern aus der Industrie versuchen wir jetzt, ein möglichst nachhaltiges Bike zu bauen. Syntace steuert Laufräder, Lenker, Vorbau und Sattelstütze aus Aluminium zu diesem Projekt bei. Für eine geringere Umweltbelastung verzichten wir dabei auf jegliche Oberflächenbeschichtung der Bauteile. Um zu verstehen, wie Syntace das Thema Nachhaltigkeit angeht, haben wir uns den Produktionsprozess der Naben genau angesehen.
„Du kannst dein Betriebsklo mit Sekt spülen, nachts alle Lichter brennen lassen und Produkte mit Quecksilber und Zyankali bauen – Hauptsache, du produzierst ein Lieblingsteil.“ Jo Klieber ist bekannt dafür, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt. Aber diese Worte von einem Partner unserer RIDE GREEN-Kampagne kommen dann doch unerwartet. „Schau mal“, fährt Klieber fort und zupft an seinem T-Shirt mit dem ausgeleierten Kragen. „Da sind Löcher drin, und die Buchstaben lösen sich ab. Aber ich habe das Teil seit über 20 Jahren. Es ist mein Lieblings-T-Shirt. Das ist Nachhaltigkeit pur, auch ohne Öko-Label. Der Begriff Nachhaltigkeit wird heute ja oft von Firmen benutzt, die kurzlebige Wegwerfprodukte besonders umweltverträglich herstellen. Greenwashing in Reinkultur.“ Kliebers Verständnis von Nachhaltigkeit ist ein anderes: „Klar muss man versuchen, umwelt- und ressourcenschonend zu produzieren. Aber das Wichtigste ist, dass die Sachen ewig halten.“
Den Traum vom Lieblingsteil, das ewig hält, träumt Klieber nicht erst, seit das Thema Nachhaltigkeit in aller Munde ist. 1991 revolutioniert er die Triathlon- und Zeitfahrszene mit einem Aero-Lenker. Kurze Zeit darauf entdeckt er seine Leidenschaft fürs Mountainbike und konstruiert einen leichten, steifen Lenker fürs Gelände. Das Thema Dauerhaltbarkeit wurde in diesem Zug nicht nur unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit wichtig. „Wenn du Lenker baust, und die brechen, dann ist das ein riesen Problem.“ Genau diese schmerzliche Erfahrung machte der Tüftler kurze Zeit später. Trotz bestandener Tests an Universitäten und renommierten Prüfinstituten bricht einem Kunden der Lenker und für Klieber die Welt zusammen. Ab diesem Zeitpunkt will er sich nicht mehr auf andere verlassen und baut einen eigenen Lenkerprüfstand. Der VR-3 arbeitet mit Lastkollektiven, damals eine echte Sensation für die Fahrradbranche. Gefüttert wurde der VR-3 übrigens mit realen Daten, die auf Initiative des BIKE-Magazins mit einem Mess-Bike ermittelt wurden. Auch heute noch, Jahrzehnte später, markiert der VR-3, mittlerweile in der vierten Generation, den Standard in Sachen Lenkertests.
Für sein Ziel, die langlebigsten Produkte der Branche zu bauen, konstruiert Klieber immer neue Testmaschinen. Das systematische Malträtieren von Prototypen, aber auch von Serienteilen gehört für Syntace zum Selbstverständnis. Die alte Mühle, die der Tüftler in Tacherting fast als Ruine gekauft hatte, platzt, auch wegen der vielen Prüfmaschinen, bald aus allen Nähten. Wegen Kliebers Definition von Nachhaltigkeit kommt ein Neubau aber lange nicht in Frage. „Das Haus steht da seit Jahrhunderten und das nicht ohne Grund. Dicke, solide Mauern, super Bausubstanz. Das hält auch die nächsten paar hundert Jahre, im Gegensatz zu Zweckbauten, deren Isolierpaneele du nach ein paar Jahren wegschmeißen kannst.“ Also wird Platz geschaffen für immer neue Werkstätten, Labors und Büros. Es werden Böden abgegraben, Wände versetzt und ein Seecontainer im Hang hinter dem Haus eingelassen. Wie im Inneren eines Ameisenhaufens verbinden verwinkelte Gänge die Räume für 3D-Drucker, die Metall- und Prototypenwerkstatt, das Rohstofflager und die Büroräume für die Ingenieure.
Der zweite, für Klieber wichtige Aspekt, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht, ist die Wahl des Produktionsstandorts. Wo es nur irgendwie geht, versucht Klieber, seine Teile in der nächsten Umgebung zu fertigen. So sind wir, 25 Kilometer weiter, zum Besuch vor Ort in Niederbayern eingeladen. Hier steht eine der modernsten vollautomatischen CNC-Maschinen der Welt. Das Monstrum, groß wie ein VW Transporter und teuer wie ein Einfamilienhaus, kann zugleich fräsen und drehen. Das spart Manpower und Zeit. „In Asien muss das Bauteil für eine Nabe bis zu sieben mal umgespannt werden, bei uns nur einmal“, erklärt Christian Huber seine Errungenschaft, während er einen Rohling aus hochfestem 7075er-Aluminium in seine Maschine schiebt. Ein paar Minuten später fällt der fertige Nabenkörper für unser RIDE-GREEN-Bike in eine Schütte auf der Rückseite der Maschine. Die Fertigung ist zwar immer noch etwas teurer als in Asien, dafür fallen die Transportwege fast komplett weg. „Rüber zu Syntace ist es ein Katzensprung“, lacht Huber. „Und das Beste: Dazwischen liegt kein Suezkanal.“ Die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter muss man hier in Niederbayern auch nicht extra kontrollieren.
Zurück in Tacherting. Vom Dammweg 1, der Firmenzentrale, sind es etwa 500 Meter zur neuen Produktionshalle, die Klieber vor drei Jahren gebaut hat. Irgendwann reichte die alte Mühle trotz aller Optimierungen dann doch nicht mehr aus. Der Kontrast zu den improvisierten Tüftlerkatakomben könnte größer nicht sein. Aber wenn schon ein Neubau, dann perfektioniert bis auf den letzten Quadratzentimeter. Und weil man so was nicht einfach kaufen kann, hat Klieber, der nie eine reguläre Berufsausbildung absolviert hat, die Halle mit seiner 3D-Software Solid Works kurzerhand selbst konstruiert.
Grundsätzlich lässt sich die Halle in zwei Bereiche unterteilen: Im Bereich DT (Destructive Testing) rütteln hinter schalldichtem Glas der altbekannte VR-3 und ein halbes Dutzend weitere selbst gebaute Prüfstände an Lenkern, Vorbauten und Felgen. Im NDT-Bereich, dem Teil der Halle für Non destructive Testing, wird es komplexer. Klieber erklärt die Arbeit hier dennoch mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre es das Rezept für Spaghetti mit Tomatensoße: „Die Wirbelstromprüfung lässt Rückschlüsse auf den atomaren Aufbau des Materials zu.“ Einfacher zu verstehen ist da schon der Wandstärkentest für die Lenker oder der Fettprüfstand. Die Reibwerte einer kleinen Kugel auf einer Stahlplatte über eine bestimmte Distanz zeigen die Qualität des Lagerfettes. Momentaner Favorit ist ein Fett aus deutscher Produktion, das zum Befüllen der Kugellager nach Fernost geschickt wird. Nicht ganz im Sinne der klassischen Nachhaltigkeitskriterien, dafür ein Tribut an die Langlebigkeit von Kliebers Lieblingsteilen.
Drei Prozent aller Syntace-Serienteile werden in den Prüflaboren nach einem Stichprobenverfahren getestet und akribisch dokumentiert. Im Verdachtsfall wird die gesamte Charge aussortiert.
Eine stylische Stahltreppe führt uns in den ersten Stock der Halle. Hier hat Klieber die Laufradproduktion angesiedelt. Fünf Mitarbeiter werkeln hier mit viel Handarbeit und noch mehr Hightech-Unterstützung. Kapazität: Bis zu 70 Laufräder am Tag. Klingt nicht nach viel, aber die Qualitätsanforderungen sind umso höher. Seiten-und Höhenschlag werden aufs Hundertstel minimiert. Auch hier war Klieber das Beste nicht gut genug. Also wurde kräftig modifiziert, und nun messen zusätzlich eingebaute Tensiometer die Speichenspannung und sorgen in mehreren Durchläufen für eine homogene Spannung.
Klieber führt uns zu einer Seitentür seiner Halle. Parallel zur Rückseite verlaufen die Bahnschienen. Die Fassade des Gebäudes hat der Technik-Philosoph im Stil eines Bahnhofs gestaltet. Sogar mit einer echten Bahnhofsuhr, sodass im Notfall das ganze Gebäude auch zur Haltestelle umfunktioniert werden könnte. Perfektion ist Kliebers Philosophie und Erfolgsrezept zugleich. Nachhaltigkeit ist, wenn ein Teil über Generationen hält. Die meisten Syntace-Teile aus den Anfangstagen fahren heute noch rum. Doch was, wenn irgendwann alle die ewig haltenden Teile besitzen? Dann kann man ja auch nichts mehr verkaufen! „Ja, große, gewinnorientierte Hersteller haben sicher dieses Problem. Aber wir als kleiner Produzent können wahrscheinlich noch 500 Jahre lang nachhaltige Produkte bauen, bis der Markt gesättigt ist. Und wenn nicht, dann hält irgendwann genau hier ein Zug, der mich nach Italien bringt.“
Neben Syntace nehmen auch Canyon, Schwalbe, Sram, Danico Biotech und Trickstuff an unserer RIDE GREEN-Kampagne teil. Das große Finale mit der Weltpremiere des nachhaltigen Zukunfts-Mountainbikes lesen Sie in BIKE 1/22.