Laurin Lehner
· 04.12.2022
Lange galt die Devise bei E-Mountainbikes: je mehr Bums, umso besser. Dann kamen Minimal-Assist-Bikes. Sie liefern weniger Leistung, wollen ihre Piloten aber mit dem Handling eines Bio-Bikes verwöhnen. Light-Assist vs. Full-Assist Motoren: Welches E-MTB-Konzept macht Freeridern mehr Spaß?
Hin und wieder schielen wir neidisch zu den Kollegen unseres Schwestermagazins EMTB. Während bei uns seit Jahren Innovationsflaute herrscht, geht es in der Entwicklung der E-MTBs Schlag auf Schlag. Mit den hässlichen Bikes aus den Pioniertagen mit klobigem Akku auf dem Unterrohr hat die heutige Generation der E-Bikes nichts mehr zu tun. Jetzt muss man schon genau hingucken, ob sich im Tretlager ein Motor versteckt. Im Trend: sogenannte Minimal-Assist-Motoren. Wir haben die Konzepte Full-Assist und Minimal-Assist in zwei Specialized-Levo-Modellen verglichen.
Die Frage lautet: Ist Mehr immer besser? Denn mehr Akku und mehr Bums im Motor bedeuten zwar mehr Power, aber auch mehr Gewicht. Über Jahre bastelten die Konstrukteure ihre E-Bikes nach diesem Motto. Das Gewicht schien dabei keine Rolle zu spielen – als fühlten sich die Konstrukteure endlich befreit vom Gewichtsdiktat nach all den Jahren der Bio-Bike-Entwicklung. So schraubten sie dran, was nur dran geht. Nach dem Motto: Der Motor unterstützt ja eh. Das Resultat: stabile, aber auch bleischwere E-Bikes, die sich so handlich den Berg runtersteuerten wie ein Hercules Prima 5s Mofa.
Übrigens: Laut unserer Leserumfrage wollen sich immerhin fast 15 Prozent der FREERIDE-Leser ein E-Mountainbike zulegen.
Ein Gewichtstreiber dabei waren und sind weiterhin Motor und Akku. Beide klein, schlank und damit leicht zu verbauen, ist gewagt. „Viele Kunden haben Reichweitenangst“, weiß Konstrukteur Peter Denk. Die Befürchtung ist berechtigt. Wer schon mal ein 25-Kilo-E-Bike ohne Unterstützung die Berg-Tour zu Ende gekurbelt ist, weiß: Dann geht nix mehr! Doch eben nicht, wenn das Bike aufgrund des Downsizings deutlich unter 20 Kilo wiegt. Dennoch verschrien viele Szene-Insider die Idee von Minimal-Assist-Bikes als Flop, als diese 2018 das erste Mal in Fachmagazinen von sich reden machten. Diese ersten Nischen-Bikes waren nur halbwegs leicht und besaßen wenig Power und Reichweite.
„Nur, wer diese Bikes ausprobiert, weiß, wie gut auch E-Bikes wenig Gewicht steht“, sagt EMTB-Chefredakteur Josh Welz. Denn damit ist das E-Feeling weg, und das Bike lässt sich fast wie ein unmotorisiertes MTB über den Trail steuern. Ganz ohne Zutun des Piloten geht es im Uphill aber nicht voran. Hier muss man selbst reintreten. Viel reintreten. Zumindest, wenn man damit weit kommen will. Das ist E-Hardlinern zu mühsam. Fans des Full-Assist-Konzepts feiern die Effizienz: „Damit kann ich den Berg hochfliegen mit maximaler Abfahrtsausbeute“, sagt EMTB-Tester Adrian Kaether. Doch was ist nun für wen besser? Konstrukteur Peter Denk sieht es so: „Das Minimal-Assist-Konzept ist für Biker, das Full-Assist-Konzept für E-Biker.“
Das Specialized Levo SL ist State of the Art in Sachen Light-E-MTBs. Das Bike mit 150 Millimetern Hub vorne und hinten wird vom kleinen hauseigenen Motor unterstützt und kommt auf ein maximales Drehmoment von 35 Newtonmeter. Der 320-Wattstunden-Akku reicht je nach Anwendung für über 1000 Höhenmeter.
Reifengröße: 29 Zoll, Gewicht: 17,9 Kilo, Preis: 9700 Euro (Expert-Modell)
Das Specialized Levo Turbo besitzt den starken 2.2-Motor mit einem maximalen Drehmoment von 90 Newtonmeter und schiebt kräftig an. Der 700-Wattstunden-Akku lässt je nach Modus lange Touren zu. Das Fox-Fahrwerk bügelt in Kombination mit der Abfahrts-Geo alles platt (160/150 mm).
Reifengröße: 29/27,5 Zoll, Gewicht: 22,1 Kilo, Preis: 15.000 Euro (!)
Auf Berg-Touren müssen Bikes gleich in mehreren Facetten glänzen:
Das Levo SL (Light-Assist) tritt sich sehr natürlich den Berg hoch. Die drei voreingestellten Modi wirken sinnig. Der kleinste Modus unterstützt minimal, aber genau richtig, um den Piloten in steilen Rampen ausreichend zu schonen. Super! Man muss aber wissen: Auch im Power-Modus fliegt man mit dem Levo SL nicht den Berg hoch. Der 320-Wattstunden-Akku reicht bei sparsamer Handhabung für weit über 1000 Höhenmeter. Ein Range-Extender (160 Wh) kann in den Flaschenhalter gesteckt werden – alleine damit ist es uns gelungen, 650 Höhenmeter zu bezwingen. Leider teuer: 460 Euro.
Das Turbo Levo (Full-Assist) fährt sich dagegen wie ein erwachsenes E-Mountainbike. Schon der voreingestellte Eco-Modus schiebt kräftig und mehr als der höchste Modus des Light-Assist-Levo. Hier kann man allerdings, genau wie beim Light-Levo, individuell per Smartphone modifizieren. Wer in den höchsten Modus schaltet, braust den Berg hoch, ohne jegliche Anstrengung. Der große 700-Wattstunden-Akku lässt bei halbwegs sparsamer Handhabung ausgedehnte Tages-Touren zu. Beim Schieben unterstützt bei beiden Modellen eine E-Schiebehilfe per Knopfdruck, die in der Praxis nur so lala funktioniert. Beim Tragen und Schieben spürt man die rund vier Kilo Mehrgewicht des Turbo-Levo deutlich. In der Abfahrt verwöhnt das Levo SL mit einem natürlichen Handling, motiviert zu Bunny-Hops und ließ uns aufjohlen. Das Turbo-Levo fährt sich dagegen wie im Autopilot: sicher und schnell, der Pilot muss jedoch darauf achten, nicht zum Passagier zu mutieren.
Uns gefiel das Light-Assist Bike Levo SL im Uphill deutlich besser, weil natürlicher, leichter, verspielter – einem herkömmlichem Bike sehr nahe.
Unsere Hausrunde entlang der Isar besitzt vermutlich einen ähnlichen Charakter wie viele Hausrunden in Deutschland. Ein welliger Trail: ein paar Sprünge, ein paar Erdkanten, Wurzelteppiche und wenig Gefälle (leider!).
Hier mit dem Full-Assist-Motor zu fahren, ist eine Offenbarung. Dank des starken Motors surft man durch Passagen, in denen man sonst nur mühsam das Tempo hält. Mit dem Power-Levo lässt sich mit Schwung über den Trail fegen und an Kanten abziehen – dank des Extra-Vortriebs. Doch spätestens nachdem die Räder die Kante verlassen, bekommt man die Kehrseite der Medaille zu spüren: Die Schwerkraft reißt Bike und Piloten wie ein Airtime-Präservativ auf den Boden der Tatsachen. Bunny-Hop über den querliegenden Baumstamm? Puh! Das funktioniert wirklich nur mit viel Können und Kraft.
Der Light-Assist-Motor im Levo SL dagegen kurbelt sich sehr natürlich über den welligen Trail und unterstützt nur spürbar, wenn es notwendig ist. Mit 18 Kilo lässt sich das Levo SL quirlig genug über Erdwellen beschleunigen.
Natürlich nicht mit dem Handling eines Trailbikes, doch allemal so gut wie mit einem Freerider und verspielt dazu. Genug Puste, um das Bike im welligen Terrain wieder auf Tempo zu bringen, hat man ja, schließlich wird man während des Uphills geschont. Die Geo des Levo SL gefiel uns hervorragend. Alle Trail-Manöver funktionieren damit spielend einfach.
An das Grundtempo des Power-Levo kommt das Levo SL nicht ran. Dennoch: Freerider wollen spielen, und das funktioniert definitiv mit dem Light-Assist-Bike Levo SL einfacher. Sieg.
Schwer macht schnell – zumindest bergab. Das wissen die Bob-Fahrer, und das wissen wir. Das 22 Kilo schwere Full-Assist-Levo schiebt gen Tal und entwickelt dabei eine enorme Laufruhe. So fahren wir mit dem Power-Levo auf Strecken, in die wir normalerweise nur mit dem Bigbike einbiegen würden. Das Fahrwerk arbeitet auf höchstem Niveau und scheint mit dem Mehrgewicht besonders gut zu harmonieren. Sprünge sind zu Beginn gewöhnungsbedürftig – hier muss man sich mit dem etwas anderen Handling anfreunden. Hat man den Absprung geschafft, liegt das Bike stabil in der Luft. Flacht der Trail ab und es geht darum, Tempo zu konservieren, macht sich das Gewicht schlagartig wieder negativ bemerkbar. Dann muss man das Power-Levo besonders aktiv über den Trail drücken und lenken – das kostet Kraft.
Ganz anders: Das Light-Assist Levo SL wiegt mit seinen 18 Kilo so viel wie manch ein Freerider, und genauso fährt es sich bergab auch. Es besitzt nominell nur einen Zentimeter weniger Federweg im Heck als das Power-Levo, dennoch fühlt es sich auf dem Trail nach weniger Hub an. Es mag nicht in Bulldozer-Manier über fiese Wurzelteppiche bügeln, doch dafür verwöhnte es uns mit einem erstklassigen Handling und der Leichtigkeit eines Bio-Bikes. Kurzum: Mit dem Levo SL will man spielen wie mit keinem anderem E-Mountainbike. Bunny-Hops funktionieren easy, und auf flachen Passagen beschleunigt das E-Bike auch ohne Motoreinsatz willig. So kurbelten wir das Levo SL auch schon mit leerem Akku über die Hometrails – alles möglich.
Das Power-Levo liegt satter auf dem Trail und ist das schnellere Rad. Das Levo SL mag da nicht mithalten, doch dafür lässt sich damit auf dem Trail spielen. Unentschieden zwischen Light- und Full-Assist-Konzept.
Zusammen biken mit unterschiedlichen E-Konzepten? Keine gute Idee. Das Full-Assist will immer schneller fahren. Für mich gewinnt das Minimal-Assist-Konzept – weil näher dran am Biken.
Das Levo SL war ein Augenöffner für mich. So natürlich und so verspielt. Super! Bei steilen Rampen unterstützt der Motor wohldosiert. Full-Assist-Bikes sind auch spaßig, aber zu schwer und träge.
Die Light-Klasse (Minimal-Assist) nimmt gerade erst richtig Fahrt auf. In den nächsten Monaten und Jahren kommen viele spannende Light-Bikes auf den Markt. Gerade auch für abfahrtsorientierte Biker. Die neue Motorengeneration, wie z. B. Fazua und TQ, hebt das Thema auf ein neues Level: leises Antriebsgeräusch, cleaner Look und sogar deutlich kräftiger als das Levo SL. Da könnten selbst einstige E-Bike-Hater schwach werden.