Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude. Das dachte sich auch unsere Test-Crew, als klar war, dass das Atherton AM 130 an diesem Test teilnimmt. Doch warum die Aufregung? Ganz einfach. Hinter der Marke steckt nicht einfach ein weiterer Bike-Hersteller, sondern die Athertons höchstpersönlich – die vielleicht erfolgreichsten Bike-Geschwister aller Zeiten. Rachel und Gee sind beide mehrfache Downhill-Weltmeister. Bruder Dan siegte beim von ihm initiierten Hardcore-Event für Downhiller, dem sogenannten Red Bull Hardline, und riss sich einige Four-Cross-Titel unter den Nagel. Mit Hilfe der Rahmenbauexpertise der Firma Robot Bike stellen die
Geschwister nun ihre geballte Bike-Kompetenz auf zwei Räder.
Die Modellpalette bei Atherton ist übersichtlich: Ein Downhiller Namens AM 200M, das Enduro AM 150 und seit Ende 2022 nun auch das Trailbike AM 130 – das war’s. Das Kürzel AM steht für “additive manufacturing” und offenbart neben der prominenten Abstammung das zweite Highlight der Bikes aus UK. Denn die Rahmenkonstruktion basiert auf einzelnen Carbon-Rohren, die von zwölf 3D-gedruckten Titan-Muffen zusammengehalten werden. Diese Hybrid-Lösung aus Titan und Carbon-Fasern vereint die Stärken beider Materialien. An Stellen, die in unterschiedliche Richtungen belastet werden, kommt Titan zum Einsatz. In geradlinig beanspruchten Bereichen spielen die Rundrohre aus Carbon ihre Stärken aus, da sie maximale Stabilität bei minimalem Gewicht garantieren. Auch gut: Dank dieser Bauweise können die Athertons ihren Kunden neben 22 verschiedenen Standardgrößen auch individuelle Rahmen anbieten. Zudem erteilen die Briten ihrem Trailbike trotz knappen Federwegs die uneingeschränkte Bikepark-Freigabe. Dass die Entwickler volles Vertrauen in die Muffenbauweise setzen, zeigt auch die lebenslange Garantie. So viel Exklusivität hat aber natürlich auch ihren Preis. So schlägt allein das Rahmen-Set mit 3955 Euro zu Buche. Aber nun genug der faden Theorie.
In der Praxis zeichnet sich das Trailbike durch den Atherton-typischen DW-6-Hinterbau aus. Der Name soll an Fahrwerks-Mastermind Dave Weagle erinnern. Er steckt hinter der sechsgelenkigen Hinterbaukinematik. Das Ansprechverhalten hinterließ bei allen Testfahrern einen erstklassigen Eindruck. Egal, ob bergauf oder bergab – das Heck generiert in jeder Lebenslage hervorragende Traktion. Auch in grobem Geläuf kommt für ein Trailbike mit nur 121 Millimetern Federweg (BIKE-Messung) ein ungewohnt sattes Fahrgefühl auf. Der 64,8 Grad flache Lenkwinkel und der lange Reach sorgen dabei für die nötige Laufruhe. Die hohe Front platziert den Fahrer auch in steilen Abfahrten stets selbstbewusst hinter der Steuerzentrale. Auch das harmonische Zusammenspiel mit der deutlich längeren 150er-Fox-Factory-Gabel überraschte uns positiv.
Schwächen leistet sich der Kandidat Atherton AM 130.X dafür im Uphill. Durch die Kombination aus kurzem Heck und hoher Front muss man in steilen Anstiegen aktiv gegen das steigende Vorderrad ankämpfen. Ein Lenker mit weniger Rise könnte hier Abhilfe schaffen. Zudem erschwert das hohe Gesamtgewicht spritzige Antritte in technischen Schlüsselstellen. Auf langen Anstiegen bemüht man gerne die Plattformfunktion am Dämpfer. Sonst geht das Heck mit jeder Pedalumdrehung in die Knie.
Damit beschränkt sich der Einsatzbereich des Atherton Trailbikes auf weniger tretintensive Touren, sprunglastige Trails oder verwinkeltes Gelände. Denn hier blüht das AM 130.X unter dem Diktat verspielter Piloten erst so richtig auf. Dank der sehr kurzen Kettenstreben und viel Gegenhalt im Fahrwerk tobt man mit dem Atherton wie eine Springmaus durchs Gelände. Manuals, Tricksereien und Sprünge – all das gehört zu den Paradedisziplinen das AM 130. Damit schlägt das Fahrerlebnis mit Athertons Spaßmobil sogar unsere anfängliche Vorfreude noch um Längen.
Das Atherton AM 130 ist der perfekte Spielkamerad für Newschool-Jibber. Die Bikepark-Freigabe erlaubt sogar fette Stunts. Unser absolutes Highlight: die tolle Hinterbaufunktion. Darüber hinaus macht das Trailbike auch mit seiner außergewöhnlichen Bauweise von sich reden.
GESAMT BERGAUF: 59,5 VON 105
GESAMT BERGAB: 98,75 VON 115
Sonstiges: 23,75 von 30
Wartungsfreundlichkeit: gut
¹Preis ggf. zzgl. Kosten für Verpackung, Versand und Abstimmung.
²Das BIKE-Urteil gibt die Labormesswerte (BIKE-Labormessung) und den subjektiven Eindruck der Testfahrer wieder.
Das BIKE-Urteil ist preisunabhängig. BIKE-Urteile: super (250–205 P.), sehr gut (204,75–180 P.), gut (179,75–155 P.), befriedigend (154,75–130 P.), mit Schwächen (129,75–105 P.), ungenügend (104,75–0 P.).
Die Athertons machen schon immer ihr eigenes Ding: ein eigenes Downhill-Team, eigene Video-Serien und eigene Events. Da die drei Geschwister bereits während ihrer Rennkarriere fleißig Erfahrung mit der Entwicklung von Bikes sammeln konnten, gründete das Trio 2019 auch noch seine eigene Marke. Atherton Bikes. Das Herstellungskonzept: 3D-gedruckte Titanmuffen und Rundrohre aus Carbon. Die Produktion der Titanteile sowie den Aufbau mit den Carbon-Rohren erledigen die Newcomer direkt am Firmensitz in Machynlleth in Wales.