Auf den ersten Blick erweckt das Arc8 Essential den Eindruck, als stecke es in einer Identitätskrise. Der zierliche Carbon-Rahmen mit seiner minimalistischen Dämpferanlenkung sowie die geradlinige Formgebung lassen einen sofort an ein mühelos zu beschleunigendes Racefully denken. Doch vorne im Steuerrohr steckt eine wuchtige 36er-Fox-Gabel mit All-Mountain-typischen 150 Millimetern
Federweg. Auch den Float-X-Dämpfer mit Ausgleichsbehälter kennt man sonst nur aus abfahrtslastigeren Bikes. Ein Blick auf die Messdaten aus dem BIKE-Labor bestätigt: Im jüngsten Spross von Arc8 schlagen tatsächlich zwei Herzen.
Seine Racebike-Gene offenbart das Arc8 bereits beim Rahmen. Mit 1850 Gramm (ohne Dämpfer in Größe L) reiht sich das Carbon-Chassis in die Riege waschechter Racefullys ein. Zum Vergleich: Das Herzstück von Canyons vollgefederter Rennfeile Lux wiegt 1675 Gramm. Lapierres neues Racefully XR 9.9 schafft es sogar nur auf 2017 Gramm. Das einzigartige Hinterbau-Design bildet das Fundament für das geringe Gewicht des Essential. Dabei kommt bei der Dämpferanlenkung keine gewöhnliche Umlenkwippe zum Einsatz: Zwei minimalistische Führungszylinder übertragen die Kräfte vom Heck linear auf den Dämpfer. In Sachen Steifigkeit und Gewicht kombiniert die Slider-Konstruktion so die positiven Eigenschaften eines kurzen Umlenkhebels mit den kinematischen Vorteilen eines längeren Hebels. Zudem spart sich Arc8 Essential das Gewicht der Hinterbaulager und setzt auf flexende Sitzstreben. Wirft man einen Blick auf die Geometriedaten, kommt eher der wilde Abfahrer im Essential zum Vorschein. Der extrem flache Lenkwinkel (64 Grad) würde auch einem reinrassigen Enduro gut zu Gesicht stehen. Doch schafft das Schweizer Hybrid-Fully auch in der Praxis den Spagat zwischen Racebike und All Mountain?
Mit 12,7 Kilo Gesamtgewicht ist des Essential im Vergleich zu Lux und Co zwar kein Leichtgewicht mehr, Bikes aus derselben Federwegsklasse schlägt es aber um Längen. Mit seinem antriebsneutralen Heck und den leicht rollenden Onza-Reifen begeistert das Arc8 Essential mit exzellentem Vortrieb. Perfekt für die schnelle Hausrunde oder tretintensive Touren. Die Sitzposition fällt trotz des sehr langen Reachs kompakt aus. Grund dafür ist die hauseigene Lenker-Vorbau-Einheit mit nur 35 Millimetern Länge. Bei langsamer Fahrt neigt das Vorderrad des Arc8 zum Abkippen. Ein längerer Vorbau würde helfen, mehr Gewicht über der Vorderradachse zu verteilen und so das Handling zu verbessern.
Hat man erst mal Fahrt aufgenommen, hält man mit der langen und flachen Geometrie aber alle Trümpfe in der Hand. Die Fox-Gabel arbeitet dabei wie gewohnt auf höchstem Niveau und gibt dem Fahrer auch in ruppigem Gelände viel Selbstvertrauen. Folgt man allerdings dem Flehen der potenten Front und öffnet die Bremsen, erinnert einen der Hinterbau meist auf unsanfte Weise daran, dass im Essential eben doch nur ein halbes All Mountain streckt. Das Heck spricht zwar ausgesprochen feinfühlig an. Mit gerade mal 116 Millimetern Federweg verschluckt es sich aber schon an mittelgroßen Brocken. Damit werden die Schweizer zwar nicht den Komfortansprüchen an ein All Mountain Bike gerecht, mit dem nötigen fahrtechnischen Geschick kann man sich aber getrost in extremeres Gelände wagen.
Die wahre Identität des Arc8 Essential konnten wir nicht final ergründen. Egal, ob beim Gewicht oder der Abfahrtsleistung – der Spagat zwischen All Mountain an der Front und Racefully am Heck erfordert Kompromisse. Von einer Krise kann aber nicht die Rede sein. Denn dank des gewagten Entwicklungsansatzes beherrscht das Essential zwar nicht alle Disziplin perfekt, kommt aber mit nahezu jeder Facette zurecht, die der Mountainbike-Sport zu bieten hat.
Ein leichtfüßig zu beschleunigendes Mountainbike begeistert und erweitert den Aktionsradius. Diese Eigenschaft steht einer soliden Abfahrtsleistung aber meist unversöhnlich gegenüber. Nicht bei Arc8. Denn das Essential mausert sich trotz abfahrtslastiger Komponenten mit seinem sensationell leichten Rahmen und extremer Geometriedaten zum Alleskönner. Wem der Ansatz zu extrem ist, der bekommt das Essential mit einer leichteren 140er-Gabel.
GESAMT BERGAUF: 80 VON 105
GESAMT BERGAB. 99,25 VON 115
Sonstiges: 21,5 von 30
Wartungsfreundlichkeit: mittel
¹Preis ggf. zzgl. Kosten für Verpackung, Versand und Abstimmung.
²Das BIKE-Urteil gibt die Labormesswerte (BIKE-Labormessung) und den subjektiven Eindruck der Testfahrer wieder.
Das BIKE-Urteil ist preisunabhängig. BIKE-Urteile: super (250–205 P.), sehr gut (204,75–180 P.), gut (179,75–155 P.), befriedigend (154,75–130 P.), mit Schwächen (129,75–105 P.), ungenügend (104,75–0 P.).
Jonas Müller und Serafin Pazdera sind die Köpfe hinter der Schweizer Boutique-Marke Arc8. Vor der Gründung waren beide schon lange in der Bike-Industrie tätig. Die erste Version des Arc8 Essential entwickelten die beiden noch als Open-Mold-Projekt, bevor sie 2018 ihre eigene Marke gründeten. Seither ist Arc8 für konsequenten Leichtbau und seine gewagten Entwicklungsansätze bekannt. Mittlerweile ist das Team auf 15 Mitarbeitende angewachsen. Das Headquater sitzt in Basel, die Produktionsstätte in Fernost.