Josh Welz
· 22.07.2022
Familienvergnügen statt Babypause! Ob als Abschleppfahrzeug für die Eltern oder als Spaßmobil für Kinder – mit dem E-MTB und der richtigen Ausrüstung werden auch längere Bike-Touren zum Kinderspiel.
Soll man Kinder aufs E-MTB setzen? Pro und Contra dieser Frage werden unter bikenden Eltern leidenschaftlich diskutiert. Die einen befürchten, Kinder würden dadurch faul. Die anderen finden genau das Gegenteil: Das E-MTB sei ein Motivations-Booster. Fakt ist: Vor der Motorisierung des Mountainbikes war der Bergradsport als Familienvergnügen nur wenig geeignet. Längere Bergtouren sind ohne E-Unterstützung nur möglich, wenn Väter oder Mütter über Superkräfte verfügen. Denn bis zum Teenager-Alter fehlt es Kindern an den physischen Voraussetzungen, um sich eine üppigere Anzahl an Höhenmetern selbst zu erstrampeln. Sollen Kinder mit auf Tour, müssen Eltern also den Abschleppdienst geben – ohne Motorunterstützung ein schweißtreibendes Unterfangen, dem nur die Fittesten gewachsen sind.
Mit dem Zeitalter der E-Mountainbikes haben sich die Voraussetzungen verändert. Drei Möglichkeiten stehen zur Wahl: mitnehmen, abschleppen oder selbst fahren. Ob man sein Kind nun aufs E-MTB setzt, ist dabei nicht nur eine pädagogische, sondern auch eine wirtschaftliche Frage: gute Kinder-E-MTBs sind teuer. Zudem gibt es immer noch nur wenige wirklich geeignete Modelle. Viele sind nach wie vor zu schwer und wenig kindgerecht konstruiert. Die größten Spaßverderber sind: ruppige Motoren, dicke Akkus, lange Kurbeln, breite Tretlager, zähe Fahrwerke, Bremsen und Schaltungen.
Einige Bike-Hersteller haben in den letzten Jahren diese Marktlücke für sich entdeckt. Vorreiter sind Ben-E-Bike und Woom. Ein Fully und ein Hardtail bietet seit 2021 auch Mondraker. Kinder-Bike-Spezialist Scool hat zumindest ein leichtes, geländegängiges E-Hardtail für Kinder im Programm. Alle vier Hersteller bieten ihre E-MTB für Kinder mit 24- und 26-Zoll-Rädern an und setzen auf kompakte, schwächere Motoren, kleinere Batterien und speziell entwickelte Komponenten. So schaffen es die Bikes, die wir in der EMTB 3/22 vorstellen, auf annehmbare Gewichte um 16 Kilo.
Doch auch wenn man sich dagegen entscheidet, den Nachwuchs aufs E-MTB zu setzen, so ist das E-MTB zumindest als Zugmaschine eine echte Bereicherung für Familienleben. Für die kleinsten Mitfahrer gibt es geländegängige Radanhänger, mit denen sich lustige Familienausflüge in leichtem Gelände unternehmen lassen. Zwei Anbieter gibt es am Markt: Tout Terrain und der tschechische Hersteller Kolofogo.
Ab etwa zwei bis drei Jahren kann man Kinder dann im Sportsitz befördern. Bei Mac Ride und Shotgun werden die Sättel auf einer Stange montiert, die zwischen Sattelstütze und Steuerrohr eingespannt wird – die kleinen Co-Piloten sitzen also vor dem Biker. Mit etwas älteren und fitten Kindern sind damit sogar gemäßigte Geländeausfahrten möglich.
Für den größeren Nachwuchs gab es bis vor Kurzem noch den Streamliner von Tout Terrain – ein gefederter Anhänger, bei dem das Kind im Sattel sitzt, einen Lenker hält und selbst treten und schalten kann. Momentan ist der Streamliner nur noch vereinzelt über den Second-Hand-Markt zu bekommen, der Hersteller hat aber für nächste Saison einen Nachfolger in Aussicht gestellt.
Die letzte – und günstigste – Möglichkeit heißt: abschleppen. Das Kind sitzt auf dem eigenen Bike, ein Elternteil unterstützt bergauf mit einem Zugseil. Wichtig ist hier die richtige Wahl der Tour: Forstweg rauf, Singletrail runter. So hat die ganze Familie Spaß. Und die Grundsatzfrage “E-MTB oder Bio-Bike?” ist dann auch geklärt: sowohl, als auch.
Motor und Akku drücken aufs Gewicht. Deshalb sind E-Bikes für Kinder mit herkömmlichen Mittelmotoren in der Regel zu schwer für den Geländeeinsatz. Was zu schwer heißt, macht ein Beispiel klar: Ein 25-Kilo-Bike für einen 75 Kilo schweren Erwachsenen entspricht im Verhältnis einem 10-Kilo-Bike für ein 30 Kilo leichtes Kind. Auf dieses Gewicht schaffen es auch die E-Fullys von Ben-E-Bike und Mondraker nicht. Trotzdem wird dort vieles richtig gemacht: So landet das Mondraker mit Mahle-Nabenantrieb und 250-Wh-Akku bei etwa 16 Kilo. Noch besser das Ben-E-Bike: Dank hauseigenem Nabenmotor und trinkflaschengroßem Akku soll das Gewicht bei 15,3 Kilo liegen. Zusätzlicher Vorteil des Nabenmotors: Die Tretlagerbreite, bleibt klein. Wichtig sind auch Federelemente, die sich auf geringe Gewichte einstellen lassen, leichtgängige Bremsen und Schalthebel und eine möglichst niedrige Überstandshöhe für sicheres Handling im Gelände. Mehr zu einzelnen Bikes weiter unten.
Fahrradanhänger gibt es in vielen Familienhaushalten. Doch erst mit einer einspurigen Sportkutsche können sich Eltern und Kinder gemeinsam im Gelände austoben.
Einspurige Kinderanhänger können der Rettungsring für bikende Eltern sein. Anstatt das Mountainbike in die Babypause zu schicken, kommt der Nachwuchs einfach mit auf Tour. Und angesichts der rund 20 bis 30 Kilo, die man zu schleppen hat, bietet sich das E-Mountainbike als Zugmaschine an. Der Spaß mit diesen Gefährten fängt dort an, wo zweispurige Kinderanhänger an ihre Grenzen stoßen: abseits befestigter Wege.
Der Klassiker in dieser Gattung ist der Singletrailer von Tout Terrain: eine 10,6 Kilo leichte Sportkutsche mit minimalistischem Stauraum. Der Aufbau ist simpel: Deichsel ausklappen, Dämpfer einhängen, und das Rad per Schnellverschluss einklicken. Die Kupplung wird an der Sattelstütze angebracht (funktioniert auch bei Tele-Stützen), die Gelenkwelle der Deichsel daran mit Schnellspanner, Splint und Sicherheitsleine gesichert.
Die Konkurrenz des Tout Terrain kommt aus Tschechien. Das Modell Trayecto von Anhängerhersteller Kolofogo will dabei mehr sein als ein reines Sportgerät. Zwei ansteckbare Vorderräder und ein ausziehbarer Griff verwandeln den Hänger in einen Buggy. Auch eine abgespeckte Version gibt es im Portfolio der Tschechen: Das Modell Tahoe kommt dann ohne Vorderräder und Griff. Die Zusatzausrüstung beim Trayecto drückt natürlich aufs Gesamtgewicht: Ohne Vorderräder wiegt er 14,6 Kilo, gut 16 Kilo im Buggy-Aufbau. Der Tahoe soll laut Hersteller 11,8 Kilo leicht sein. Die Montage ist etwas aufwändiger als beim Tout Terrain.
Über Luftdämpfer- und Reifendruck lassen sich beide Hänger perfekt aufs Gewicht der Passagiere abstimmen. In Kurven kippen beide Modelle – analog zum ziehenden Bike – nach innen. So werden die Querkräfte, die aufs Kind wirken, reduziert. Gesichert sind Kinder durch Gurte und stabile Überrollkäfige, ein Helm ist freilich dennoch Pflicht. Auch wenn der Kolofogo mit 60 Zentimetern deutlich breiter baut als der Tout Terrain (40 cm), ist er immer noch schmaler als ein MTB-Lenker. Trotzdem ist beim Steuern in Kurven Vorsicht geboten: Weil die Hänger bauartbedingt eine engere Linie ziehen als der Fahrer selbst, muss man weit ausholen, um nicht an Hindernissen hängen zu bleiben.
Die sportlichen Kindersitze von Mac Ride und Shotgun werden zwischen Steuerrohr und Sattelstütze auf einer längenverstellbaren Klemmstange befestigt. Anders als bei klassischen Kindersitzen, die hinter dem Sattel montiert sind, hat man so das Gefühl,
gemeinsam mit dem Kind zu biken. In den verstellbaren Fußrasten finden Kinderfüße unterschiedlicher Größe recht sicheren Halt.
Lange Jahre war der Tout Terrain Streamliner das perfekte Eltern-Kinder-Tandem fürs Gelände. Dank 160 Millimeter Federweg und supersoftem Fahrwerk waren damit auch knackige Geländeeinsätze möglich. Momentan findet man diesen Nachläufer mit etwas Glück noch auf dem Gebrauchtmarkt, für 2023 hat der Hersteller aber einen Nachfolger in Aussicht gestellt. Das Befestigungssystem ist dasselbe wie beim Tout Terrain Streamliner: Die Kupplung wird an der Sattelstütze angebracht, daran wird die Gelenkwelle der Deichsel mittels Schnellspanner befestigt. Beim Nachfolgermodell sollte dann die Form der Deichsel auch an große 29-Zoll-Räder mit fetten E-MTB-Pneus angepasst sein – die hatten am Ur-Modell das Handling an Stufen nämlich arg eingeschränkt.
Die Sparversion, um Kinder auf große Tour mitzunehmen. Abschleppseile kann man sich leicht selbst basteln – aus alten Schläuchen zum Beispiel. Wichtig bei der Konstruktion: Das Abschleppseil muss flexibel sein und sich bei Ups und Downs schnell aus- und einhängen lassen. Spezielle Produkte gibt es von Kidreel, Kommit*, TowWhee*, Shotgun *oder BikeZipper.
Gute E-MTB für Kinder sind teuer. Doch nur mit durchdachten Bikes ist der Offroad-Spaß garantiert. Die Anschaffung lohnt sich, auch weil solche Spaßmobile im Wert kaum fallen.
Das F-Play ist ein echtes Sportgerät. 120 mm Federweg, schnittige Geometrie, 155er-Kurbeln. Angetrieben wird der Spanier von einem Mahle-Nabenmotor mit 40 Nm und integriertem, entnehmbarem 250-Wh-Akku. Mittels App kann man die Motorparameter individuell einstellen. Gewicht laut Hersteller: 16,4 Kilo. Preis: 2799/2999 Euro. >> z.B. hier erhältlich*.
Kinder-Bike-Spezialist Woom hat kein Fully, aber ein pfiffiges Hardtail am Start. Die Motor-Akku-Einheit von Fazua (3,3 Kilo, 250 Wh) ist entnehmbar, so wird das Up zum Bio-Bike. Der Motor leistet 55 Nm und lässt sich per App konfigurieren. Alle Anbauteile sind auf geringe Bedienkräfte hin entwickelt. Gewicht laut Hersteller: 16,6 Kilo, Preis: 2990/2890 Euro. >> z.B. hier erhältlich*.
Ben-E-Bike ging von Anfang an eigene Wege: Spezielle Leichtbaukomponenten und ein
eigens entwickelter Nabenmotor machten beim 120-mm-Fully ein Gewicht von 15,3 Kilo möglich. Auch hier lässt sich der 30-Nm-Motor per App feineinstellen. Der 250- oder 375-Wh-Akku steckt im Trinkflaschenhalter. Als 26- und 24-Zoll-Bike für 2999 Euro zu haben.
Je jünger der Pilot, desto wichtiger ist es, dass Bike- und Körperbeherrschung – also Koordination und Kraft – geschult werden. Deshalb: so häufig wie möglich den Nachwuchs aufs Bio-Bike setzen. Das E-Bike sollte im frühen Kindesalter die Ausnahme für lange Ausfahrten bleiben. >> z.B. hier erhältlich*.
Erwachsenen-Bikes in kleinen Rahmengrößen, oft nur als Frauen-Modelle zu kriegen, sind für Kinder erst ab einer gewissen Größe und Konstitution geeignet. Aber auch bei vergleichbarer Körpergröße gilt zu beachten: Kinder sind in der Regel leichter und weniger kräftig. Erwachsenen-Bikes sind auch in S und XS meist schwer und nicht kindgerecht ausgestattet. Deshalb ist selbst bei passender Größe das Erwachsenen-E-MTB meist nicht die ideale Wahl für Kinder.
Wunderst Du Dich, dass kinder- und geländetaugliche E-MTBs immer noch so rar sind?
Das sind immer noch Nischenprodukte. Entweder spezialisiert man sich zu 100 Prozent darauf – wie Ben-E-Bike – oder der Hersteller ist groß genug, um Kinder-E-MTBs als Abbilder der Erwachsenen-Bikes mitzuproduzieren – mit ähnlichen Bauteilen.
Die Spezialisten verwenden Nabenmotoren. Zählen deren Nachteile bei Kinder-Bikes nicht?
An Hardtails gibt’s keine funktionalen Nachteile. Bei Fullys stört die höhere, ungefederte Masse am Hinterrad. Doch die Vorteile überwiegen: geringere Gewichte und Tretlagerbreiten. Ein Mittelmotor ist aber thermisch belastbarer, deswegen für schwerere Kinder in den Bergen geeigneter.
Bei den Minimal-Assist-Antrieben tut sich viel. Werden davon Kinder-E-MTBs profitieren?
Ganz bestimmt, das ermöglicht leichte Bikes mit Mittelmotor, also eine bessere
Gewichtsverteilung. Die werden vielleicht nicht superleicht sein, aber das hat auf grobschottrigen Abfahrten auch seine Vorteile.
Was ist beim Antrieb besonders wichtig?
Das feinfühlige Ansprechverhalten. Ein Kind bringt oft nicht mehr als 60 Watt auf die Pedale. Wenn ein Motor hier ruppig
an- und ausschaltet, ist das absolut kontraproduktiv. Außerdem müssen Shifter und Display ergonomisch und gut ablesbar sein.
Worauf muss man beim Kauf noch achten?
Vor allem auf einfache Bedienbarkeit. Beispiel Bremsen: Lässt sich die Griffweite einstellen, sind die Bedienkräfte gering. Ebenso wichtig: ein Luftfahrwerk, das sich auf geringe Gewichte anpassen lässt. Und natürlich: griffige Reifen, die bieten viel Sicherheit.
Du hast in einem großen Tiroler Bikeshop gearbeitet. Sind Kinder-E-Bikes gefragt?
Wenn man sie gut präsentiert, gehen sie weg wie warme Semmeln. Für die meisten
Eltern und Kinder ist das aber eine Ergänzung zum normalen Bike, kein Ersatz.
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