Adrian Kaether
· 18.02.2022
Mit haltbarem Riemenantrieb und extremer Geometrie sticht das Nicolai G1 Eboxx E14 aus der Masse heraus. Wir konnten das Bike bereits testen.
Das Nicolai G1 Eboxx E14 ist eine handwerklich beeindruckende Ansammlung von Frästeilen und Schweißnähten. In groben, gleichmäßigen Schuppen ziehen sich die Schweißraupen über die Alu-Rohre. Industrielle Ästhetik und innovative Ingenieurskunst sind die Markenzeichen der norddeutschen Traditionsschmiede Nicolai, die seit gut fünf Jahren auch ein E-MTB im Programm hat. Und das hebt sich auch in Sachen Geometrie und nicht zuletzt beim Antrieb von anderen E-MTBs deutlich ab.
Das Nicolai E-MTB mit Riemenantrieb und Rohloff-Schaltung im Video-Check.
Kettenantriebe verschleißen am E-MTB wie im Zeitraffer. Kann der Riemenantrieb die haltbare Alternative sein? In EMTB 01/2022 lassen wir Ketten- und Riemenantrieb gegeneinander antreten und klären die wichtigsten Fragen. Von der Performance auf dem Trail über mögliche Defekte bis hin zur Effizienz im Labor – jetzt am Kiosk, in der App oder im EMTB Onlineshop.
Die Rahmenmaße, die der Firmenchef Kalle Nicolai gemeinsam mit Geometrie-Vordenker Chris Porter entwickelt hat, ist ultramodern und auf maximale Laufruhe und größtmögliches Sicherheitsgefühl bergab getrimmt.
Konkret liegt der Radstand bei enormen 1350 Millimetern in Rahmengröße L – normale E-MTBs liegen zwischen 1200 und maximal 1300 Millimetern. Nicolai kombiniert dazu einen Lenkwinkel von extrem flachen 62 Grad mit einem steilen Sitzwinkel von 78 Grad, bei einem Reach von satten 510 Millimetern in Größe L. Allein das würde auf jeder Bike-Messe für neugierige Blicke sorgen.
Die eigentliche Besonderheit am Nicolai Eboxx ist jedoch der Antrieb. Denn die Leistung des Bosch-Mittelmotors wird per Gates-Riemen an das Hinterrad übertragen. Der Riemen kommt ohne Schmierung aus und verschleißt langsamer als eine Kette.
Eine reguläre Schaltung lässt sich dadurch aber nicht mehr nutzen, weswegen im G1 Eboxx E14 eine elektronisch angesteuerte Getriebenabe von Rohloff zum Einsatz kommt. Vierzehn Gänge mit einer Gesamtübersetzung von 528 Prozent stehen hier bereit – und damit eine höhere Bandbreite als bei einer herkömmlichen 12fach-Kettenschaltung.
Der Riemenantrieb ist ein echter Exot an E-MTBs, es gibt kaum Riemen-Fullys am Markt. Wir stellen den Riemenantrieb und die elektronische Rohloff in allen technischen Details in diesem separaten Artikel genauer vor.
Der Rahmen des Nicolai Eboxx wird am Firmenstandort im niedersächsischen Mehle vollständig von Hand geschweißt. Die grobschuppigen Schweißnähte haben die zwei langjährigen Chefschweißer über Jahre zum Markenzeichen der Firma herangezüchtet.
Statt auf Hydroforming zurückzugreifen kommen nur gerade Rohre mit Rund-, Vier- oder Sechskantprofil zum Einsatz. Komplexe Bauformen werden durch Frästeile realisiert, beispielsweise bei Wippe, Steuerrohr und Ausfallenden. Neben den hochwertigen Vollkugellagern setzt Nicolai auch auf gedichtete Abdeckungen, die die Haltbarkeit der Lager weiter steigern sollen.
Typisch Nicolai sind außerdem die zahlreichen Geometrieverstellmöglichkeiten am G1 Eboxx. Ein Flip-Chip in den Sitzstreben beeinflusst Lenk- und Sitzwinkel, mit den unterschiedlich langen Zusatzstücken in der Kettenstrebe und der Längenverstellung in der Sitzstrebe lässt sich der Rahmen für unterschiedliche Fahrer- und Hinterradgrößen anpassen.
Die Ausstattung des G1 Eboxx ist schon beim Basismodell maximal hochwertig. Kräftige MT7-Bremsen von Magura, eine Fox 38 Factory in der Front, kombiniert mit einem Fox-Van-Stahlfederdämpfer im Heck und Markenanbauteilen von Hope, Acros und SQlab.
Allerdings sind auch für das Modell ohne Sonderausstattung schon 9989 Euro fällig. Günstiger geht es nur mit dem Modell QLF, das statt Riemenantrieb auf eine konventionelle Kettenschaltung setzt. Der Preis hier: 8399 Euro bei ähnlicher Ausstattung aber einer älteren Sram-GX-Elffach-Schaltgruppe.
Auf dem Trail fällt die Ausstattung des Nicolai G1 Eboxx erst als zweites auf. Dominanter wirkt die extreme Geometrie. Zwar sitzt man dank des steilen Sitzwinkels und des kurzen Vorbaus unerwartet kompakt auf dem E-Enduro der Niedersachsen, doch wer den Boliden in einen Bunny Hop oder gar einen Manual ziehen will, muss ordentlich Körpereinsatz bringen.
Dafür klebt das Vorderrad bergauf auch in Steilpassagen am Boden. Das Fahrwerk macht hier ebenfalls einen guten Job, bleibt bergauf sensibel und sackt auch auf Stufen nicht unnötig ein. Enge Kehren dürften allerdings auch bergauf nicht die Stärke des langen G1 Eboxx sein.
Der lange Radstand und der flache Lenkwinkel drücken dem Eboxx G1 bergab ebenso ihren Stempel auf. Laufruhe bietet das Nicolai en masse, und dank des langen Reachs ist auch die Bewegungsfreiheit auf dem Bike hoch.
Allerdings lassen sich Linien nur mit viel Krafteinsatz korrigieren, enge Kurven verlangen nach versierter Führung und der flache Lenkwinkel fordert eine aktive, frontlastige Fahrposition, damit das Vorderrad optimal Traktion aufbaut.
Gabel, Reifen und Bremsen liegen auf hohem Niveau, der Hinterbau arbeitet ordentlich, liegt aber trotz Stahlfeder nicht außergewöhnlich satt. Fazit: Das Nicolai G1 Eboxx E14 ist wenig verspielt, sondern giert nach Geschwindigkeit. Ein Enduro für Fans einer langen Geometrie.