Laurin Lehner
· 03.01.2023
Ein Bike; ein Tester; 7275 Kilometer; und kein Mitleid! Das Canyon Torque:ON 9 wurde von FREERIDE-Redakteur Laurin Lehner einem extremen Dauertest unterzogen. Die Abrechnung lesen Sie hier.
Die Blicke der Werkstattkollegen wurden Monat für Monat vorwurfsvoller. Der Grund: Die fehlende Pflege meines Dauertest-Bikes Canyon Torque:ON. Während des Testzeitraums von eineinhalb Jahren fuhr ich über 7000 Kilometer auf den Tacho – eine Strecke, so weit wie von Frankfurt nach Islamabad in Pakistan. Darunter waren viele Pendelkilometer durch Schnee, Matsch und Regen. Dazu jede Menge Trailrides auf Rumpelpfaden im Schwarzwald und so mancher Ausflug in den Bikepark.
Die fehlende Pflege war meinem Pflichtbewusstsein geschuldet. Denn ich nehme meinen Job als Tester ernst und wollte wissen: Wie schnell verschleißen die Antriebskomponenten unter Extrembedingungen? Wie reagieren Federelemente auf mangelnde Zuwendung? Wie gefährlich sind Dreck- und Salzbeschuss auf Dauer?
Das Canyon Torque:ON wählte ich bewusst, denn ich kenne das Pendant ohne Motor und schätze die verspielte Geometrie und Nehmerqualitäten des Fahrwerks. Mit seinen super kurzen 430er-Kettenstreben kommt das Bike meinen persönlichen Vorlieben nach – ich komme vom Freeriden, liebe Manuals, enge Turns und drücke mich gerne an Geländekanten ab. Die Nachteile im Uphill nehme ich dafür gerne in Kauf.
Obwohl nur ein kleiner Akku im Unterrohr klemmt, liegen die 24 Kilo Gesamtgewicht des Torque:ON im Rahmen. Denn die Ausstattung ist dem Einsatzbereich entsprechend sehr potent: Im Modell 9.0 steckt das teure Fox-Factory-Fahrwerk und presst massig Hub aus Front und Heck (180/175 mm). Die Geometrie ist flach und tief, die Laufräder sind klein.
Beim Akku wurden für einen tieferen Schwerpunkt und eine Gewichtsersparnis (ca. 600 g) Abstriche gemacht. Der 504-Wh-Akku will am liebsten im Eco-Modus gefahren werden, der werksmäßig bereits ausreichend schiebt. Die „Turbo“-Fraktion kommt mit dem kleinen Akku nicht allzu weit (Kosten für einen Extra-Akku: 700 Euro). Der bewährte Shimano EP8 hat über den gesamten Einsatz nicht gemuckt, doch das nervöse, laute Surren nervte im Uphill.
Die zentrale Erkenntnis aber: Die Ausstattung des Canyon Torque:ON hielt stand. Bremsen, Vario-Stütze, Antrieb, Federelemente – die Verschleißerscheinungen halten sich selbst nach dieser Laufleistung in Grenzen. Runtergefahrene Reifenprofile und ein paar gewechselte Bremsbeläge – das versteht sich von selbst. Etwas axiales Spiel in der Teleskopstütze – auch das kann nicht überraschen. Erstaunlich dagegen: kein Kettenriss, kein Zahnausfall an Ritzeln und Kettenblatt.
Besonderes Lob geht an die robusten Laufräder von DT Swiss: Die H 1700 ließen sich auch durch rabiates Kurvengeballere nicht in die Knie zwingen. Am Ende wurde es dem Torque:ON dann doch zu viel mit mir. Beim Knopfdruck auf den ON-Schalter ging nichts mehr. Wie sich später herausstellte, löste sich eine Verbindung zwischen Anschaltknopf und Motor. Meine Werkstattkollegen dagegen meinten: Das Bike wollte sich jetzt einfach mal einen Werkstatt-Service erstreiken.
Das Canyon Torque:ON 9.0 ist ein potentes E-Mountainbike mit viel Komfort in der Abfahrt und einer Top-Haltbarkeit. Auf zahmen Trails wirkt das Bike zu großkalibrig, besitzt aber mit einer aktiven Fahrweise dennoch genug Spieltrieb.