Stefan Loibl
· 11.01.2022
Mountainbikes werden 2022 so teuer wie nie – trotz gestiegener Verfügbarkeit. Wir erklären die Gründe der Preiserhöhungen und welche Marken teurer werden.
Erst einmal die gute Nachricht: Die Ausstellungsflächen von Bike-Shops sind längst nicht mehr so leergefegt wie zu den Hochzeiten des Corona-Booms, auch die Lager von Fahrradversendern füllen sich langsam wieder. Die Chance, dass man derzeit sein Wunsch-Bike für 2022 findet, stehen also gar nicht so schlecht.
Doch vom Normalzustand wie vor der Corona-Pandemie ist die Fahrradbranche noch kilometerweit entfernt. Produktionsstandorte in Malaysia, Vietnam oder Kambodscha leiden immer noch an den Folgen der Lockdowns oder können nur eingeschränkt produzieren. Auch Fabriken in China laufen nur mit deutlich gedrosselter Auslastung.
Je nach Hersteller und Modell kann es deshalb nach wie vor zu Lieferschwierigkeiten und langen Wartezeiten kommen. Obwohl viele Hersteller ihre Produktionen in den letzten zwei Jahren deutlich nach oben geschraubt haben und nahezu alle Bike-Hersteller deutlich mehr Räder produzieren, kann die Nachfrage nach Rahmen, Komponenten und Anbauteilen aktuell nicht bedient werden. Nach wie vor kämpfen Hersteller mit stockendem Nachschub aus Fernost, erhöhten Rohstoff- und Transportkosten sowie einer überdurchschnittlich hohen Nachfrage.
Laut Szene-Insidern sind es vor allem Komponenten von Shimano, die vielen Herstellern fehlen. Das Problem: Anders als bei Anbauteilen kann man eine Schaltgruppe nur schwer durch ein anderes Fabrikat ersetzen. Doch nicht nur Shimano-Teile sind heiß begehrt, auch zentrale Komponenten wie Federgabeln, Bremsen und Antriebe von Sram, Fox oder Rockshox haben Lieferfristen von einem Jahr und mehr.
Das führte bereits 2021 zu gestiegenen Preisen für Bikes. Und auch unser Ausblick für 2022 vor sechs Monaten sollte sich bewahrheiten: Entspannen wird sich die Lage auch in diesem Jahr nicht. Viele Firmen sind immer noch dabei, die aufgestauten Bestelllisten abzuarbeiten. Zudem steigen die Preise für Bikes 2022 noch einmal – und das flächendeckend! Bei einigen Herstellern ganz deutlich, bei anderen – die bereits 2021 deutlich erhöht hatten – eher moderat.
Auch Specialized hat innerhalb eines halben Jahres zum zweiten Mal seine Preise erhöht. Ein Epic Expert kostete vor einem Jahr noch 6999 Euro (Test in BIKE 3/21), mit derselben Ausstattung zahlt man für das Race-Fully nun 8100 Euro – satte 1100 Euro mehr. „Trotz massiver Gegenmaßnahmen – wie etwa Eröffnung neuer Fabriken, Diversifizierung von Lieferanten oder alternative Transport-Routen – sehen wir keine Entspannung. Die Produkte sind weiterhin sehr knapp und die Kosten steigen“, sagt Juliane Bötel von Specialized.
Ob Lebensmittel, Strom, Wohnmobile oder andere Konsumgüter: Bei nahezu jedem Einkauf wird man derzeit mit teils drastisch gestiegenen Preisen konfrontiert. Zudem ist die Inflationsrate mit 5,3 Prozent so hoch wie seit fast 30 Jahren nicht mehr. Die größten Preistreiber in der Fahrradbranche sind jedoch die gestiegenen Preise für die Rohstoffe und die Produktion, sowie die explodierten Fracht- und Transportkosten.
Alleine 988 Prozent teurer wurde die Seefracht für einen China-Container zwischen Oktober 2019 und 2021. Zudem nutzen asiatische Hersteller und Lieferanten die hohe Nachfrage, um ihre Preise sukzessive zu erhöhen. Gleichzeitig kämpfen die Produzenten selbst mit stark gestiegenen Rohstoff-Kosten: Ob Rohöl, Kunststoffe, Kautschuk oder Aluminium – alles wurde teurer.
Große Hersteller, die mit vielen verschiedenen Zulieferern zusammenarbeiten, werden so neben der zermürbenden Lieferterminsituation fast wöchentlich mit Preiserhöhungen konfrontiert. Auch die Produktionskosten für Rahmen in Fernost sind teilweise bis zu zehn Prozent gestiegen. „Neben einer Inflationsrate von etwa fünf Prozent sind die Rohstoffpreise um ca. 25 Prozent gestiegen und werden weiter steigen. Dazu kommt etwa das Achtfache der Container-Kosten. So kommt man schnell auf eine Preissteigerung von 5-10 Prozent pro Bike“, erklärt Günther Schoberth-Schwingenstein von Corratec.
Gleichzeitig haben wir bei unseren Gesprächen mit Herstellern gemerkt, dass viele zögern, die Preise im Einsteiger-, Günstig- und Kindersegment deutlich anzuheben – auch wenn es aus wirtschaftlicher Sicht nötig wäre. „Die explodierenden Einkaufspreise seit Beginn der Pandemie haben wir über mehr als ein Jahr lang selbst aus unserer eigenen Marge getragen und die Preiserhöhungen nicht an unsere Kunden weitergegeben“, sagt Annika Strölin von Storck.
Damit man einen Überblick bekommt, welche Hersteller für 2022 die Preise erhöhen und welche Bikes teurer werden, haben wir knapp 50 Bike-Hersteller abgefragt: Müssen Verbraucher für 2022 mit einem Preisanstieg rechnen bzw. haben Sie die 2022er-Preise bereits erhöht? Und wie hoch wird der Preisanstieg voraussichtlich ausfallen?
Etwa die Hälfte der Firmen beantwortete unsere Anfrage. Einige Hersteller (u.a. Focus, Merida/Centurion, Bulls, KTM, Cannondale, Rocky Mountain) wollten sich ganz bewusst nicht zu dem Thema äußern oder konnten keine konkreten Antworten geben. Hier die Hersteller im Überblick, die ihre Bike-Preise für 2022 bereits erhöht haben oder noch erhöhen werden:
Bikes sind 2022 so teuer wie noch nie, aber war's das schon? Einige Hersteller haben uns gegenüber geäußert, dass man nicht sicher sei, ob die aktuelle Preisliste bis Ende des Jahres Bestand haben wird. Sollten Preise für Rohstoffe, Produktion und Logistik weiter rasant steigen, müsse man nachbessern. Dann würden Bikes noch teurer werden.
Mit einer deutlichen und schnellen Entspannung der Liefersituation oder sinkenden Fracht- und Rohstoffkosten darf man in diesem Jahr also (noch) nicht rechnen – im Gegenteil. Stattdessen könnte die globale Produktionsmaschinerie durch neue Lockdowns in Fernost erneut ins Stocken geraten und die angerosteten Lieferketten zerreissen. Auch Rabatte dürfte es in absehbarer Zeit nur ganz vereinzelt geben, denn die Nachfrage ist für das überschaubare Angebot zu hoch. Wer sich also demnächst ein neues Bike zulegen will, sollte nicht zu lange zögern.
In BIKE 02/2022