Bereits unsere BIKE-Leserbefragung zu den “Readers Most Wanted”-Testbikes zeigte, dass das Merida One Forty ein für viele sehr interessantes Bike ist. Auf dem Papier umgarnt das All Mountain Bike potentielle Käufer mit progressiven Geometriewerten und einem umfangreichen Ausstattungspaket. Darunter eine Teleskopsattelstütze mit bis zu 230 Millimetern Verstellbereich. Diese ist auch die Grundlage für Meridas “Agilometer”-Größenkonzept, nach dem sich Bikerinnen und Biker eine Rahmengröße nicht nur anhand ihrer Körperdimensionen, sondern auch ihres Fahrstils und ihrer Vorlieben aussuchen können. An allen Ecken also spannende Details, die das Merida One Forty 6000 zum charakterstarken Dauerbegleiter eines BIKE-Redakteurs machen sollten.
Bei der Wahl zu den begehrenswertesten Testbikes schaffte es das Topmodell Merida One Forty 10K die Gunst der BIKE-Leser einzufangen. Mit 13,96 Kilo (BIKE-Messung, Größe L) und einer langen, flachen Geometrie konnte sich das Edel-All-Mountain für 11.699 Euro als fähiger Allrounder beweisen und die Bestnote “Super” einfahren. Wohl kaum ein Leser würde in der Alltagsrealität aber so viel Geld für ein Sportgerät ausgeben. Deshalb baten wir auch eine günstige Alu-Version zum All-Mountain-Vergleichstest. Mit 3999 Euro ist das One Forty 700 in der Merida-Modellpalette das am besten ausgestattete Bike mit Alu-Rahmen. Unsere Test-Crew attestiertem dem Bike eine sehr gute Bergab-Performance, bemängelte aber das hohe Gesamtgewicht von 15,75 Kilo (BIKE-Messung, Größe M). Ein Großteil des Übergewichts fiel dabei auf den 3789 Gramm schweren Alu-Rahmen.
Rein theoretisch müsste unser Dauertest-Bike Merida One Forty 6000 also das beste aus beiden Welten vereinen: einen leichten Carbon-Rahmen und einen Preis, der am Boden geblieben ist. Mit 5799 Euro kostet es weniger als die Hälfte des Topmodells, besitzt aber denselben 2694 Gramm leichten Rahmen aus Kohlenstoff. Dass die Labor-Waage trotzdem erst bei 15,3 Kilo (BIKE-Messung, Größe L) Gesamtgewicht stehen bleibt, liegt zum einen daran, dass das One Forty 6000 viele praktische Kleinteile mit sich herumträgt, zum anderen an der solide-funktionalen, aber nicht gerade leichten Ausstattung.
Der Carbon-Rahmen des Taiwan-MTB ist absolut zeitgemäß. Die Leitungen laufen sauber innen verlegt durch den Steuersatz ins Rahmeninnere. Eine Service-Klappe im Unterrohr hilft nicht nur bei der internen Zugverlegung, sondern gewährt auch Zugang zu einem Staufach im Inneren. Das Fully verzichtet am Hinterbau auf ein zusätzliches Lager und setzt stattdessen auf einen Drehpunkt in der Sitzstrebe. Die nötige Beweglichkeit kommt durch den Flex des Carbon-Materials zustande, was nicht nur weniger Gewicht, sondern auch weniger Wartung verspricht. Am Tretlager vertraut Merida auf den geschraubten BSA-Standard und ermöglicht die Montage einer Kettenführung via optionaler Adapterplatte.
Besonders ist bei Merida das “Agilometer”-Größenkonzept. Dabei setzen die Taiwanesen auf eine Geometrie mit langen Reach-Werten, aber kurzen Sitzrohren. Damit jede Rahmengröße von möglichst vielen unterschiedlich großen Fahrerinnen und Fahrern genutzt werden kann, verbaut Merida die Expert SL Teleskopsattelstütze mit bis zu 230 Millimeter Hub. Mittels eines externen, aufklappbaren Einstellmechanismus kann der Verstellbereich stufenlos von 230 auf 30 Millimeter reduziert werden. So kann die Wahl der Rahmengröße weniger anhand der Sitzrohrlänge, als vielmehr nach dem Reach-Wert erfolgen. Wer gerne lange Bikes fährt, greift zum größeren Rahmen, reduziert den Hub der Variostütze und profitiert von einer höheren Laufruhe. Wer etwas kürzere Bikes favorisiert, wählt den kleineren Rahmen, maximiert den Ausfahrweg der Sattelstütze und bekommt ein wendigeres All Mountain Bike.
Dazu passt, dass die Geometrie des Merida One Forty via Flipchip auch an ein kleines 27,5 Zoll Hinterrad angepasst werden kann. Merida lässt uns so eine große Wahl bei den Setups des Bikes. Unser Dauertest-Fully kommt in Größe L. Für den 190 Centimeter großen Testredakteur wäre das 445 Millimeter kurze Sitzrohr mit einer normalen Teleskopstütze kaum fahrbar. Der Reach mit 502 Millimetern passt dagegen gut zu den Körpermaßen. Dank des “Agilometer”-Größenkonzepts geht die Wahl des L-Rahmens gut auf. In der maximal langen Einstellung der Variostütze passt die Sitzhöhe wunderbar.
An der Front des Merida One Forty 6000 sticht die feuerrote Marzocchi Bomber Z1 Gabel mit 150 Millimetern Federweg sofort ins Auge. Die Allmountain-Federgabel mit 36-Millimeter-Standrohren ist im Innern absolut baugleich mit den Gabeln der Fox 36 Performance Reihe. Am Heck federt der Rockshox Deluxe Dämpfer ohne Ausgleichsbehälter in der Select+ Version. In Sachen Antrieb bestückt Merida das Mittelklasse-Fully mit Shimano SLX-Schaltkomponenten. Einzig der Schalthebel entspringt der höherwertigen XT-Serie und soll für ein knackigeres Schaltgefühl sorgen. 510 Prozent Übersetzungsbandbreite sollten das Mountainbike auch steile Rampen erklimmen lassen. Auch auf den Bremsen findet sich das Logo der Shimano SLX Reihe. Am One Forty 6000 handelt es sich allerdings um die Vierkolben-Version der Japan-Stopper. Passend beißen deren Zangen auf große Bremsscheiben mit 203 Millimeter vorne und hinten zu. An der Kurbel gönnt Merida dem Bike mit der Turbine-Kurbel ein schickes Alu-Modell von Race Face.
An den 29-Zoll-Laufrädern kombiniert Merida Shimano SLX Naben mit No-Name-Felgen von Jalco. Mit 29 Millimeter Innenweite passt diese Wahl gut zum avisierten Einsatzgebiet, bringt jedoch leider ordentlich Gewicht auf die Waage. Zusammen mit den großen Bremsscheiben, der Shimano SLX Kassette und den gewichtigen Reifen wiegt der Laufradsatz 5120 Gramm - ganz schön proper. Dafür verspricht am hinteren Maxxis Dissector Reifen in 2,4 Zoll Breite eine extra starke Exo+ Karkasse hohe Pannensicherheit. Der 2,5 Zoll breite Maxxis Minion DHF an der Front kommt derweil nur mit einfacher Exo-Karkasse. Auch ein Grund fürs hohe Laufradgewicht: Merida liefert das One Forty 6000 mit schweren Schläuchen aus. In den günstigen Laufrädern klebt kein Tubeless-Felgenband, sodass diese Tuning-Maßnahme einigen Aufwand erfordern würde.
Die Merida Expert SL Sattelstütze ist Dreh-und Angelpunkt des speziellen Geometriekonzeptes. Aufgrund ihrer Länge bringt sie inklusive Zug und Remote allerdings knapp ein Kilo Gewicht auf die Waage - extrem viel für eine Variostütze. Der Rahmen des Merida One Forty ist für die Aufnahme einer integrierten Eightpins-Sattelstütze vorbereitet. Aufgrund ihres hohen Preises verzichten die Taiwanesen jedoch an ihren Komplettbikes auf diese Ausstattungsversion. Ein Upgrade würde laut Hersteller rund 30 Prozent Gewicht sparen und die Vorteile einer langen Sattelstütze erhalten, aber auch 450 Euro kosten. Insgesamt wirkt das Ausstattungspaket des Dauertest-Bikes auch so durchaus stimmig. Angesichts des nicht gerade super-günstigen Preises von 5800 Euro kommt mit den SLX-Komponenten kein Schnäppchenfieber auf. Ein zweiter Blick lohnt sich aber, denn der Wert des Merida One Forty 6000 steckt vor allem in den Details.
In der Liebe zum Detail hat sich Merida bei der One Forty Baureihe selbst übertroffen. Selten rollte ein Bike mit derart vielen Extras in den BIKE-Testkeller. Ihre Fülle erklärt nicht nur das wuchtige Gewicht des Serienbikes, sondern auch den Preis des Ausstattungspaketes, welches eher durch Funktionalität, als durch Exklusivität glänzt. Da wäre zum einen der hochwertig gemachte Carbon-Rahmen mit den erwähnten Wahlmöglichkeiten hinsichtlich Größe und Fahreigenschaften. Offensichtlich gibt Merida entsprechend hohe Entwicklungskosten teilweise an den Kunden weiter - ein durchaus gerechtfertigter Ansatz. Gummiprotektoren mit geräuschhemmenden Lamellen an Sitz- und Kettenstrebe schützen den schicken Rahmen. Zusätzlich versieht Merida diesen ab Werk mit einem Unterrohrschutz und vorbildlich großflächigen Schutzfolien: Der gesamte Hinterbau ist abgeklebt.
Eine kleine Kettenführung verhindert den Abwurf des Antriebsstrangs und ein Mini-Schutzblech schützt den Rahmen vor grobem Dreckbeschuss. Der Hebel der Hinterradachse ist entnehmbar und enthält einen Inbus, welcher für Vorder- sowie Hinterradachse und den Deckel des Staufachs im Unterrohr passt. Zusätzlich sitzt unter dem Sattel ein kleines Multitool. Im Staufach selbst findet sich eine Werkzeugtasche mit Tubeless-Plugs, einer Minipumpe und Reifenhebern. Vor der vorderen Dämpferaufnahme sitzt außerdem ein Montagepunkt, an dem ein Ersatzschlauch mit Klettverschluss festgehalten wird. Das Komplettbike kommt zudem inklusive Trinkflasche mit Fidlock-Halterung. Diese Menge an Zubehör ist im Kaufpreis des Merida One Forty 6000 bereits enthalten.
Als persönlicher Dauerbegleiter eines BIKE-Testredakteurs wird das Merida Fully eine ganze Bike-Saison voller Highlights durchlaufen. Der Testzeitraum startete Anfang Juli 2023 und wird sich bis ins Frühjahr 2024 erstrecken. Damit muss sich das Merida One Forty 6000 auch harten Winter-Konditionen voller Regen, Schnee und Matsch stellen. Das neue Zuhause des Dauertest-Kandidaten liegt am Rande des Bayerischen Waldes. Damit stehen ihm ausdauernde Trailrunden und der ein oder andere Besuch im Bikepark Geißkopf bevor. Seine neuen Home-Trails sind lang (die längsten nördlich der Alpen) und abwechslungsreich. Auch seine Kletterfähigkeiten wird das All Mountain Bike auf einer alltäglichen Basis unter Beweis stellen müssen.
Gegebenenfalls werden mit der Zeit kleine Anpassungen der Ausstattung vorgenommen werden. Um das Gewicht des MTBs zu reduzieren wäre zum Beispiel ein Upgrade auf einen Tubeless-Laufradsatz denkbar. Antriebs- sowie Fahrwerkskomponenten und die hauseigene Merida-Sattelstütze sollen nach Möglichkeit nicht getauscht werden, sondern über den vollen Testzeitraum laufen. Nach tausenden Kilometern und zehntausenden Höhen-, beziehungsweise Tiefenmetern ziehen wir ein Fazit zur Dauerhaltbarkeit des Carbon-Bikes. In diese fließen auch die Einschätzungen aus unserem hauseigenen BIKE-Testlabor zum Zustand der Lager sowie der Verschleißteile.
Die ersten Kilometer auf dem Merida One Forty 6000 bestätigen, was die BIKE-Tests der anderen One-Forty-Modelle bereits zeigten. Die Sitzposition ist dank des langen Hauptrahmens und des sehr steilen Sitzwinkels von sportlicher Natur. Auf eher flachen Touren ist das 79 Grad steile Sitzrohr fast etwas viel des Guten. Dann liegt viel Druck auf den Handflächen. Lieber mag das Merida steile Anstiege. Hier punktet der Extremwert beim Sitzwinkel und äußert sich mit einer spät steigenden Front. Das hohe Gewicht ist auf ausdauernden Runden deutlich zu spüren - hier gibt es eindeutig Optimierungspotential. Effizient, aber langsam klettert das One Forty zum Gipfel. Auch in der Abfahrt sind die Pfunde nicht wegzudiskutieren. Insgesamt fühlt sich das lange All Mountain Bike im Handling nach viel MTB an. Trotzdem geht es erfreulich flink durch enge Kurven - kurzen Kettenstreben sei Dank. In steilen Sektionen schenken die niedrige Überstandshöhe und der weit abgesenkte Sattel viel Sicherheit. Wird es im Talschuss mal richtig schnell, profitiert der Pilot vom langen Reach-Wert und den hohen Federwegsreserven. Apropos Federung: Das One Forty steht eher hoch im Hub und vermittelt so ein sportlich-direktes Fahrgefühl. Kleine Unebenheiten werden jedoch weniger gut aus dem Untergrund gefiltert. Damit kann sich das Merida zu Anfang des Dauertests zwar nicht als Komfortwunder zeigen, macht bei aktiver Fahrweise aber Lust auf technische Herausforderungen und steile Trails bergauf, wie bergab.