Florian Vesenbeckh
· 02.05.2022
Smarte Versuchung: E-MTBs mit dem neuen Bosch Smart System sind teuer. Nicht so das Bulls Sonic EVO AM 3 Carbon und das Conway Xyron. Was haben die beiden Fullys mit Smart-System zu bieten?
Smarte Häuser, smarte Uhren, smarte Autos. Heute ist alles smart, was modern sein möchte. Als Bosch im vergangenen Jahr die neue Generation seines Top-Aggregats Performance CX ankündigte, war klar, dass auch die Schwaben mit der Zeit gehen würden. Seither können Bosch-Biker ihre System-Updates bequem zu Hause erledigen oder die Unterstützungsstufen via App auf persönliche Vorlieben anpassen. Und das soll nur der Anfang zahlreicher Möglichkeiten sein, um die sich das System zukünftig erweitern lässt. Allerdings ist das neue „Smart-System“, so der offizielle Name, ausschließlich mit einer Reihe neuer Komponenten verfügbar. Darunter der Riesen-Akku Powertube 750. In Summe bedeutet das eine saftige Preissteigerung. Die E-Bike-Hersteller fangen das auf, indem sie ihre günstigsten Modelle noch mit dem alten System ausstatten. Wer also im Besitz der aktuellsten Bosch-Technik sein möchte, muss sich im Preisbereich von 5000 Euro umsehen und wird dort nur eine überschaubare Anzahl vollgefederter E-Mountainbike-Modelle finden. In genau diesem Einstiegsbereich sind wir auf die Suche gegangen und haben zwei Kandidaten der All-Mountain-Klasse aus dem Markt gefischt.
Beide Marken, Bulls und Conway, sind für ihr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis bekannt. Conway ruft 4900 Euro für das Xyron S 4.9 auf. Damit ist das Bike im Firmenportfolio das günstigste Fully mit Smart-System. Der Kontrahent des Conway, das Bulls Sonic Evo AM 3 Carbon, setzt für 300 Euro mehr bereits auf ein Kohlefaserchassis – in diesem Preisbereich ein verführerischer Luxus (ab 4600 Euro gibt es das Bike als Alu-Modell, ebenfalls mit dem Bosch-Smart-System). Die Ausstattung ist bei beiden Rädern im Test ordentlich, Wunder darf man in dieser Preisklasse allerdings nicht erwarten. Conway investiert in ein starkes Fahrwerk. Die gute Fox 36 Performance ist ein deutliches Plus gegenüber der günstigen Rockshox 35 am Bulls. Das macht sich im Gelände deutlich bemerkbar. Dafür müssen sich Xyron-Piloten mit elf Gängen der Deore-Schaltung begnügen, während das Sonic zwölffach schaltet. Auch der Bereifung merkt man den Sparzwang etwas an. Beide Kandidaten setzen auf die günstige Performance-Ausführung der Schwalbe-Reifen. Das Nobby-Nic-Profil am Conway hat seinen Fokus ganz klar auf Touren und ruhiges, schnelles Rollen, während sich die Kombi aus Magic Mary und Hans Dampf am Bulls auch in schwierigem Terrain noch wohlfühlt. Erfreulich: Die Detaillösungen am Rahmen sind an beiden Bikes stimmig. Der Lade-Port lässt sich gut handhaben, der Geschwindigkeitssensor ist sicher integriert, und auch die Akku-Entnahme ist durchdacht und funktional. Beide Batterien sind mit Schlüssel gesichert. Einen deutlichen Unterschied gibt es bei der Auswahl an Rahmengrößen. Bulls bietet das Sonic in M, L und XL an, während das Xyron gleich in fünf Größen von S bis XXL verfügbar ist.
Beim Federweg sind die Kontrahenten gleich auf. 150 Millimeter an Front und Heck sind aktuell gewissermaßen Standard in der All-Mountain-Liga. Unterschiede zeigen sich beim Laufradkonzept. Conway setzt auf klassische 29 Zoll, bei Bulls entschieden sich die Entwickler für den MX-Mix mit kleinerem 27,5er-Hinterrad. Entsprechend ist auch die Geometrie beim Sonic mit einem kürzeren Heck und längerem Hauptrahmen sportlicher ausgelegt, während das Xyron auf Komfort und Fahrsicherheit setzt. Wenig Überraschendes in puncto Gewicht: In beiden Bikes steckt, wie zu Anfang erwähnt, der große, aber auch schwere Bosch Powertube mit 750 Wattstunden Akku-Kapazität. Unser großer All-Mountain-Test ab Seite 32 zeigt: Selbst im hochpreisigen Segment sind mit diesem Energieträger kaum Rekordgewichte möglich. Auch ein Bike wie das Scott Patron eRide 900 Tuned – 9000 Euro teuer und mit Vollcarbonrahmen ausgestattet – landet bei 24 Kilo. Da gehen die 24,9 Kilo des verhältnismäßig günstigen Bulls in Ordnung. Oberhalb der Schmerzgrenze landet das Conway Xyron. 26,5 Kilo sind angesichts eher zahmer Bereifung ein echtes Pfund, das sich beim Handling des Bikes auch klar bemerkbar macht.
In Summe ergeben sich im Gelände sehr unterschiedliche Charaktere. Das Sonic macht von Beginn an seinen sportlichen Charakter klar. Man sitzt etwas gestreckter auf dem Bike, die Front ist tiefer. So vermittelt es einen direkteren und spritzigen Charakter. Insbesondere auf zahmen Trails hat das Bulls damit die Nase deutlich vorne. Es fährt sich agil und lässt sich spielerisch dirigieren, auch mal aufs Hinterrad ziehen und ohne große Mühe in die Luft bewegen. All das fällt mit dem Conway deutlich schwerer. Das liegt zum einen am hohen Gewicht, aber auch an den längeren Kettenstreben und dem komfortorientierten Fahrwerk. Die Sitzposition ist aufrechter und angenehm für lange Touren. Aber auch in steileren Abfahrten oder ruppigerer Passagen kann das Xyron punkten. Der Fahrer steht gefühlt sicher hinter der hohen Front, und das sensible Fox-Fahrwerk schluckt Schläge mit viel Komfort – so vermittelt das Conway mehr Sicherheit.
Auch die Hinterbaufederung des Bulls funktioniert sehr gut, wurde aber sportlicher ausgelegt. Schwächen zeigt dagegen die günstige Federgabel, die Rockshox 35. Sie arbeitet zwar sensibel, zeigt in schwerem Gelände aber wenig Nehmerqualitäten. In steilen Downhills gibt sie zu wenig Gegenhalt, sackt ein und bringt damit das Bike aus der Balance. Ohnehin ist die kurze Geometrie nicht auf immense Laufruhe ausgelegt. So kann das Sonic die Vorteile der besseren Reifen und des längeren Reachs in harschen Downhills nicht gewinnbringend einsetzen.
Nächste Disziplin: der Uphill. Hier punktet die lange Geometrie des Conway Xyron. Gelassen und sicher kann man auf dem Bike auch steile Rampen angehen. Deutlich mehr Körpereinsatz verlangt das Sonic von seinem Piloten. Damit das Vorderrad nicht zu früh steigt, muss man das Gewicht aktiv nach vorne bringen.
Auf ausgedehnten Touren funktionieren beide Bikes, massig Ausdauer liefert dabei der große Bosch-Akku. Und wie es sich für ein smartes Tool gehört, kommuniziert der Antrieb auf Wunsch mit dem WWW. Über die neue E-Bike-Flow-App können alle Touren und Fahrten automatisch aufgezeichnet werden – ohne einen manuellen Start oder Stopp. Ein interessantes Technik-Feature, das Datenliebhabern ausschweifende Analysen ihrer Touren und Fahrleistungen erlaubt. Im Touren-Alltag ebenfalls praktisch ist die Option, die Unterstützungsstufen auf persönliche Vorlieben anzupassen. Das kann besonders hilfreich sein, um Gewichts- und Leistungsunterschiede in der Gruppe aneinander anzupassen. Leider sind die beiden progressiven Modi Tour+ und E-MTB von dieser Funktion ausgenommen. Eco und Tour können mit der App schnell und einfach angepasst werden. Doch keine Sorge: Wer möchte, darf den kraftvollen und gut modulierbaren Bosch-Antrieb auch einfach nur fahren – und das smarte System smart sein lassen. Alles kann, nichts muss.
Die Sonic-Serie von Bulls richtet sich an sportliche E-Mountainbiker. Unser Test-Bike kommt mit einem hochwertigen Carbon-Rahmen, der mit seinem kantig-breiten Oberrohr ins Auge sticht. Technisch hält der Rahmen einige Finessen bereit: Für mehr Steifigkeit und Formschluss nimmt das Steuerrohr extradicke 1,8-Zoll-Gabelschäfte auf. Die Akku-Entnahme oben/seitlich aus dem Unterrohr ist besonders nach oder während einer Fahrt im Schlamm ein Plus. Hinzu kommen die cleveren Licht- und Zubehörlösungen, teils über magnetische Steckverbindungen (Frontlicht und Trinkflasche). Auch in puncto Gewicht kann sich das Kohlefaserchassis sehen lassen. Im Vergleich zum schweren Conway lässt es sich sportlicher und wendiger über flache Trails bewegen. Die Geometrie mit tiefer Front bringt den Fahrer in eine aktive Position, so flitzt das Bike willig um Kurven.
Die Hinterbaufederung funktioniert trotz günstigen Dämpfers sehr gut. Dank deutlicher Progression hält sie Reserven für wilde Fahrmanöver bereit. Wer es gemächlich angeht, wird den Federweg aber nicht ausnutzen. Die günstige Rockshox-35-Federgabel kann da nicht mithalten, das ist der größte Schwachpunkt des Bikes. In steilen Abfahrten hängt sie tief drin, was die Fahrposition negativ beeinflusst. So kann das Sonic auf anspruchsvollen Abfahrten seine Qualitäten nicht ausspielen und strahlt nur mäßig Vertrauen aus. Die Sitzposition des Bikes ist gestreckt. In steilen Anstiegen tritt man fast etwas von hinten, was die Uphill-Eigenschaften schwächt. Das Vorderrad fängt im Steilgelände früh an zu tänzeln. Wer technische Anstiege auf dem Plan hat, sollte den Sattel ganz nach vorne schieben. Die Sattelstreben bieten dafür einen sehr großen Verstellbereich.
Sportliches Trail- und Touren-Bike mit top Carbon-Rahmen und stimmigen Detaillösungen. Im Gelände verhindert die günstige Gabel bessere Noten. Extreme Uphills mag es weniger.
Das Xyron S ist der Allrounder im Conway-Programm. Es will gemäßigte Wochenendausflüge genauso mitmachen wie sportliche Gelände-Touren. Die Ausstattung an unserem Test-Bike ist stimmig. Vor allem das gute Fox-Fahrwerk ist in dieser Preisklasse alles andere als selbstverständlich. Für 2022 hat Conway dem Alu-Bike nicht nur das neue Smart-System von Bosch mit großem 750er-Akku eingepflanzt, sondern auch große 29er-Laufräder. Beides macht sich leider an der Waage deutlich bemerkbar. Mit 26,5 Kilo ist das Bike ein absolutes Schwergewicht. Erfreulich ist, dass sich das Xyron trotzdem gut steuern und kontrollieren lässt. Die Geometrie ist angenehm und macht mit seiner eher aufrechten Sitzposition sowohl komfortbewusste Radler, als auch echte Mountainbiker glücklich. Bei Trail-Abstechern gibt es eine dicke Portion Geländegängigkeit obendrauf.
Das starke Fahrwerk mit der hochwertigen Fox-36-Gabel bringt Komfort und schluckt auf ruppigem Grund auch größere Schläge souverän. Der lineare Hinterbau geht dabei großzügig mit seinem Hub um, was gemäßigten Piloten zu Gute kommt. In steilen Abfahrten steht man angenehm hinter dem Vorderrad und bleibt gelassen Herr der Lage. Bei extremer Fahrweise limitieren zuerst die gemäßigten Reifen und dann das weiche Fahrwerk. Deutliche Abstriche muss man allerdings bei der Handlichkeit machen. Wenn sich der Trail verspielt durchs Gelände windet oder Wurzeln zu Geländesprüngen einladen, fühlt sich das Xyron sehr behäbig an. Im Uphill ist das Rad absolut kompetent – egal, ob bei sportlich-extremer oder gemäßigter Gangart. Das Vorderrad hält lange Bodenkontakt, der Hinterbau arbeitet feinfühlig und steht schön hoch im Hub.
Komfortables Touren-Bike mit guter Ausstattung und stimmigem Fahrverhalten. Im Gelände fährt es sicher und neutral, doch wendiger Trail-Charakter fehlt. Leider sehr schwer.
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