Die Hochmesse der Autobranche, die IAA in Frankfurt gibt es nicht mehr. 6 Liter Hubraum geil finden kann man meist nur unter den richtigen Freunden. Die heißesten Produktneuheiten findet man auch nicht mehr ausschließlich auf den Fachmessen. Kurz: Die IAA Mobility in München versucht die Autobranche ins neue Jahrtausend zu hieven. Neuer Standort, neue Ausrichtung der IAA hin zum Thema (E-)Mobilität - also vor allem alles, was auf 4 Rädern rollt mit einem Akku unter der Haube, aber eben auch Mini- und Mikromobilität in Form von E-Lastenfahrrad, E-Bikes und sogar echte “Bio-Bikes”.
Wir haben uns also auf der IAA Mobility umgesehen, die sowohl in den klassischen Münchner Messehallen Aufstellung bezogen hatte, als auch in der Münchner Innenstadt sehr raumgreifend zu bestaunen war. Die Schauspielerin Natalie Portman hielt eine Eröffnungsrede, Kanzler Scholz mit Augenklappe ebenso, Greenpeace versenkt Autos im Messe-Tümpel und mehrere Dutzend Klimaaktivisten kommen vorübergehend in Haft. Nicht zu vergessen: Die Polizeipräsenz in der Stadt ist sehr hoch, Kräfte aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz müssen die bayerischen unterstützen.
Bei den ersten Runden in den Messehallen der IAA entsteht zunächst der Eindruck, dass zwar fast alles “E” - also elektrisch - ist, aber die größten Berührungspunkte zwischen Auto und dem schönsten und umweltfreundlichsten Gefährt, dem Fahrrad, wohl der Dachgepäckträger ist. Es gibt kaum noch Messestände auf denen PS-Tuning oder Hubraum-Rekorde hochgehalten werden, stattdessen haben Samsung und AWS riesige Stände und das Thema Displays und Akkus sind die heißen Themen.
Aber immer wieder zeigen sich alternative Konzepte, beispielsweise ein Elektroroller für die Polizei oder ein Cargobike names Mocci (gesprochen: Motschi), das wir uns genauer angesehen und Probe gefahren haben. Ein 40 Kilo-Brocken mit einem Schaeffler-Antrieb. Spannend an diesem für Lieferdienste designten E-Bike: Es hat zwar Pedale, aber eigentlich nur, damit es keine Moped-Plakette tragen muss. Die Pedale bieten Gegenhalt und müssen getreten werden, um voranzukommen. Allerdings simuliert ein elektrischer Widerstand die Übersetzung, den Rest macht der Motor. Ebenso interessant: Das Bike und die Laufräder bestehen aus einem, im Spritzguss erzeugten Kunststoffrahmen. Die meisten Teile für das Mocci stammen von deutschen Herstellern (u. a. Schaeffler, Ansmann, Sigma). Hinter Mocci steht die Münchner CIP-Group, ein Logistik-Dienstleister, der mit dem E-Bike die berühmte “Last-Mile” organisieren möchte.
Ganz vereinzelt tauchen auch Stände von “echten” Bike-Herstellern auf, etwa Stromer oder die spanischen E-Bike-Bauer Desiknio.
Bei einigen sogenannten Keynotes - kurzen Vorträgen oder Gesprächsrunden - ging es natürlich auch um das übergeordnete Thema Mobilität. Meredith Glaser, Executive Direktor des Urban Cycling Institute an der Uni Amsterdam, versuchte das kleine Gedankenexperiment: Denken Sie an den Begriff “Straße”. Welche Assoziationen haben sie?
Aus dem recht großstädtischen München kommend würde ich sagen: Ja. Meredith Glaser plädiert dafür, Straßen wieder weniger vom Motor-Verkehr her zu denken, sondern für alle: Kinder, RadfahrerInnen, Menschen mit Behinderung, FußgängerInnen...
Im Kontrast stand die Gesprächsrunde unter anderem mit Stefanie Burkert, Managing Director des World Bicycle Relief Germany (WBR). Ihre Organisation finanziert Fahrräder und Infrastruktur für Menschen vornehmlich in Afrika. Die Räder sind preiswert, robust und helfen dort zum Teil Existenzen zu sichern. Wie? Die gleiche Frage nach den Assoziationen zum Begriff Straße würde ein afrikanisches Kind wohl eher mit “hätte ich gern” oder “3 Stunden Schulweg” beantworten. Das Buffalo-Bike des WBR kann so die 3 Stunden Schulweg auf 60 Minuten verkürzen oder einem Händler einen ungleich größeren Verkaufsradius bescheren und somit ganzen Familien eine sicherere Lebensgrundlage.
Petra Husemann-Roew, Geschäftsführerin der ADFC Bayern, holt die Diskussion sogar vor die eigene Haustür. Ihr Verein hilft auf der einen Seite auch beispielsweise Geflüchteten in Deutschland, Fahrradfahren zu lernen, damit sie mobiler werden. Hilft Menschen nach Unfällen, wieder Mut zu fassen, sich auf den Sattel zu schwingen. Und der ADFC setzt sich als Lobby-Gruppe generell dafür ein, dass etwa auch in ländlichen Gebieten in Deutschland mehr Radwege gebaut werden. Denn auch hierzulande fehlt es oft an Mobilität, weil der Bus nur drei Mal täglich auf dem Land kommt und es für ein Auto bei immer mehr Menschen nicht mehr reicht.
An diesem Punkt setzt dann die Mini- oder Mikromobilität an, wie etwa E-Scooter, Leih-E-Bikes oder auch kleine Miet-Elektroautos. Das Beratungsunternehmen McKinsey prognostiziert einen starken Anstieg in all diesen Bereichen, Augustin Friedel von MHP, sieht vor allem E-Bikes und E-Scooter auf dem Vormarsch. Hier allerdings werden nach seinen Aussagen eher Hersteller mit Städten oder Gemeinden kooperieren, um geordnet Mietflotten zu realisieren, wie es nextbike und Donkey Republic bereits tun. So soll Wildwuchs von diversen Roller-Anbietern in der Fußgängerzone verhindert werden.
Was kaum einer Messe in München erlaubt ist - für die IAA Mobility wird eine komplette Woche die gute Stube der Stadt, samt Marienplatz, Odeonsplatz und ganzer Ludwigstraße sowie des Hofgartens gesperrt und zur Freiluft-Messefläche. Starkes Statement - so oder so.
Man muss allerdings auch anerkennen, dass die Aussteller auf der Ludwigstraße und im Hofgarten eigentlich fast schon eine kleine Bike-Messe hingestellt haben - inklusive zweier Teststrecken durch den Englischen Garten. Es konnte von mächtigen Cargoraketen von Riese und Müller bis zu schicken Specialized Rennrädern alles mögliche ausprobiert werden, was auch rege in Anspruch genommen wurde bei hochsommerlichem Wetter. Aufsehenerregende Neuerungen - wie etwa auf der Eurobike - gab es wohl keine. Aber genug Menschen schlenderten umher und informierten sich über E-Bikes, die sonst nicht den Weg auf eine Messe oder zum Fachhändler gefunden hätten.
Na gut, und dann waren da noch die riesigen Stände der Autohersteller am Odeonsplatz. Neben VW, Renault und Opel zeigte sich der chinesische E-Wagenbauer BYD sehr selbstbewusst mit seiner ganzen Flotte. Auch hier boten die verschiedenen Hersteller Testfahrten mit ihren Wagen an. Interessante Randnotiz: Bei allem Kommen und Wegfahren der Autos: große Ruhe, kein Motorgeheul, kein Abgas.
Wenn die IAA ein wenig von der bevorstehenden Mobilität der nächsten Jahre ist, dann hat der Verbrenner wohl nicht mehr viel zu melden. Die von vielen Autoherstellern betriebenen Kooperationen und Übernahmen von Fahrradherstellern war aber auf der IAA kein Thema.