Von der Ausnahmeerscheinung zum Massenprodukt. Auf diesem Weg scheint sich gerade die noch junge Gattung der TPU-Schläuche zu befinden. Noch im letzten Schlauchtest 2021 konnten gerade mal drei Hersteller ein Modell aus thermoplastischem Polyurethan (TPU) liefern. Mittlerweile sind auch die großen Marken – Schwalbe, Conti oder Pirelli – auf den TPU-Zug aufgesprungen. Und der scheint den klassischen Butyl-Schlauch so langsam aufs Abstellgleis schieben zu wollen.
Thermoplastisches PU, das sich bei Hitze verformen lässt und aushärtet, wenn es abkühlt, hat gegenüber dem schwarzen Kautschuk einige Vorteile. Es vereint die Haltbarkeit von Kunststoffen mit der Elastizität von Gummi – was sich im Testlabor von Schwalbe, in dem wir unsere Labormessungen durchführen durften, vor allem im geringen Rollwiderstand niederschlägt. Aber auch das Gewicht spricht klar für TPU-Schläuche. Die leichtesten Exemplare wiegen gerade mal 43 Gramm – ein Hauch von Nichts. Selbst der schwere Aerothan-Schlauch ist noch immer knapp 100 Gramm leichter als ein Standard-Butyl-Schlauch – bei besserem Pannenschutz, wohlgemerkt.
Gerade beim Durchstich schneidet das elastische TPU gut ab. Zumindest in der Praxis schützen die Kunststoffpellen auch bei Durchschlägen besser, als die Laborwerte vermuten lassen. Im Gegensatz zu Butyl entwickelt der Reifen aufgrund der hohen Oberflächenspannung des Materials schon bei niedrigem Druck gute Stabilität. Im Blindversuch konnten zwei von drei Testern TPU-Schläuche nicht von Tubeless unterscheiden, was für den hohen Fahrkomfort dieser Schläuche spricht.
Sind die Weichen für TPU-Schläuche also gestellt? Nicht ganz, denn es gibt auch Kritikpunkte. Das Material verlangt nach extrem hoher Fertigungsqualität. Unsere Messungen bescheinigen den meisten Testkandidaten zwar eine hohe Güte. Abweichungen in der Materialdicke können in der Praxis aber zu plötzlichem Luftverlust führen – auch wir hatten bereits derartige Probleme. Die Montage ist ebenfalls nicht ohne. Einmal zu fest angepumpt, und der Schlauch geht auf wie ein Hefeteig. Danach ist er reif für die Tonne. Was bei den aktuell noch aufgerufenen Preisen besonders schmerzhaft ist. Die aufwendige und kostenintensive Produktion dürfte im Moment wohl noch der Hauptgrund dafür sein, dass der TPU-Zug noch nicht so richtig in Fahrt gekommen ist.
Wie flickt man eigentlich einen TPU-Schlauch? Das alte Butyl-Flickset sollte man dafür auf jeden Fall nicht verwenden. In unserem Tech-Hack zeigen wir, wie die TPU-Reparatur funktioniert.
Schaut man rein auf die Gesamtnote, schneiden alle TPU-Schläuche im Test besser ab als die beiden Butyl-Alternativen. Ein Blick ins Detail zeigt aber: In Sachen Pannenschutz haben viele Modelle noch Schwächen. Nur Eclipse und Schwalbe sind durchweg empfehlenswert. Der Barbieri ist zwar pannensicher, aber schwer und rollt zäh. Den besten Kompromiss aus Gewicht, Pannenschutz und Komfort bietet noch immer Tubeless – mit dem Nachteil des höheren Service-Aufwands. - Stefan Frey, BIKE-Redakteur
Neben zehn TPU-Schläuchen haben wir zum Vergleich einen Latex- sowie einen Standard- und einen leichten Butyl-Schlauch durch das Labor von Ralf Bohle geschleust.
Je geringer die rotierende Masse, desto besser. Gewichtsersparnis ist einer der Hauptgründe, auf Leichtschläuche zu wechseln. Deshalb messen wir diesem Kriterium 25 Prozent der Gesamtnote bei.
Damit der Fokus möglichst auf dem Schlauch liegt, messen wir mit dem leichten Schwalbe G-One Speed Evo ohne zusätzlichen Pannenschutz. Den Rollwiderstand ermitteln wir mit einem Reifendruck von 1,6 bar bei einer Geschwindigkeit von 20 km/h und 50 Kilo Last. Je geringer der Wert, desto besser. Auf zwei Reifen summiert liegen die Unterschiede innerhalb TPU bei rund 5 Watt, was in der Praxis deutlich spürbar ist. Je leichter und geschmeidiger das Material der TPU-Schläuche, desto schneller rollt der Schlauch in der Regel.
Beim Durchschlagstest fällt ein 14 Kilo schwerer Amboss mit abgerundeter Kante auf den mit 1,6 bar gefüllten Reifen. Je größer die Fallhöhe, bis der Schlauch platzt, desto besser der Pannenschutz.
Um den Schutz gegen Durchstiche zu testen, drückt ein Metalldorn mit einer 1‑mm-Spitze so lange gegen den Schlauch, bis ein Loch entsteht. Dabei werden die Kraft und der zurückgelegte Weg gemessen. Hier spielt nicht nur die Materialstärke eine Rolle, sondern auch seine Geschmeidigkeit. So können auch leichte Schläuche gute Werte beim Sticheltest erzielen – siehe Eclipse und Schwalbe.
Conti, Revoloop und Tubolito punkten mit geringem Gewicht und Rollwiderstand. Auch der leichte Schwalbe und WTB rollen gut. Latex ist aber nicht zu schlagen.
Der leichte Eclipse schützt erstaunlich gut bei Durchschlägen. Beim Sticheltest haben die schwereren Schläuche von Barbieri und Schwalbe die Nase vorn.
Noch immer werden die meisten Bikes standardmäßig mit Butyl-Schläuchen ausgeliefert. Sie sind günstig, nahezu überall verfügbar, in gleichbleibender Qualität herstellbar, aber schwer. Selbst in der Light-Version wiegt unser Testschlauch noch 145 Gramm. Trotzdem rollt der leichte Butyl-Schlauch schlechter als TPU. Gegen Pannen sind beide Standard-Schläuche schlecht gewappnet. Etwas höherer Druck verbessert zwar den Schutz, verschlechtert aber den Fahrkomfort. Je nach Ausführung kosten Butylschläuche zwischen 4 und 15 Euro.
+ günstig in der Anschaffung
+ nahezu überall verfügbar
+ einfach reparierbar
- mäßiger Pannenschutz
- im Vergleich recht schwer
Ginge es rein um Pannenschutz und Rollwiderstand, wären Latex-Schläuche, wie der Vittoria Competition, die ideale Wahl für Mountainbiker. Die extrem elastischen Milchsaft-Schläuche können sogar mit Tubeless-Systemen konkurrieren. Dass sie inzwischen nahezu vollständig vom Markt getilgt wurden, liegt zum einen am hohen Luftverlust – auf einer langen Tour schon mal mehrere Zehntel-Bar. Auch die Herstellung ist ein Problem: Die Latexgewinnung ist teuer und Verunreinigungen können zu Porosität im Material führen. Den Vittoria Competition Latex gibt es für ca. 16 Euro.
+ guter Pannenschutz
+ sehr niedriger Rollwiderstand
+ preiswert
- hoher Luftverlust
- kaum Alternativen
Mit etwa 100 Gramm Gewicht pro Reifen liegt Tubeless mit den schwereren TPU-Schläuchen auf Augenhöhe. Selbst bei niedrigem Druck bietet das System besten Pannenschutz, kleinere Stiche werden durch die „Milch“ abgedichtet. Auch der Rollwiderstand ist im Vergleich am geringsten, weil hier kein Schlauch verformt werden muss. Selbst die Montage ist mit modernen Tubeless-Ready-Felgen unkompliziert und preiswert – nur das Erneuern der Dichtmilch von Zeit zu Zeit nervt. Einen Liter Tubeless-Milch bekommt man schon für ca. 35 Euro. Damit lassen sich im Schnitt acht Reifen befüllen. Rechnet man eventuell nötige Tubeless-Ventile und Tubeless-Klebeband für die Felgen obenrauf, fährt man mit Tubeless immer noch recht preiswert.
+ hoher Komfort, weil bei niedrigem Druck fahrbar
+ bester Pannenschutz
+ dichtet Durchstiche selbstständig ab
+ sehr niedriger Rollwiderstand bei maximalem Grip
- Montage und Wartung können nerven
- Sauerei, falls die Milch einen Defekt nicht abdichtet
Wenig Gewicht und ein hoher Schutz gegen Fremdkörper sprechen für TPU. Zudem haben unsere Fahrtests gezeigt, dass das Fahrgefühl der leichten Schläuche sehr dicht an einem Tubeless-Setup liegt. Und das ganz ohne Dichtmilchsauerei. - Peter Nilges, BIKE Test-Chef
Einen TPU-Schlauch nehme ich auf längeren Touren immer mit. In 99 Prozent der Fälle brauche ich ihn nicht und habe nur leichtes Gepäck zu tragen. Nach Hause komme ich damit zur Not immer, im Gelände ist die Haltbarkeit aber endlich. - Jan Timmermann, BIKE-Testredakteur
Bis auf die hohen Kosten spricht alles für TPU. Butyl gehört für mich auf die Ersatzbank. Weil Tubeless dank moderner Reifen und Felgen heute aber unkompliziert ist, werde ich auch weiterhin das Schlauchlos-System dem Schlauch vorziehen. - Stefan Frey, BIKE-Testredakteur
Insgesamt haben wir zehn TPU-Schläuche durchs Labor gejagt. Die Gesamtergebnisse sprechen eindeutig für das neue Material. Im Schnitt schneiden alle TPU-Schläuche besser ab als Butyl. Wirft man einen genaueren Blick auf die Einzelnoten, zeigen sich aber teils deutliche Schwächen vor allem bei den Punkten Durchschlag und Durchstich. Je nach Vorliebe oder Einsatzzweck sollte aber jeder Biker ein passendes Modell für sich finden.
Fazit: Schwerer TPU-Schlauch mit hervorragendem Pannenschutz, aber zähem Rollverhalten. Die Messungen zeigen große Schwankungen bei der Materialdicke. Sehr preiswert.
Fazit: Bis auf die Ventillänge baugleich mit dem Revoloop. Rollt schnell und wiegt wenig. Top Wahl für Racer, die auf leichten Kursen nur wenig Pannenschutz benötigen.
Fazit: Einer der leichtesten Schläuche im Test, rollt zudem sehr leicht. Beim Pannenschutz fällt er aber etwas ab. Beim Durchstich wenig elastisch.
Fazit: Der Pirelli ist auch in einer schmalen 29er Version erhältlich. Im Test schneidet er nur beim Durchstich gut ab. Die restlichen Werte liegen im hinteren Drittel.
Fazit: Wie schon der Conti wiegt der Revoloop extrem wenig und rollt dabei hervorragend leicht. In Sachen Pannenschutz kann der Revo.MTB Ultra nicht überzeugen. Leichter Race-Schlauch.
Fazit: Der Schwalbe ist kein ausgesprochenes Leichtgewicht, rollt dafür sehr gut und bietet hohen Pannenschutz, was vermutlich mit an der hohen Elastizität liegt. Gute Tubeless-Alternative.
Fazit: Der schwerere Schwalbe überzeugt vor allem in Sachen Pannenschutz. Bestwert beim Durchstich. Beim Rollen zwei Watt langsamer als der schnelle Revoloop. Guter Touren-Schlauch.
Fazit: Hier spart man am meisten Gewicht. Beim Rollverhalten gibt es allerdings noch bessere TPU-Schläuche. Letzter Platz in Sachen Durchschlag, geringe Elastizität.
Fazit: Selbst der „schwere“ Tubolito ist immer noch ein Leichtschlauch. Schützt deutlich besser vor Durchstichen als der S‑MTB, insgesamt aber nur mittelmäßiger Pannenschutz.
Fazit: Die Überraschung im Test. Trotz verhältnismäßig geringem Gewicht schützt der WTB noch gut vor Pannen und rollt zudem angenehm leicht. Auch preislich attraktiv.