Jan Timmermann
· 18.01.2024
Als in den späten 80er und frühen 90er Jahren Mountainbikes noch oft ohne Federgabel und mit leblosen Reifen durchs Gelände pflügten, kamen findige Entwickler auf die Idee eine Federung in den Vorbau zu integrieren. Mit verschiedenen Systemen waren bis zu 75 Millimeter Federweg möglich. Beispielsweise dämpfte der legendäre Grivin Flexstem mit einem Elastomer Vibrationen aus dem Untergrund. Problem dabei: Reagieren konnte die Mini-Federung nur auf Hindernisse, wie Wurzeln oder Steine, nicht jedoch auf Senken oder Rillen. Dazu fehlte ihm die Möglichkeit des Ausfederns oder anders gesagt, der Negativfederweg (SAG).
Noch dazu veränderte der Lenker an den nostalgischen Feder-Vorbauten seine Position permanent auf einer vertikalen Achse, was Auswirkungen auf die Geometrie hatte und das Fahrgefühl im besten Falle “gewöhnungsbedürftig” machte. Schon ausgeklügelter war da die Parallelogramm-Federung des Softride Suspension Stems, mit der sogar MTB-Weltmeistertitel eingefahren wurden. Doch auch dieser Ansatz bewährte sich im Alltag mit einem bis zu vier Mal höheren Gewicht, als bei einem Standard-Vorbau, und mäßiger Lenkpräzision nicht wirklich. Als Federgabeln mit der Zeit immer besser wurden, verschwanden gefederte Vorbauten komplett vom Mountainbike-Markt.
Doch dann kam ein neuer Trend auf, der dem Ansatz neuen Wind in die Segel blies: das Gravelbike. Wieder fuhren sportliche Radfahrer mit Starrgabeln und schmalen Reifen durchs Gelände. Auf langen Fahrten über ruppigen Boden können eine ganze Menge Vibrationen an Händen und Armen des Fahrers ankommen. Schlaglöcher und Kanten von Steinen oder Wurzeln fordern auf ungefederten Bikes schnell ihren Tribut: Ermüdung und Schmerzen können die Folge sein. Vecnum hat sich der Thematik angenommen und ein Produkt entwickelt, das zwar den Geist der nostalgischen Flex-Vorbauten aufgreift aber auf ein völlig neues Level heben will. Warum auch nicht? Eine alte Idee mit moderner Technik zu erneuern kann eine vielversprechende Strategie sein. Über Schotter und Trails soll der Vecnum freeQENCE die Beanspruchung des Körpers reduzieren und den Komfort erhöhen. Wir haben’s ausprobiert.
Was also können Biker vom immerhin 299 Euro teuren Vecnum freeQENCE erwarten? Bis zu 75 Prozent der Vibrationen soll der gefederte Vorbau von Vecnum bei Verwendung mit einer Starrgabel aus dem Gelände filtern. Als Ergebnis versprechen die Allgäuer weniger kribbelnde und taube Hände sowie mehr Sicherheit, Komfort und Fahrspaß in technischen Passagen. Möglich machen das laut Hersteller insgesamt 30 Millimeter in den Vorbau integrierten Federweg, welche sich auf 20 Millimeter Positiv- und 10 Millimeter Negativfederweg aufteilen. Vecnum verspricht für die rein mechanische Federung eine lineare Kennlinie mit starker Endprogression. Im freeQENCE stecken gleich vier Elastomere, welche mit den mittlerweile verpönten Weichmachern der 90er Nichts mehr gemein haben sollen. Die beste Federung ist ohne Einstellung auf das Fahrergewicht nutzlos. Deshalb kann eine patentierte Federanlenkung mittels Drei-Millimeter-Inbus stufenlos für Fahrer zwischen 50 und 120 Kilo angepasst werden.
Erhältlich ist der Flex-Vorbau in 90, 105 und 120 Millimeter Länge. Durch diese Baumaße ist der freeQENCE für den Gravel-Einsatz prädestiniert. Vecnum gibt das Teil jedoch für alle ungefederten Fahrräder frei und erlaubt auch klassische MTB-Lenker mit 31,8 Millimeter Klemmung. Als Mountainbike-Magazin haben wir den gefederten Vorbau an einem Hardtail mit Starrgabel getestet - eine Bike-Gattung, die selten geworden ist, sich für Bikepacking-Abenteuer und Trainingsfahrten aber hervorragend eignet. Vecnum zeigt den freeQENCE in Marketing-Videos an Gravelbikes auch beim Ritt über Trails. Sogar Sprünge sollen damit möglich sein.
Die Besonderheit des gefederten Vecnum freeQENCE Vorbaus liegt in dessen Parallelogramm-Konstruktion. Im Prinzip handelt es sich um ein Viergelenk-System, welches im Gegensatz zu gefederten Eingelenk-Vorbauten, wie etwa dem Redshift ShockStop, keinen Einfluss auf die Fahrgeometrie haben soll. Auch bei einer Federgabel taucht die Front des Bikes beim Einfedern ab. Der Parallelogramm-Vorbau nimmt jedoch vertikale Schläge auf, ohne die Geometrie zu verändern. Zusätzlich bewirkt die Mehrgelenks-Konstruktion, dass die Dämpfungs- und Federungseigenschaften nicht durch die Hebellänge beeinflusst wird. So legt das Federsystem stets denselben vertikalen Hub zurück, egal wie viel Krafteinwirkung stattfindet. Anders als Vorbauten ohne Parallelogramm-System soll sich der Vecnum freeQENCE also immer gleich verhalten, egal wie breit der Lenker oder wie lang der Vorbau ist. Auch von der Griffposition will die Federung unabhängig sein.
Mit vier Lagern ist der Vecnum freeQENCE eine relativ aufwändige Konstruktion. Die kompakte Bauweise soll trotzdem eine hohe Verdrehsteifigkeit garantieren und Lenkbewegungen direkt umsetzen. Für minimale Toleranzen sollen hochwertige Einzelteile aus gefrästem 7075er Aluminium sowie Titanachsen und -schrauben, sorgen. Um eine maximale Fertigungsqualität zu erreichen, produziert Vecnum den gefederten Vorbau vollständig im eigenen Haus in Deutschland. Im Vergleich zu einer Federgabel spart die Lösung natürlich Gewicht. Unser 90 Millimeter langer Test-Vorbau bringt es auf 284 Gramm und hat damit im Vergleich zu einem gewöhnlichen Vorbau einen Gewichtsnachteil von circa 150 Gramm.
Anders, als bei anderen gefederten Vorbauten oder die gefederten RevGrips, muss am Vecnum freeQENCE vor der Montage am Bike nichts eingestellt werden. Die Elastomere sind innenliegend und von außen nicht sichtbar. Die hohe Qualität der Alu-Frästeile und Titanschrauben ist in der Hand sofort zu spüren. Da der gefederte Vorbau nach unten etwas Bewegungsspielraum braucht, legt Vecnum eine Schablone bei, die, an den Gabelschaft angelegt, sicherstellt, dass sich das Teil frei bewegen kann. Zu Problemen kann das zum Beispiel bei breit bauenden Steuersatzdeckeln, wie etwa an Bikes mit einem integrierten Lenkanschlagsbegrenzer, führen. Dann muss mindestens ein Spacer unter den Vorbau, der zudem eine nicht gerade kleine Klemmhöhe von mindestens 42 Millimetern benötigt. Wenn es blöd läuft, geht so der Platz am Gabelschaft aus oder das Cockpit kann nicht so tief gelegt werden, wie gewünscht. Davon abgesehen, klappt die Montage, wie bei jedem konventionellen Vorbau auch.
Bereits im Stand ist die Federung des Vorbaus optisch durch die Bewegung des Parallelogramms auszumachen. Vecnum empfiehlt den freeQENCE direkt auf einer ruppigen Strecke in der Werkseinstellung zu testen. Das ist auch gut so, denn im Grund-Setup ist der Feder-Effekt für einen Fahrer mit fahrfertig 84 Kilo Gewicht ab dem ersten Meter auf groben Schotter spürbar. Ebenfalls nicht zu leugnen: die Endanschläge nach oben und unten. Wird das Vorderrad ruckartig angehoben oder durch den Fahrer durch den Mini-Federweg gedrückt, macht der freeQENCE deutlich, wann Schluss ist. Da Vecnum jedoch auch die Endanschläge gedämpft hat, fallen Durchschläge weder hart noch unangenehm aus.
Wir haben den Vecnum freeQENCE auch unter Laborbedingungen getestet und konnten bei einem simulierten Fahrergewicht von 80 Kilo und mit der Grundeinstellung von sechs Umdrehungen eine Auslenkung von 17,5 Millimetern (Federkraft: 44,83 N/mm) nach unten messen. In der härtesten Einstellung betrug die Auslenkung nur noch 8,6 Millimeter (Federkraft: 91,65 N/mm) . Eine zum Fahrergewicht passende Einstellung zu finden ist also essentiell. Schade, dass Vecnum keine Setup-Tabelle bereitstellt.
Richtig eingestellt ist die Federhärte des Vorbaus, wenn der maximale Federweg genutzt wird, ohne den Endanschlag zu erreichen. In unserem Praxis-Test ließen sich selbst in der härtesten Einstellung Durchschläge provozieren, im normalen Fahrbetrieb blieben sie jedoch größtenteils aus. Übrigens entspricht das Fahrgefühl mit dem Vecnum in der härtesten Einstellung, die bis 120 Kilo funktionieren soll, in etwa der des Redshift Shockstop Vorbaus in der empfohlenen Einstellung für 61-84 Kilo. Das wird auch durch unsere Messungen im Labor bestätigt und macht deutlich, dass Redshift im Vergleich ein strafferes und Vecnum ein komfortableres Setup vorsieht. Beide Vorbauten sind für schwere Fahrer umfassend einstellbar. Fahrer unter 60 Kilo Körpergewicht könnten von den Effekten jedoch weniger stark profitieren.
Insgesamt lässt die Einstell-Schraube für die Federhärte des Vecnum Vorbaus 20 volle Umdrehungen zu. Ab Werk sind fünf Umdrehungen voreingestellt. Leider ist die Einstellung nicht gerastet und es ist nicht erkennbar, bei der wievielten Umdrehung sich die Schraube aktuell befindet. Beim Setup muss deshalb stets von der Maximal- oder Minimal-Einstellung ausgegangen werden. Geduld und Aufmerksamkeit sind gefragt. Ohnehin erfordert das Finden der optimalen Einstellung einige Testkilometer. Ist das bevorzugte Setup aber einmal gefunden, braucht der freeQENCE nur wenig Aufmerksamkeit. Die vier Hochleistungslager sind selbstschmierend.
In Sachen Fahrperformance kann der Vecnum freeQENCE ein echter Gamechanger für Starrgabel-Bikes sein. Er entschärft Schläge vom Untergrund deutlich und schützt die Arme des Fahrers so vor frühzeitiger Ermüdung. Da der gefederte Vorbau Vibrationen effektiv vom Piloten fernhält, fühlen sich die Hände auf langen Fahrten weniger beansprucht an. Rauscht das ungefederte Bike durch ein Schlagloch, helfen die zehn Millimeter Negativ-Federweg tatsächlich den Einschlag zu entschärfen. Natürlich reicht der Mini-Hub nicht aus, um Löcher und Kanten vollständig zu glätten. Es ist eher, als runde die Federung das Fahrverhalten eines Starrgabel-Hardtails ab. Das gilt besonders in der Abfahrt. Hier gleicht das Fahrgefühl auf dem freeQENCE einer sehr kurzen, aber auch sehr sensiblen, sehr linearen Federgabel.
Optisch ist der wuchtig-breite Körper des Vecnum freeQENCE natürlich Geschmacksache. Die massive Bauweise kann in unserem Praxistest jedoch mit einer hohen Lenkpräzision und angenehmer Steifigkeit punkten. Zwar federt der Vorbau auch im Wiegetritt mit, die minimale Bewegung ist aber kaum auffällig. Das liegt daran, dass die Fahrposition dank Parallelogramm-Geometrie stets gleich bleibt. Relativ zum Rahmen gesehen, befindet sich der Lenker dank Parallelogramm-Geometrie immer an exakt derselben Stelle. In Steilabfahrten hat das den Vorteil, dass die Front trotz Federung nicht abkippt und keine Überschlagsgefühle auftreten. Natürlich bleiben 20 Millimeter Positiv- und zehn Millimeter Negativ-Federweg sehr minimalistisch. Für sportlich-schnelle Bikes, welche vor allem über Schotter, Waldwege und leichte Trails bewegt werden, hat der Vecnum freeQENCE aber sogar das Zeug zu einer ernst zu nehmenden, leichteren und sogar günstigeren Federgabel-Alternative. Der optimale Einsatzort für den gefederten Vorbau ist das Gravelbike - egal ob mit Drop- oder Flatbar. Bei letzterer Option verschwimmen dann auch die Grenzen zum Starrgabel-MTB.
Die Vorteile des Vecnum freeQENCE sind ab dem ersten Meter zu spüren. Wer die Summe an Geld und Setup-Zeit investieren will, erhält mit dem gefederten Parallelogramm-Vorbau einen echten Mehrwert für sein Starrgabel-Hardtail. Dank Vibrationsdämpfung ermüden Hände und Arme langsamer. Die Federung im Vorbau gönnt starren Bikes einen kleinen aber wertvollen Bonus an Reserven. Durch das Parallelogramm-System bleibt trotz Federung jederzeit ein hohes Kontrollgefühl erhalten. Insgesamt vermag es der freeQENCE so ansonsten ungefederte Mountainbikes auch bergab deutlich vielseitiger zu machen. – Jan Timmermann, BIKE-Testredakteur