Jan Timmermann
· 04.06.2025
Mit der neuen XTR-Funkschaltung schlägt Shimano zurück. Schnell, haltbar und edel soll der elektronische Antrieb sein. Die XTR Di2 M9200 kommt ohne Kabel oder Seilzug, dafür mit einer Vielzahl an Konfigurierungsmöglichkeiten für Crosscountry- und Enduro-Fahrer. Mit im Gepäck: überarbeitete Scheibenbremsen und Laufräder mit dem Logo der Shimano XTR. Wir probierten nicht nur die Cross-Country-Teile am persönlichen Bike von Profi-Racer Karl Platt, sondern schraubten die Trail- und Enduro-Parts bereits an ein Testbike. Auch Gelegenheit die kabellose XTR mit der Transmission-Schaltung von Sram zu vergleichen hatten wir bereits. Hier folgt unser erster Testeindruck.
Marathon-Legende und Shimano-Athlet Karl Platt schraubte die neue XTR an sein Racebike, lud es ins Auto und fuhr zur BIKE. Gemeinsam mit unseren Testredakteuren fuhr Platt, welcher dieses Jahr erneut das prestigeträchtige Cape Epic Etappenrennen gewinnen konnte, die brandneue Schaltgruppe zum ersten Mal. Im Gelände war er die Teile bis dahin noch keinen Meter gefahren.
So macht Schalten wieder Spaß! Statt den Hebelkräften eines Schaltzugs gibt’s direktes Feedack. Bam, bam, bam: Das geht ab, wie im Porsche PDK! Unter Last den Gang reinknallen? Fühlt sich gut an. Steige ich von der neuen Di2 auf eine andere Funkschaltung, denke ich erst mal der Akku wäre leer. Die Schaltgeschwindigkeit der XTR M9200 macht richtig Laune. - Karl Platt, Team Bulls
Ganz ohne Züge und Kabel ist der Shimano XTR M9200 Antrieb im Handumdrehen montiert. Weder wird ein neuer Freilaufkörper notwendig, noch braucht es ein spezielles Schaltauge oder ein exotisches Werkzeug. Shimano setzt auf den bekannten Microspline-Freilauf, lässt Kompatibilität mit allen Schaltaugen (inklusive Sram UDH-Standard) zu und vertraut in Kombination mit wahlweise geschraubten BSA- oder verpressten Pressfit-Tretlagern auch an der Kurbel auf den bewährten Hollowtech II Standard. Schöne neue Welt: Zur Kopplung von Schaltwerk und -hebel braucht es die Shimano E-Tube-App. Den Durchschnitts-User sollte die digitale Einrichtung jedoch nicht vor Herausforderungen stellen. Nicht einmal ein Konto muss zwangsweise angelegt werden. Dafür lassen sich von Hebelfunktionen bis Multishift-Einstellung auf dem Smartphone alle möglichen Setups finden. Spannend: In der App lässt sich sogar die Schaltgeschwindigkeit von dezent bis blitzschnell einstellen.
Schon beim Anblick des wuchtigen, abgerundeten Schaltwerkskörpers vermittelt die XTR Di2 einen stabilen Eindruck. Das abgerundete Design macht absolut Sinn und bietet kaum Angriffsfläche zum Hängenbleiben. Auch die zusätzliche Bodenfreiheit durch kurzen Käfig und kleines Kettenblatt verspricht Vorteile bei der Haltbarkeit. Wie beim kleinen Neuner-Ritzel um diese bestellt ist, muss der Langzeit-Test zeigen. - Jan Timmermann, BIKE-Redakteur
Fährt man auf der Shimano XTR Di2 M9200 durchs Gelände, vergisst man fast, ob am Ausfallende ein elektronisches oder ein mechanisches Schaltwerk hängt. So viel ist klar: Die Haptik des Schaltgefühls ist Shimano sehr gut gelungen. Mit einem definierten Klacken wird der Hebel ausgelöst und die Kette wechselt mit knackiger Reaktion aufs nächste Ritzel. Die Hebel lassen sich zwar vielseitig verdrehen, für unser Gefühl stehen sie jedoch etwas zu sehr übereinander, sodass zur Betätigung des unteren Hebels etwas zu sehr in den Controller gegriffen werden muss. Davon abgesehen lässt die Schaltungs-Neuheit nichts anbrennen. Die Gangwechsel funktionieren definiert und selbst unter Last problemfrei. Unsere Tester bestätigen Karl Platts Ersteindruck: Die neue XTR ist schnell. Das war die alte auch, ihr Nachfolger setzt die Schaltvorgänge jedoch in hektischen Situationen etwas genauer und zuverlässiger um. Im direkten Vergleich zu Srams AXS Transmission Antrieben liegt die Präzision der neuen Shimano auch unter Last fast auf Augenhöhe - aber eben nur fast. Sram bleibt beim Schalten mit viel Kraftinput an der Kurbel ein My sauberer. Die XTR hat jedoch gerade bei mehreren schnellen Gangwechseln hintereinander einen Geschwindigkeitsvorteil. In Rennsituationen dürfte das bedeutsamer sein als auf Feierabend-Tour.
Wir testeten auch die neue Kompakt-Kassette mit neun bis 45 Zähne. Der Gedanke dahinter: Mit kleinem Ritzel kann ohne Verluste bei der Übersetzungsbandbreite ein kleineres Kettenblatt gefahren werden. Tatsächlich hat das nun um einen Zahn kleinere Zahnrad eine nicht zu unterschätzende Wirkung. Mit einem 30er Blatt standen im Test bei hohen Geschwindigkeiten ausreichend dicke Gänge bereit, um mit Schmackes in die Pedale zu treten. Andererseits wünschten wir uns in steilem alpinen Gelände einen etwas leichteren Klettergang. Das neue 28er Kettenblatt dürfte das Problem lösen. Allerdings liegt dann die Kette bei vielen Rahmen extrem eng an der Kettenstrebe an. Das hat den Vorteil, dass - vor allem im Zusammenspiel mit der merklich verstärkten Stabilisierung des Schaltwerks - kaum noch Kettenschlag stattfindet. Ob es in dieser Konfiguration zu Kompatibilitätsproblemen kommen kann, bleibt abzuwarten. Die gewohnte 10-51-Kassette steht in jedem Fall auch zur Auswahl. Leider spart sich Shimano am neuen XTR-Schaltwerk einen Hebel zum Abschalten der Stabilisierungsfunktion. So braucht es zum Ein- und Ausbau des Hinterrads etwas mehr Geduld als bei Sram.
Bei Testfahrten im Voralpenland brauchte es bei 30er Kettenblatt und 9-45er Kassette entweder starke Waden oder ein E-Bike. Zum Vergleich: Die Übersetzungsbandbreite liegt bei 500 Prozent. Im Vergleich zur 10-51er Kassette von Shimano sind das zehn, im Vergleich zur 10-52er von Sram 20 Prozent weniger. Die Bandbreite ist aber nicht das Problem, sondern der Klettergang: Die leichteste Übersetzung von 1,61 ist merklich härter als die 1,52 bei 32er Blatt und 10-51er Kassette. - Jan Timmermann, BIKE-Redakteur
Eine große Stärke aller Shimano-Bremsen bringt auch die neue XTR wieder mit: Montage und Entlüftung sind ein Kinderspiel. Ebenfalls erfreulich bekannt: die kurze Einbremsdauer. Für eine leichte Race-Bremse legt die Zweikolben-XTR eine ordentliche Power an den Tag. Beherzt greifen die Stopper in die neuen Scheiben. Der Druckpunkt war im ersten Test durchgehend zuverlässig und konstant. Gekonnt mittig platziert zischen knallhart und weich begeistern die neuen Shimano Bremsen mit guter Dosierfähigkeit. Ohne um die Hintergründe zu wissen, werden den meisten Bikern die Detailverbesserungen bei Ergonomie und Funktion vermutlich kaum auffallen. Oder anders gesagt: Bei einem Blindtest wäre vermutlich schwer auszumachen, ob eine neue oder eine alte XTR am Lenker klemmt. Die Shimano XTR Stopper kommen von einem hohen Niveau und docken dort in der Neuauflage nahtlos an. Schön: Das Klappern der IceTech-Bremsbeläge gehört endlich der Vergangenheit an.
Selbst im Marathon fuhr ich bislang die XTR-Bremsen mit vier Kolben. Die paar Gramm Gewichtsersparnis des kleineren Bremssattels wogen die Power der Trail-Version nicht auf. Ich bin aber erstaunt, wie viel Wumms die neue Crosscountry-Bremse hat. - Karl Platt, Team Bulls
In Sachen Aussehen ist bei der Enduro- und Trailversion der Shimano Scheibenbremsen mehr passiert. Die Leitung verläuft nun näher am Lenker. Optisch trägt die Vierkolben-Version auch am Hebel dicker auf als ihre schlanke Race-Schwester. Dass die Hebel nun in einem etwas flacheren Winkel stehen, soll die Hände und Arme auf anspruchsvollen Abfahrten entlasten und helfen den Schwerpunkt besser im Bike zu platzieren. Im ersten Test der neuen XTR-Vierkolben-Bremse verfehlte das Update seine Wirkung nicht. Auch die zügige Rückstellung der Hebel spart Körner und schafft Vertrauen. Zu merken ist der Unterschied zur Vorgängerin jedoch nur auf wirklich langen Trails. Die Trail- und Enduro-Variante verwöhnt mit der bekannt hohen Bremskraft. Einen Vorteil der nun geringeren Viskosität des Bremsmediums konnten wir im Testzeitraum nicht ausmachen. Auch hier hatten wir jedoch kein Druckpunktwandern zu beklagen.
Ich fahre meine Bremsen gerne mit Druckpunkt nah am Lenker. Dank der überarbeiteten Ergo-Flow-Technologie in den neuen XTR-Bremshebeln kann ich mein Ideal nun noch besser einstellen, als mit den alten Shimanos. Die Ergonomie-Updates am Hebel zeigen Wirkung, bemerkbar wird die allerdings erst auf wirklich langen Abfahrten. Obwohl Shimano nicht, wie inzwischen viele andere Hersteller auf dickere Scheiben setzt, konnte die Standfestigkeit im ersten Test überzeugen.- Jan Timmermann, BIKE Redakteur
Ganz ähnlich, wie der Rest der neuen XTR-Gruppe, bauen die Carbon-Felgen der getesteten Enduro-Variante optisch bullig. Das gibt in Sachen Haltbarkeit ein gutes Gefühl. Mit 1806 Gramm pro Satz bricht Shimano keine Rekorde. Da ist es fast etwas schade, dass Shimano keine Zwischenlösung zum schmalen XC-Laufradsatz anbietet, denn für ein leichtes Trailbike kann das fast schon zu viel des Guten sein. Der Tubeless-Aufbau gelingt mittels vormontierten Ventilen und Felgenband problemfrei und schnell. Bereits im Montageständer gefällt der Leichtlauf und der feine Sound der ebenfalls erneuerten XTR-Naben. Auf dem Trail verrichteten die Laufräder ihren Job unauffällig. Die Felgen mit 30 Millimeter Innenweite lassen sich mit wenig Luftdruck fahren und geben dem Reifen eine gute Basis zum Abstützen. Der auf 3,5 Grad verkleinerte Eingriffswinkel des Freilaufs sorgt für einen direkten Antritt und ist auf Augenhöhe mit anderen hochwertigen Laufradsätzen.
Dass die neue XTR kein Schnäppchen ist, versteht sich von selbst. Mit 665 Euro kostet alleine das Schaltwerk rund zehn mal so viel, wie das erste spezifische MTB-Schaltwerk der Welt (Shimano Deore XT von 1982, 65 D-Mark). Preislich ist der Schaltungs-Roboter jedoch vergleichbar mit den Top-Produkten von Sram (zum Beispiel Sram X0 Eagle Transmission Schaltwerk für 660 Euro). Dafür fällt das neue Funk-Schaltwerk von Shimano trotz Elektronik mit 388 Gramm (zum Vergleich: Sram XX SL Eagle Transmission, 414 Gramm) erfreulich leicht aus. Den Gewichtsvorteil verspielt allerdings der im Vergleich zu einem Sram AXS Controller (46 Gramm) gut doppelt so schwere Schalthebel wieder. Beim Akkugewicht sind Shimano und Sram quasi gleichauf. Alle der folgenden Angeben beziehen sich auf die getestete, fahrfertige Trail-/Enduro-Version der neuen Teile:
“Shimano ist zurück! Die neue XTR-Di2-Funkschaltung begeistert mit einem einfachen Handling und einer hohen Geschwindigkeit. Besonders gelungen: Das knackig-satte Schaltgefühl am Hebel. Im ersten Test hinterlässt der Antrieb einen äußerst robusten Eindruck. Angesichts dessen dürfte das Mehrgewicht zur analogen Version für E- und Enduro-Biker verschmerzbar sein. Für Crosscountry-Racer präsentiert sich vor allem die Kombi aus Speed und Präzision als vielversprechend. Wie von neuer, heißer Elektrotechnik zu erwarten, fällt der Preis vernichtend hoch aus. Bei den Bremsen knüpft die XTR M9200 an bestehende Erfolge an und liefert ein rundum gelungenes Bild ab. Die Detailverbesserungen sind super, alleine aber noch kein Grund zum Kauf einer neuen Bremse. Ähnlich schaut es bei den neuen Carbon-Laufrädern aus. In der Enduro-Variante legt die Neuheit einen astreinen Produktauftritt hin und erlaubt sich keine Fehler. Das alleine reicht jedoch nicht aus, um sich im High-End-Bereich von den performanten Mitbewerbern abzusetzen. Weitere Tests werden folgen.”