Classified PowershiftDie neue Zweigang-Nabe für MTB im Test

Jörg Spaniol

 · 14.06.2023

Classified  Powershift MTB: Elektronisch gesteuerte 2-Gang-Schaltnabe 1:1 oder 1:0,7
Foto: Classified
Die Zweigang-Nabe von Classified soll die Vorteile einer Zweifach-Kurbel mit der Schalt-Performance einer Einfach-Schaltgruppe verbinden. Die Classified Powershift hat 16 fein gestufte Gänge und trotzdem keinen Umwerfer nötig: Funktioniert das? Wir haben es für euch getestet.

Alle Themen in diesem Test:


So funktioniert die neue Classified-Nabe für Mountainbikes

Lautmalerisch lässt es sich schwer ausdrücken: “Krondsch”? “Schraack”? “Vrck”? So ungefähr hörte es sich einst an, wenn der vordere Umwerfer die Kette falsch platzierte und die sich zwischen Kettenblatt und Kettenstrebe verkeilte. Der klassische Kettenklemmer ist selten geworden, seit sich Einfach-Kurbeln durchgesetzt haben. Vorne ein Blatt, hinten zwölf Ritzel. Ein Schalter und fertig – oder doch nicht? Mancher trauert den einst feineren Abstufungen zwischen den Gängen oder den “langen” Entfaltungen für mehr Speed im Flachen nach.

Der belgische Hersteller Classified verspricht Trost: Seine Highend-Schaltnabe mit zwei internen Gängen und zwölf Ritzeln außendrauf gibt es, drei Jahre nach der Premiere in Rennrad und Gravelbike, jetzt auch fürs MTB. Anders als übliche Schaltgetriebe und als die Kettenschaltung mit zwei Blättern soll diese Hinterradnabe auch unter Volllast sofort und fehlerfrei schalten.

Täte sie das nicht, wäre die Technik nur halb so aufregend, denn die Kombination von Getriebe- und Kettenschaltung ist an sich nicht neu: In überschaubarer Vergangenheit produzierte Fichtel & Sachs eine Kombi aus Dreigang-Nabe und neun Ritzeln, den Dual Drive. Ein Zweigang-Tretlagergetriebe gab es zuletzt Anfang der 1990er-Jahre als Hammerschmidt-Kurbel von Truvativ. Die Powershift von Classified ist der vorläufige technische Höhepunkt dieser Entwicklung. Die Highlights: Schaltbarkeit unter Last plus Ansteuerung per Funksignal.

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Weil die komplette Technik im Hinterrad steckt, ist sie mit fast jedem aktuellen Bike mit Boost-Hinterbau (148 Millimeter Einbaubreite) und 12-Millimeter-Steckachse kompatibel. Das Getriebe selbst ist optisch eher unauffällig, denn es versteckt sich überwiegend im Hohlraum unter dem leichten, hauseigenen 12fach-Ritzel. Sichtbar ist höchstens der Funkempfänger am linken Ende der Steckachse, der minimalistische Schalter am Lenker fällt kaum auf. Dazu kommt die bei Nabenschaltungen unverzichtbare Drehmomentstütze, die sich diskret unter das Ausfallende schmiegt. Unser Test-Bike ist eines der ersten Powershift-Bikes überhaupt.

Fahrbericht Classified Powershift MTB

Weil der elegante und ergonomisch gelungene Ringschalter der Classified Powershift rot leuchtend am Lenker warnt, laden wir ihn und den Funkempfänger am linken Ausfallende vor der Probefahrt. Sie sollen monatelang mit einer Ladung auskommen, doch sicher ist sicher – zwei Elektro-Babys mehr am Rad, die gefüttert werden wollen.

Die leichte 12fach-Kassette aus Stahl ist ein Eigengewächs und nur mit der Powershift-Nabe kompatibel. | Foto
: Jörg SpaniolDie leichte 12fach-Kassette aus Stahl ist ein Eigengewächs und nur mit der Powershift-Nabe kompatibel. | Foto : Jörg Spaniol

Auf der ersten Testfahrt über die sehr schaltintensiven Isar-Trails zeigt die Nabe keine Schwächen. Im verlustfreien Direktgang, also dem “großen” Blatt, flutschen die Gangwechsel auf dem Spezialritzel hinten ähnlich wie bei Shimano oder Sram. Die Gänge sind sehr eng gestuft, auf der kleinteiligen Strecke muss meistens ein Zwischengang überschaltet werden. Sind die 364 Prozent Bandbreite des Ritzels zu wenig oder steht eine kurze Rampe an, ist das “kleine” Blatt fällig, eine 0,7-fache Untersetzung. Ihr Schaltschritt fällt etwa so groß aus wie der Wechsel zwischen den zwei Kettenblättern einer Zweifach-XTR von Shimano. Doch beim Classified Powershift-System passiert dieser Wechsel tatsächlich unter voller Last, kaum hörbar und schneller als ein Gangwechsel hinten. Respekt! Hier haben die Techniker zwar den Umwerfer abgeschafft, nicht jedoch seine Option auf feinere Schaltschritte. Ob man die aber wirklich braucht?

Der leichtgängige Ringschalter am Lenker funkt seine Befehle mit Akku-Strom zum Hinterrad. Eine Ladung soll für 10000 Gangwechsel reichen.Foto: Jörg SpaniolDer leichtgängige Ringschalter am Lenker funkt seine Befehle mit Akku-Strom zum Hinterrad. Eine Ladung soll für 10000 Gangwechsel reichen.

Auf der zweiten Testfahrt probiert es ein Crack aus der mutmaßlichen Zielgruppe des Konzepts: Matthias Alberti ist Marathon-Racer beim KTM-Werksteam. Eigentlich, so die Annahme, müsste in seinem Metier die exakt richtige Übersetzung zählen. Doch Matthias winkt ab: “Wir schalten auch mit der 1 x12 ständig rauf und runter, oft über mehrere Gänge hinweg. Ich kenne keinen, der im Rennen Zweifach fährt. Wir passen höchstens die Kettenblätter an die Strecke an, montieren also beispielsweise ein größeres Blatt für flachere Strecken.” Doch, ja: Auch unter seinem Pedaldruck hat die Nabe zuverlässig funktioniert. Vermisst hat er ihre Optionen aber nicht.

Am Ende der speziellen Steckachse sitzt der Empfänger – robust, aber exponiert. Darunter lugt die Drehmomentstütze für die Schaltnabe hervor.Foto: Jörg SpaniolAm Ende der speziellen Steckachse sitzt der Empfänger – robust, aber exponiert. Darunter lugt die Drehmomentstütze für die Schaltnabe hervor.

Und das ist vielleicht die Tragik dieser hochwertigen und teuren Zweifach-Variante: Anders als etwa beim Rennrad, wo die Classified-Technik fast baugleich auch eingesetzt wird, sind die Schaltschritte der Einfach-Übersetzungen für die große Mehrheit der Biker offenbar ausreichend eng. Große Marken haben die Zweifach-Schaltung im sportlichen Segment längst ausgemustert. Frank Greifzu, Produkt-Manager bei Cube, spezifiziert Zweifach-Ensemble nur noch im Niedrigpreissegment. “Spätestens 2025 wird das auch vorbei sein, denn dann sind diese Teile verbraucht.” Auch Canyon-Sprecher Lukas Behning sieht keinen Zweifach-Bedarf im Sortiment seiner Marke. “Das wird einfach nicht nachgefragt”, berichtet er.

Das gekapselte Planetengetriebe dürfte praktisch wartungsfrei sein. Öffnen kann es nur der Hersteller. Über den genauen Aufbau schweigt Classified sich aus.Foto: Jörg SpaniolDas gekapselte Planetengetriebe dürfte praktisch wartungsfrei sein. Öffnen kann es nur der Hersteller. Über den genauen Aufbau schweigt Classified sich aus.

Testfazit zur Classified Powershift MTB:

Zu viele Gänge machen das Schalten nicht leichter. Eine Vision könnte aber in der Software liegen: Mit einer Classified Powershift Nabe, die in die Logik der Funk-Kettenschaltungen eingebunden ist, ließe sich sequentiell schalten. Mit nur einem Schalter, der sämtliche Gänge mit gleichmäßigen Schritten hintereinander durchschaltet – vorne, hinten oder gleichzeitig. Eine 1x16-Schaltung, sozusagen. – Jörg Spaniol, BIKE-Autor
Jörg Spaniol, BIKE-AutorFoto: Jörg SpaniolJörg Spaniol, BIKE-Autor

Classified Nabe im Vergleich zu Sram & Shimano

Beschleunigte Masse: Gewichte im Vergleich

Je weniger Gewicht beim Überfahren von Hindernissen auf- und abwärts beschleunigt wird, desto sensibler funktioniert eine Federung am Heck. Was wiegt ein Classified-System am Hinterrad im Vergleich zu einer Shimano XTR 2 x 12 und einer Sram-XX1-Einfach-Schaltung? Wir haben die Gewichte von Nabe, Schaltwerk und Ritzel addiert. Ergebnis: Die leichteste Classified-Variante (XTR) macht das Heck um 145 Gramm schwerer als ein Hinterrad mit einer Standardnabe und der Sram XX1-Schaltung mit ihrem großen Ritzelpaket. Im Vergleich zur leichteren XTR 2 x 12 liegt das Mehrgewicht der Classified Nabe am Hinterrad bei etwa 250 Gramm.

Und das Gesamtgewicht? Der eigentliche Gegner in Sachen Feinabstufung ist die XTR 2 x 12. Classified behauptet, das System sei insgesamt nicht schwerer als ein hochwertiger Zweifach-Antrieb. Addiert man auch die restlichen Teile der XTR 2-fach Schaltung und einer Classified-Variante mit XTR, zeigt sich: Der Classified-Antrieb ist tatsächlich fast exakt so schwer wie die 2-fache Kettenschaltung. Weil das Mehrgewicht des Classified-Hinterrades sich in der Radmitte sammelt, wirkt es sich kaum auf die Beschleunigung aus, hat aber geringfügige Nachteile für die Fahrwerksfunktion.

Die Gewichte im VergleichFoto: BIKE-TestabteilungDie Gewichte im Vergleich

Übersetzungen Classified vs. Sram & Shimano

Die mindestens 16 sinnvollen Gänge der Classified-Übersetzung sind sehr eng gesteckt. Ihre Spreizung, also der Unterschied zwischen dem leichtesten und schwersten Gang, ist mit 530 Prozent kaum größer als bei einer 1 x 12-Schaltung (10– 52 Zähne: 520 Prozent). Im mittleren Übersetzungsbereich, der sowohl mit dem Direktgang als auch mit der Untersetzung angesteuert werden kann, liegt der Anschlussgang nach einem Gangwechsel in der Nabe immer mehrere Ritzel entfernt. Beispiel: Auf das 12er-Ritzel im untersetzten Gang folgt als nächst schwererer Gang das drei Ritzel entfernte 17er im Direktgang – und damit viel Schaltarbeit am rechten Hebel. Die Spreizung der Zweifach-XTR ist mit 613 Prozent deutlich größer. In unserem Beispiel ließe sich mit ihr bei deutlich höheren Geschwindigkeiten flüssig mittreten. Doch in den Berggängen hat sie viele annähernde Doppelungen.

Die Übersetzungen von Classified Nabe gegen Sram und Shimano SystemeFoto: BIKE-TestabteilungDie Übersetzungen von Classified Nabe gegen Sram und Shimano Systeme

Ungeklärt: der Wirkungsgrad einer Classified Schaltung

Eine gepflegte Kettenschaltung hat etwa 96 bis 98 Prozent Wirkungsgrad, quer über alle Gänge gemittelt. Bei großen Zähnezahlen mit wenig Kettenschräglauf ist der Wirkungsgrad besser als auf kleinen Ritzeln am Rand der Kassette. Classified gibt für seine Schaltnabe einen Wirkungsgrad von über 99 Prozent an und verweist darauf, dass sowohl Kettenblatt als auch Ritzel etwas größer und damit effizienter seien als bei üblichen Kettenschaltungen. Außerdem sei man mit der Zweifach-Schaltung häufiger auf den mittleren Ritzeln unterwegs, was den leistungsfressenden Schräglauf verringere – eine Behauptung, die sich auf unseren Testfahrten nicht überprüfen ließ.

Das Problem einer Kombination aus mehreren Getrieben ist, dass sich deren Wirkungsgrade multiplizieren. Geht man von 98 Prozent für die reine Kettenschaltung aus und multipliziert sie mit 99,5 Prozent für die Nabe, bleiben von der Waden-Power immerhin 97,5 Prozent übrig. Das wäre ein unwesentlicher Verlust. Läge der Wert für die Nabe aber nur bei 97 Prozent, kämen nur 95 Prozent der Tretkraft an der Felge an. Bei einem gut trainierten Hobbyfahrer mit um die 200 Watt Dauerleistung wären das nur 190 statt 196 Watt – auf einen Marathon gerechnet keine Kleinigkeit.

BIKE-Einschätzung der Classified Nabe für MTBFoto: BIKE-TestabteilungBIKE-Einschätzung der Classified Nabe für MTB

Classified Powershift Nabe MTB

  • Elektronisch gesteuerte 2-Gang-Schaltnabe 1:1 oder 1:0,7
  • 12-fach-Kassette mit 11–40 Zähnen
  • Gewicht: Schaltnabe ab 610 g, Kassette 248 g, Ring-Shifter 24 g
  • Einsatzbereich: CC, Marathon, Touren
  • Preis: Nabe mit Schalter und Ritzel 1549 Euro, inklusive Carbon-Laufradsatz 2699 Euro, Ersatzritzel 279 Euro

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