Jan Timmermann
· 05.06.2025
Die neue Shimano XTR ist da! Funkelnd und edel flimmern aktuell Hochglanz-Bilder des neuen Schaltungs-Flaggschiffs über die Bildschirme. Kein Wunder, schließlich ist eine neue MTB-Schaltung von Shimano ein ziemlich großer Deal. Lange Zeit waren die Japaner Marktführer für Mountainbike-Teile. Mehr noch: Die erste jemals extra für den Geländeradsport auf breiten Reifen entwickelte Schaltgruppe stammte von Shimano.
Ein Dämpfer kam durch die Markteinführung der elektronischen Schaltwerke der größten Konkurrenz. Die Sram-AXS-Schaltwerke sollten den Markt nachhaltig verändern. Plötzlich wollte jeder sich von lästigen Zügen lossagen und auch die kabelgebundene Elektro-Schaltungen der Shimano Di2-Baureihe setzten Staub an. Jetzt ist Shimano endlich zurück. Sieben Jahre lang ließ man sich mit der Neuentwicklung der XTR Di2 Zeit. Ein Blick auf die Shimano XT von 1982, der Urgroßmutter aller MTB-Schaltungen, zeigt, dass der Weg zur ersten Funk-Schaltgruppe von Shimano ein langer war. Zeit zurückzublicken.
Als 1869 die erste Fahrrad-Kettenschaltung der Geschichte das Licht der Welt erblickte, war Mountainbiken noch nicht einmal als Idee geboren. Mit dem Rad durchs Gelände fahren, Trails gar? Damals undenkbar. Radprofis gab es zwar auch damals schon, bei der Tour de France waren sie jedoch mit schmalen Asphaltschneider-Reifen und Singlespeed-Antrieben unterwegs. Ihre Skepsis gegenüber Getrieben fürs Fahrrad hielt sich fast 100 Jahre lang.
Erst in den 1960ern nämlich begann die Verbreitung von Schaltungen an Rennrädern. 1973 war das erste Zehnfach-Schaltwerk geboren. Einige Jahre später stolperten in Kalifornien junge Wilde auf umgebauten Militär-Fahrrädern über die Berge - die Geburtsstunde des Mountainbikens. Der neue Funsport wurde bald zu einer richtigen Bewegung und Yoshizo Shimano erkannte den Bedarf nach einer robusten Schaltung mit Aktivierung vom Lenker aus. 1982 präsentierte sein Unternehmen der jungen Bike-Welt die Shimano Deore XT M700. Eine Highend-Schaltgruppe mit sage und schreibe drei mal sechs Gängen. Erst 1992 schuf Shimano mit der XTR eine neue Oberklasse für Mountainbike-Schaltungen.
Hinter der Entwicklung der ersten Schaltgruppe für Mountainbikes steckten keine geringere Namen als die der MTB-Pioniere Joe Breeze und Gary Fisher. Gemeinsam mit den japanischen Ingenieuren von Shimano brachten sie die XT vom Prototypen bis zur Serienreife. Beide Charakterköpfe sind auch heute noch im Bike-Cosmos unterwegs und konnten in den vergangenen 53 Jahren beobachten, wie nach und nach immer mehr Schwachstellen von MTB-Schaltungen eliminiert wurden. In den frühen Jahren plagte Mountainbiker vor allem das Thema Haltbarkeit: Ketten rissen bei hektischen Schaltvorgängen, Schaltwerkskäfige wurden von Felsen geköpft und der Schlamm setzte den Antrieb zu. Aber auch in der Funktion mussten Biker lange Kompromisse eingehen. Die schmale Übersetzungsbandbreite der Kassetten machte lange einen Umwerfer und mehrere Kettenblätter notwendig, um steile Berge zu erklimmen. Erst 2019 brachte Shimano die erste Zwölffach-Schaltung auf dem Markt.
>> Einen Vergleich der Shimano XT von 1982 und dem Zwölffach-Modell von 2024 haben wir hier gezogen.
Dass die Shimano XTR von 2025 zwölf Gänge sortieren kann, verwundert niemanden. Dass sie dass ganz ohne Schaltzug oder Kabel tut, ist bei den Japanern eine große Neuheit. Die Shimano XTR Di2 M9200 setzt voll auf Elektronik. Optisch ist das moderne Schaltwerk fast doppelt so groß, wie das Modell von 1982, trotzdem ist es inklusive Akku “nur” gut 130 Gramm schwerer. Modernste Elektrotechnik und wirtschaftliche Entwicklungen haben den Preis von damals 65 D-Mark auf heute 665 Euro fürs Schaltwerk alleine getrieben.
Ist die XTR Di2 Generation 2025 deshalb auch zehn mal so gut? Mit Sicherheit! Die Präzision, mit der das Teil die Gänge wechselt spielt in einer ganz anderen Liga. Trotz weniger Bauteile realisiert die Schaltgruppe genügend Übersetzungsbandbreite für große Touren. In der App lassen sich die Funktionen der Shimano XTR Di2 M9200 individualisieren. An E-Bikes schaltet sie sogar auf Wunsch vollautomatisch. Mit einer extra starken Schaltwerksstabilisierung, kompakterem Käfig, stärkeren Links sowie Umlenkrollen, abgerundeten Oberflächen und einer automatischen Recovery-Funktion dürfte die neue XTR zudem die stabilste Shimano-Schaltung aller Zeiten sein.
Natürlich haben sich in 53 Jahren nicht nur Gangschaltungen enorm weiterentwickelt. Dank technischen Fortschritt konnten Mountainbikes immer schneller durchs Gelände bewegt werden. Um den neuen Speed zu kontrollieren brauchte es immer stärkere Bremsen. Die Shimano Deore XT Gruppe von 1982 umfasste auch einen Satz Felgenbremsen - nach damaligen Standards ein echter Anker, denn Breezer und Fisher hatten im regen Austausch mit anderen Testfahrern aus den USA und den Entwicklern in Asien dafür gesorgt, dass die Bremsschuhe die Felge nicht nur harmlos streichelten. Im Vergleich zu den damals weit verbreiteten Trommelbremsen ein echter Fortschritt! Die erste hydraulische Scheibenbremse entwickelte Formula schon 1987 in Italien. Schon 15 Jahre zuvor experimentierte Shimano mit Scheibenbremsen an Fahrrädern. Fürs Gelände eignete sich allerdings erst die hydraulische Deore XT aus dem Jahre 2003 wirklich. 2017 folgte in der XT-Familie die erste Vierkolben-Bremse für noch mehr Verzögerungsleistung.
Shimano hat sich mit der Performance seiner Scheibenbremsen über die Jahre einen guten Namen gemacht. Die Shimano XTR aus dem Jahre 2025 knüpft an die Erfolge der letzten Jahre an und kommt mit kleinen aber feinen Detailverbesserungen. So wurde der Hebel für eine bessere Ergonomie neu designet und der Hebelweg soll besonders reibungslos und direkt in Bremskraft übersetzt werden. Der Bremssattel wiederum kommt mit einer Option für Enduro- und Trailbiker mit vier Kolben. Crosscountry-Racer können weiterhin auf eine leichte Zweikolben-Variante mit Carbon-Hebel zurückgreifen. Ein optimiertes Mineralöl und verbesserte Dichtungen im Inneren sollen den Druckpunkt konstant halten. Von so viel Bremspower konnte man vor 53 Jahren nicht einmal träumen.