Problem E-Bike-TuningThe Need for Speed

Adrian Kaether

 · 25.01.2024

Ganz ohne Tuning: Beim Pendeln setzt EMTB-Chefredakteur Josh Welz lieber auf die eigenen Beine und einen Schuss legale E-Bike-Power.
Foto: Georg Grieshaber
In Augsburg stoppt die Polizei einen Biker, mit einem auf 99 km/h getunten Pedelec. Kein Einzelfall sagt der Sachverständige Ernst Brust. E-Bike-Tuning ist ein Problem, das alle E-Biker angeht.

Ein kurioses Tuning-Delikt macht Schlagzeilen in der BILD-Zeitung. Mit lässigem Tritt und ohne Helm donnert ein E-Biker in Augsburg an einer Polizeistreife vorbei. Die Beamten nehmen die Verfolgung auf und stellen den Mann, der Tacho des Streifenwagens zeigt zwischenzeitlich 45 km/h an. Der Mann gibt später zu, dass das handelsübliche E-Bike dank Tuning-Set bis 99,9 km/h unterstützt. Alkoholisiert ist der Fahrer auch noch, den Führerschein hat er bei anderer Gelegenheit schon abgeben müssen.

Mit Tuning-Kits kann beim Pedelec die 25-km/h-Grenze ausgehebelt werden. Sie werden oft direkt an den Motor angeschlossen und sind so von außen nicht zu sehen.Foto: ebiketuningshop.comMit Tuning-Kits kann beim Pedelec die 25-km/h-Grenze ausgehebelt werden. Sie werden oft direkt an den Motor angeschlossen und sind so von außen nicht zu sehen.

Aufwärtstrend: Immer mehr verkaufte Tuning-Sets in Deutschland*

  • 2018: 50.000 Tuning-Kits bei 1,0 Million verkaufter Pedelecs (5 Prozent)
  • 2019: 70.000 Tuning-Kits bei 1,4 Millionen verkaufter Pedelecs (5 Prozent)
  • 2020: 200.000 Tuning-Kits bei 2,0 Millionen verkaufter Pedelecs (10 Prozent)
  • 2021: 140.000 Tuning-Kits bei 2,0 Millionen verkaufter Pedelecs (7 Prozent)
  • 2022: 265.000 Tuning-Kits bei 2,2 Millionen verkaufter Pedelecs (12 Prozent)

*Zahlen basieren auf Hochrechnungen nach Rücksprache mit einzelnen Shops, die Tuning-Sets verkaufen. Quelle: Ernst Brust für SAZ Bike

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Schlechte Aufklärungschancen, hohe Dunkelziffer: Polizei bei Tuning-Delikten überfordert

Allerdings: Dass Tuning-Sünder von der Polizei erwischt werden, ist verhältnismäßig selten. Denn wenn der Biker nicht gerade mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit eine Streife passiert, können die Beamten Tuning oft nur schlecht feststellen. Die Tuning-Sets verbergen sich in der Regel im Motorraum und sind nur mit Werkzeug zu erreichen, außerdem lassen sich viele Systeme über eine App oder bestimmte Tastenkombinationen an- und abschalten.

GPS-Tracker helfen der Polizei mittlerweile bei der Aufklärung vieler Diebstähle. Bei Tuning-Sündern ist die Staatsmacht aber meistens machtlos.Foto: Maria Kirchner / PowunityGPS-Tracker helfen der Polizei mittlerweile bei der Aufklärung vieler Diebstähle. Bei Tuning-Sündern ist die Staatsmacht aber meistens machtlos.

Leider hält sich deswegen hartnäckig die Meinung, E-Bike-Tuning sei ein Kavaliersdelikt. Wer hat sich nicht schonmal über die 25-km/h-Grenze geärgert, wenn es doch mal schnell vorwärts gehen sollte? Allerdings: Tuning kann schwere Folgen für den Einzelnen haben. Bei Unfällen ist man in der Haftung, Antriebshersteller können Tuning meist auch im Nachhinein feststellen und verweigern dann Reparaturen an Motor und Akku. Ganz egal ob innerhalb oder außerhalb der Garantie.

Und auch für E-Biker insgesamt drohen Konsequenzen, speziell für das E-Mountainbiken. Davor warnt zumindest Ernst Brust, Sachverständiger unter anderem für Elektrofahrräder und Ex-Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbands. Wir haben mit Brust über die Risiken und mögliche Auswege aus der Tuning-Falle gesprochen.

Rechte von E-Bikern in Gefahr: Interview mit Ernst Brust, Sachverständiger

EMTB: Werden E-Bikes in Deutschland tatsächlich immer häufiger getuned?

Ernst Brust: Als Sachverständiger werde ich häufig für Gutachten für Polizei und Staatsanwaltschaft konsultiert. Zwei bis dreimal die Woche wegen Tuning. 265.000 Tuning-Kits wurden in Deutschland 2022 verkauft. Fünfmal so viele wie 2018. Das ist alarmierend.

Es gibt scheinbar ein Bedürfnis nach Pedelecs, die schneller sind als 25 km/h...

Viele haben das Gefühl für die Geschwindigkeit verloren. Wenn man mit 25 km/h auf ein Hindernis auffährt, hat man auch schon ein Problem und viele haben ihr Rad auch bei 25 km/h schon nicht mehr richtig im Griff. Dauerhaft schneller ohne Motor sind auch nur sehr trainierte Fahrer. Da sollte man sich als durchschnittlicher Verbraucher keinen Illusionen hingeben.

265.000 Tuning-Kits wurden in Deutschland 2022 verkauft. Fünfmal so viele wie 2018. Das ist alarmierend.

Verboten ist der Verkauf von Tuning-Kits ja nicht. Was ist denn das Problem daran?

Nur auf Privatgelände sind getunte Bikes legal. Im Straßenverkehr drohen Strafen bis hin zum Führerscheinentzug und der Versicherungsschutz ist auch futsch.

Ernst Brust ist Gründer des Prüfinstituts Velotech.de und öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger, unter anderem für Elektrofahrräder.Foto: PrivatErnst Brust ist Gründer des Prüfinstituts Velotech.de und öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger, unter anderem für Elektrofahrräder.

Vor allem bei Unfällen ein Problem, oder?

Genau. Allein weil das Bike getuned war, ist man nicht mehr versichert und muss alle Folgekosten des Unfalls selbst tragen. Übrigens ganz unabhängig davon, ob das Tuning die Ursache für den Unfall war, oder nicht. Bei schweren Verletzungen und bleibenden Schäden droht da ganz schnell die Privat-Insolvenz.

Mit dem E-MTB ist viel im Gelände unterwegs. Macht das einen Unterschied?

Auch der Wald ist kein Privatgrund und die Stimmung ist ohnehin angespannt. Ich will es nicht erleben, dass E-Biken in der Natur wegen ein paar schwarzen Schafen mit getunten Bikes gleich ganz verboten wird.

Wir tunen lieber legal: Mit besseren Komponenten für noch mehr Spaß auf dem Trail - ganz ohne Speed-Chip!Foto: Georg GrieshaberWir tunen lieber legal: Mit besseren Komponenten für noch mehr Spaß auf dem Trail - ganz ohne Speed-Chip!

Tuning-Sätze sind oft direkt am Motor verbaut. Wie hoch ist überhaupt die Chance, mit einem getunten Bike erwischt zu werden?

Leider gering. Die Polizisten müssen speziell geschult sein und auf Verdacht bei allen E-Bikes in einer Kontrolle das Motorcover abzuschrauben ist schlicht nicht realistisch. Es gibt zwar ein paar Tricks zur Erkennung von Tuning, aber die funktionieren wieder nur für spezifische Tuning-Sätze. Meine Idee: Die Hersteller sind ja ohnehin in der Pflicht, Tuning vorzubeugen. Sie müssten eine einheitliche Schnittstelle anbieten, mit der bei einer Kontrolle der Energieverbrauch auf den letzten Kilometern ausgelesen werden kann. Wegen des hohen Luftwiderstands braucht ein E-Bike bei 40 km/h viel mehr Energie, als bei 25 km/h. Dann wäre die Sache ziemlich eindeutig.

Ich will es nicht erleben, dass E-Biken in der Natur wegen ein paar schwarzen Schafen mit getunten Bikes gleich ganz verboten wird.

Warum schiebt man Tuning nicht komplett einen Riegel vor?

Ich sehe da klar den Gesetzgeber in der Pflicht. Diese Rechtslücke gefährdet die gesamte Mikro-Mobilität und damit auch die Verkehrswende. Frankreich macht es vor, wie man effektiv gegen Tuning vorgehen kann. Dort drohen mittlerweile für den Verkauf, den Einbau oder die Nutzung von Tuning-Kits bis zu 30.000 Euro und ein Jahr Knast! Auch die Antriebs-Hersteller könnten mehr tun, um Tuning einzudämmen.

Keine Toleranz gegenüber E-Bike-Tuning: EMTB bezieht Stellung

Wir als Redaktion stellen uns schon seit Jahren ganz klar gegen illegales E-Bike-Tuning. Von den Risiken, die jeder Einzelne damit trägt ganz abgesehen: Speed-Chips schaden dem Image von E-Bikern und E-Mountainbikern in der Öffentlichkeit und gefährden damit die Rechte von uns allen!

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