Mit großem Tam-Tam verkündete Bosch Ende 2021 die Einführung eines ganz neuen Antriebssystems. Für viele eine Überraschung: Der Motor selbst blieb scheinbar unverändert. Dasselbe Äußere, dieselben Leistungsdaten, selbst der Name ist der gleiche wie vorher: Bosch Performance CX. Neu am sogenannten „Smart System“ waren aber die größeren Akkus mit 750 Wattstunden und die Bedienteile. Erstmals gab es mit dem Smart System nun auch eine eigene App und ein großes Versprechen: Jede Menge zukünftiger Features, möglich gemacht durch die Rechenleistung des „Smart Systems“.
Nach über zwei Jahren Erfahrung mit über 50 verschiedenen Testbikes und an die 10.000 Testkilometern zeigen wir, wie sich der Bosch im harten Bike-Alltag wirklich schlägt.
*Angaben beziehen sich auf den CX Race
Mit seinem Drehmoment von 85 Newtonmetern und seiner Leistung von 600 Watt nach Herstellerangabe ist der Bosch CX die Definition eines E-MTB-Motors. Nicht zuletzt dank des Performance CX spricht man auch von einer 85-Newtonmeter-Klasse, wenn klassische Aggregate á la Bosch, Brose, Shimano und Yamaha gemeint sind. Doch die Herstellerangaben zur Leistung sind nur eine Seite der Medaille. Wir unterziehen die Motoren daher immer eigenen Tests in einem unabhängigen Prüflabor, um hinterher die Leistungsdaten verschiedener Motoren objektiv miteinander vergleichen zu können.
Der Bosch Performance CX kann dabei immer wieder glänzen und spuckt auch auf dem Prüfstand echte 79 Newtonmeter und satte 566 Watt Spitzenleistung aus. Der schwäbische Antrieb liegt damit sehr nah an den Herstellerangaben und zeigt sich obendrein sehr Drehzahlfest. Selbst bei Trittfrequenzen von deutlich über 100 geht ihm nie die Puste aus. Praktisch, etwa um vor schwierigen Schlüsselpassagen kurz etwas Schwung zu holen.
Ob man die volle Leistung des Bosch CX in der Praxis abrufen kann, ist jedoch eine andere Frage. Denn mit maximal 340 Prozent Unterstützung setzt der Bosch seine Spitzenleistung etwas später frei als andere Antriebe mit teils über 400 Prozent Unterstützung. Konkret heißt das: Wer 100 Watt selbst tritt, bekommt vom Bosch maximal 340 Watt obendrauf. Nur wer 180 Watt und mehr aus eigener Kraft tritt, kann die ganze Leistung des Motors abrufen. Wer eher gemächlich Tritt, ist mit anderen Motoren also gegebenenfalls schneller unterwegs - unabhängig von der Maximalleistung.
In Puncto Fahrgefühl ist der Bosch Performance CX dafür ganz vorne mit dabei. Der Motor tritt sich rund, lässt sich exzellent dosieren und wirkt doch nie übermäßig sensibel oder nervös am Pedal. Der relativ geringe Leerweg hilft beim Anfahren, die sportliche Auslegung und die hohe Drehzahlfestigkeit hilft beim Beschleunigen vor Schlüsselstellen. Besondere Stärke des Bosch CX ist der bewusste Nachlauf im E-MTB-Modus. Hört der Fahrer abrupt auf zu treten, schiebt der Antrieb bewusst noch ein Stück weiter. So lassen sich Stufen und Hindernisse bergauf leichter bezwingen. In Summe versucht der Performance CX das E-Bike-Gefühl nicht zu verstecken. Er schiebt sportlich und spritzig, das geflügelte Wort “natürliches Fahrgefühl” will einem eher weniger in den Sinn kommen.
>> Mehr zum Thema Nachlauf lesen Sie in unserer ursprünglichen Vorstellung des Features beim vorherigen Performance CX und im Test des Bosch Performance CX Race <<
Bleibt man bergauf doch mal hängen, kommt die Schiebehilfe ins Spiel. Die ist bei Bosch besonders durchdacht und effektiv. Sie kann einfach durch langes Halten der Nach-Unten-Taste und leichtes Bewegen des Rades aktiviert werden. Rutscht man mal von der Taste, oder muss man umgreifen, hält der Motor für ein paar Sekunden die Position, ohne dass das Rad zurückrollt. Hill-Hold nennt Bosch dieses Feature, das sich besonders in steilem Gelände bezahlt macht.
Auch wenn die Geräuschkulisse immer etwas von Rahmen und Bike abhängt: Der leiseste Antrieb am Markt ist der Bosch CX nicht. Das Fahrgeräusch ist eher hochfrequent und auch bei niedriger Unterstützung deutlich zu hören. Bergab klappert der Antrieb hörbar.
Eine der offensichtlichsten Neuerungen, die mit dem Wechsel aufs Smart System einherging, waren die großen Akkus. Statt 625 gab es zunächst nur dicke Akkus mit 750 Wattstunden, die für den Bosch Performance CX bis heute die Norm sind. Nachteil der großen Batterien: Zum einen das hohe Gewicht von fast 4,3 Kilogramm, zum anderen die enorme Länge. Das machte es den Bike-Herstellern schwer, kompakte und leichte Bikes für das Smart System zu bauen und beschränkte zudem die Kompatibilität mit kleinen Rahmen.
Dafür staunten wir nicht schlecht, als die ersten Testbikes an die 2000 Höhenmeter in unserem Standard-Testprozedere erkletterten. Zum Vergleich: Sehr gute Bikes, wie die mit dem 726er-Akku von Darfon, lagen Ende 2021 bei rund 1700 Höhenmeter, Bikes mit Shimanos 630er-Akku nur bei 1200 bis 1300 Höhenmetern. In unzähligen standardisierten Messfahrten sind an die 2000 Höhenmeter mit dem 750er Akku keine Seltenheit. Ein Wert der nur noch von echten Reichweiten-Spezialisten mit 900er-Akku, zum Beispiel Canyons Spectral:On CF, regelmäßig getoppt wird.
Vorgestellt wurde die aktuelle Generation des Bosch Performance CX im Smart System mit dem All-in-One Bedienteil LED-Remote. Sie ist gleichzeitig minimalistisches Display und Bedieneinheit und zeigt den Akkustand in 10-Prozent-Schritten sowie die gewählte Unterstützungsstufe an. Außerdem ist die LED-Remote Bluetooth-kompatibel und bildet so die Schnittstelle zwischen der App (s. u.) und dem Antriebs-System. Eine ähnliche All-in-One-Lösung ist das 2023 neu vorgestellte Purion-200 Display, das ebenfalls außen am Lenker montiert wird. Der Vorteil: Das Purion verfügt über ein echtes kleines Display. Hier kann man sich dann den Akkustand in Prozent und die wichtigsten Fahrdaten anzeigen lassen.
Statt der LED-Remote gibt es mittlerweile auch noch das Oberrohr-Display System Controller, das dieselben Funktionen bietet und über die kabellose Mini-Remote gesteuert wird. Gerade am Lenker sorgt das für eine cleane und sportliche Optik ohne Kabel. Optional kann man jede der Basis-Lösungen – LED-Remote, System-Controller und Purion-Display – noch mit einem der beiden größeren Kiox-Displays oder dem Smartphone-Grip aufrüsten. Hier lassen sich noch mehr Daten zur aktuellen Fahrt darstellen, zum Teil ist auch eine Navigation möglich.
Mit der Einführung des aktuellen Bosch-Systems setzt auch der schwäbische Hersteller erstmals auf eine eigene App. Mit ihr lässt sich zum Beispiel die Stärke der Unterstützung feineinstellen. Man kann hier kabellos das komplette Antriebssystem updaten, Aufzeichnungen der gemachten Touren einsehen und sich viele spannende Infos rund um die Nutzung des Bikes anzeigen lassen. Welche U-Stufe wurde wie viel benutzt, Kalorienverbrauch und Eigenleistung des Fahrers und vieles mehr.
Die App verfügt außerdem über Navigationsfunktionen, die besonders in Kombination mit dem Smartphone-Grip oder einem Kiox-Display zur Geltung kommen. Neuerdings kann die App auch mit Komoot oder Strava verknüpft werden. Das macht sie für Mountainbiker deutlich attraktiver. Wer möchte, kann die App auch als Schlüssel benutzen. So wird die Unterstützung nur freigegeben, wenn die App verbunden ist. Noch mehr Diebstahlschutz inklusive Tracking in Echtzeit gibt es mit dem optionalen Connect-Modul. Zusatzfeatures wie das E-Bike-ABS werden ebenfalls über die App bedient.
Die Bosch App hat sich damit zu einer der besten Digital-Lösungen am Markt gemausert. Doch Baustellen gibt es nach wie vor. Dass immer nur ein Bike in der App registriert und damit auch verbunden werden kann, dürfte jeden nerven, der mehrere Bikes mit einem Smartphone konfigurieren und verwalten möchte. Aus Sicherheitsgründen setzt Bosch außerdem nach wie vor auf die Strategie des geschlossenen Systems. Das heißt: Mit Ausnahme der Apple-Watch und vereinzelter Pulsmesser können Drittgeräte so gut wie gar nicht mit der App und damit mit dem Antriebssystem gekoppelt werden. Das betrifft zum Beispiel auch die Bike-Computer von Garmin, Wahoo, Sigma und Co.
Neben dem bekannten Bosch Performance CX gibt es mittlerweile auch noch die Special-Edition Performance CX Race, die speziell für das E-Bike-Racing optimiert wurde. Sie unterscheidet sich vor allem durch das um 150 Gramm reduzierte Gewicht vom Standard CX und verfügt außerdem über den speziellen Antriebsmodus „Race“. Der unterstützt mit bis zu 400 Prozent, wodurch die Spitzenleistung des Motors schon bei 150 statt 180 Watt Fahrerleistung anliegt. Und a propos Spitzenleistung: Hier bleibt es bei den 85 Newtonmetern und 600 Watt des normalen CX.
Dafür gibt’s im Race-Modus einen stark verlängerten Nachlauf, der das Bike noch fast zwei Meter nach vorne schiebt, wenn der Fahrer schon nicht mehr tritt. Das hilft insbesondere über raues Gelände und Absätze. Wer das Feature richtig beherrscht, kann so auch anspruchsvolle Passagen mit unvermeidlichen Tretpausen bewältigen, ohne dass die Unterstützung je abreißt. Für Uphill-Trickser und alle, die gerne mit schwierigen Bergauf-Passagen spielen, bringt das ein ganz neues Fahrgefühl und neue Möglichkeiten. Nachteil des Race-Motors: Er bleibt bei den meisten Herstellern auf die Topmodelle beschränkt und kostet je nach Hersteller 500 bis 1000 Euro Aufpreis.
Doch ein Bosch oder lieber ein anderer Antrieb? Vor der Frage dürfte fast jeder bei einem neuen E-Bike stehen. Allerdings: Entscheiden sollte man sich nie für einen Motor allein, sondern immer für das gesamte Bike. Die Frage nach dem richtigen Antrieb bleibt natürlich trotzdem relevant. Wir konnten fast alle gängigen E-Bike-Antriebe schon ausführlich in der Praxis und im Labor testen und geben einen kurzen Überblick über die Unterschiede in Messwerten und Fahrgefühl.
Im Labor gehört der Bosch Performance CX definitiv zu den kräftigeren E-Bike-Antrieben. Er bietet ein gelungenes Drehmoment im unteren Bereich und toppt mit seiner Spitzenleistung fast alle gängigen Antriebe, mit Ausnahme echter Power-Boliden wie Rocky Mountains Dyname 4.0, dem Sachs und dem alten TQ HPR 120. Der Drive S Mag von Brose bietet aber fast dieselbe Spitzenleistung wie der Bosch und noch etwas mehr Drehmoment, auch Shimanos neuer EP801 hat in Sachen Leistung fast zum Performance CX aufgeschlossen. Nur der PW-X3 von Yamaha, der auch die Basis von Giants Syncdrive Pro II Antrieben ist, hinkt noch spürbar hinterher.
>> Mehr zum Thema Spitzenleistung im Vergleich lest ihr übrigens in unserem Feldversuch Uphill-Rennen mit den acht wichtigsten E-Bike-Motoren am Markt <<
In Puncto Fahrgefühl gibt sich der Bosch sportlich und dynamisch und setzt seine hohe Leistung erst bei kräftigem Treten frei. Im Umkehrschluss heißt das: Wer nicht ganz so kräftig in die Pedale tritt, kann mit Brose und insbesondere Shimano etwas mehr Leistung abrufen. Das liegt daran, dass zum Beispiel der Shimano schon bei 100 Watt Fahrerinput Vollgas gibt, während der Bosch erst bei 180 Watt seine volle Leistung freischaltet. In der Praxis fällt das zum Beispiel auf entspannten Touren auf, wo man mit Shimano und Brose bei leichtem Tritt oft schneller unterwegs ist, als mit dem Bosch.
Dafür ist die Dosierbarkeit der Leistung mit dem Bosch exzellent und unserer Erfahrung nach noch etwas besser als bei Yamaha und Shimano. Der Brose liegt noch am nächsten an der Feinfühligkeit des Bosch-Antriebs, begeistert oft mit geringer Lautstärke und klappert bergab nicht. Die durchdachte Schiebehilfe, die hohe System-Reichweite und der verlängerte Nachlauf im E-MTB-Modus zahlen aber wiederum auf das Konto des Bosch-Antriebs ein.
>> Welcher Motor am besten zum welchem Fahrer passt, bleibt dennoch zum Teil persönliche Präferenz. Wir raten daher bei konkreten Entscheidungen unbedingt zu einer Probefahrt. <<
Während andere Antriebe, wie etwa der Drive S Mag von Brose, wegen mangelnder Zuverlässigkeit in der Kritik standen, gibt es über den Bosch bislang wenig zu berichten. Vereinzelte Ausfälle in unserem Testbetrieb waren immer nur auf Lapalien, wie defekte Speed-Sensor-Kabel oder gelöste Steckverbindungen bei der Verkabelung zurückzuführen. Im Vergleich zu den anderen Motoren, würden wir dem Performance CX eine hervorragende Zuverlässigkeit attestieren. Auch von Herstellerseite hören wir immer wieder das Argument Zuverlässigkeit und Service, wenn es um ein neues Bike mit Bosch-Antrieb geht.
Der neue Bosch-Antrieb hatte es zu Anfang nicht leicht. Schwere und sperrige Akkus und fehlende Rückwärtskompatibilität sowie die App mit anfangs wenig Features sorgten für Kritik. Heute ist der Bosch aber zurecht einer der am meisten verkauften Antriebe am Markt. Fahrgefühl, Reichweite und Leistung begeistern insbesondere sportliche Piloten, bei der App hat Bosch deutlich nachgelegt. Dennoch: Bei Soundkulisse und dem Klappern bergab bleibt für die nächste Generation noch Luft nach oben.