Liv gehört zwar zum Giant-Konzern, die ganz speziell auf die Bedürfnisse und Anatomie von Frauen zugeschnittenen Bikes sind nach Aussage von Giant-Sprecher Marc Kessing aber komplette Eigenentwicklungen und kein Abklatsch der Herrenmodelle mit Nagellack. In der Rahmenform sieht man zwar Ähnlichkeiten zum Fast Road AR, auch bei den schönen Spacern am Vorbau, aber schon beim Einstellen der Sattelhöhe fällt auf: Man sitzt beim Liv spürbar weiter hinterm Tretlager, tritt deshalb etwas mehr mit dem Popomuskel und weniger aus dem Oberschenkel, wie es Frauen von Hause aus tun.
Der natürliche Flex der Sattelstütze bringt so auch mehr Komfort. Außerdem wird der Winkel zwischen Rumpf und Hüfte so etwas spitzer, Frauen können aufgrund der höheren Beweglichkeit problemlos so sitzen. Apropos Sitzhöhe: Wer das Rad fährt, sollte sich einen kleinen Drehmomentschlüssel zulegen, der Bereich zwischen durchrutschender Sattelstütze und knacksendem Rahmen ist nicht so groß.
Durch die etwas nach hinten verlagerte Fahrposition kriegt das Vorderrad weniger Gewicht ab, das Rad ist super wendig und geht auch dank der Tubeless-Reifen gut über Bordstein und Co. Außer vielleicht auf Matsch ist die Kombi aus Balance, Lenkwinkel, Radstand und nicht zuletzt Reifen sehr fehlerverzeihend. Die Noppen-Pneus senken vielleicht den Topspeed etwas ab, geben aber auch Ungeübten ausreichend Sicherheit in Wald und Feld.
Sicher funktionieren auch die guten Tektrobremsen, mit denen es bei der Lastverteilung kaum möglich ist, sich zu verbremsen, also zu überbremsen. Scheiben und Beläge brauchen allerdings einige Kilometer und ein paar harte Bremsungen zum Einbremsen, um ihre volle Power zu entfalten, nur falls jemand nach der Probefahrt im Laden enttäuscht ist.
Auch beim Blick auf den Antrieb wurde hier auf funktionale Einfachheit Wert gelegt, ein einzelnes Kettenblatt heißt maximal unkomplizierte Schaltlogik, die extrem weit gespreizte Kassette bis 42 Zähne ließ im Test nie eine kleinere Übersetzung vermissen, eher mal eine Zwischenstufe, das stört aber nur bei sehr sportlichen Fahrten vor allem bergauf oder bei Ausnutzung des riesigen Potenzials an Zuladung, die Pilotin darf bis 135, das Gepäck bis 14 Kilo wiegen!
Die frische Farbe und der massiv wirkende, aber sehr leichte und technisch schön gemachte Rahmen samt Gabel sowie die hervorragend ausgesuchte Ausstattung reichen aber nicht, um das Auge vom völlig unnötig breiten Lenker abzulenken. Der zweitbreiteste Flatbar im Test führte bei allen engagierten Testerinnen dazu, dass die Handgelenke extrem Richtung Daumen abgeknickt waren. Das passt nicht zur statistisch schmaleren Frauenanatomie, und das bei Rahmengröße S.
Auch wenn die Wünsche von Frauen und Männern an sportliche Räder nicht völlig gegensätzlich sind, bis auf die Lenkerbreite vereint das Liv Thrive Advanced GX viele Features, die erfahrungsgemäß eher Damen besser finden als Herren. Der kurze Vorbau hält die Position gemäßigt sportlich, das Thrive ist deshalb sehr variabel einsetzbar. Nur rutschige Untergründe, alles Gepäck am Heck und Hochgebirgsetappen mag das Rad nicht, dafür fehlt ihm etwas aufgrund von Balance und Übersetzungen nicht. - Timo Dillenberger, MYBIKE-Redakteur
*SR-Quotient: berechnet Verhältnis von Höhe zu Länge des Rahmens; je höher der Wert, desto langgestreckter die Geometrie.