Timo Dillenberger
· 24.12.2023
Das leichteste je gebaute und voll funktionsfähige Rad inklusive Schaltung, Bremsen und Pedalen wog unter drei Kilo. Es war eine über Jahre ausgetüftelte Handarbeit mit vielen sündhaft seltenen Spezialkomponenten und quasi unbezahlbar. Die Alltagstauglichkeit eines solchen Extrembikes mag man in Frage stellen dürfen, aber die Fahrleistungen müssen gigantisch gewesen sein. Gewicht oder besser Masse ist träge, in jede Bewegungsrichtung und ganz besonders, wenn sie sich um eine Achse dreht. Deshalb stimmt die Behauptung, ein zwei Kilo leichteres Rad habe bei einem kräftigen Fahrer von 85 Kilo überhaupt keinen messbaren Vorteil, auch nach eigener Erfahrung überhaupt nicht.
Leichtigkeit fühlt sich gut an auf dem Rad, ganz gleich ob mit oder ohne Motor. Ein Pedelec lässt sich durch volle Motorpower vielleicht besser beschleunigen als ein abgespecktes sportliches Rad ohne Motor, aber Gas geben ist halt auch nur eines von vielen Manövern auf einem Bike. Schnelle Richtungswechsel, heftiges Bremsen, mal mit dem Vorderrad den Bordstein hochhopsen, enger Slalom um Absperrungen herum, ambitionierte, lange Steigungen oder auch nur die Treppe hoch tragen oder hinten in den Kombi legen: Nirgendwo kann der E -Motor helfen, im Gegenteil, er belastet sogar im wahrsten Sinne des Wortes. Das soll kein Plädoyer gegen Pedelecs werden, sondern eines für die leichten Räder aus unserem Test hier.
Das Rad stellt eine träge Masse dar – bei jeder Beschleunigung, Bremsung und Lenkbewegung muss dazu für jedes Gramm mehr Energie aufgewendet werden. - Timo Dillenberger, MYBIKE-Redakteur
Vor 20 Jahren hätte man noch zum Test von Sporträdern oder Fitnessbikes aufgerufen, umgangssprachlich nannte man so Rennräder mit geradem Lenker und teils etwas Verkehrsausstattung. So einfach machen es sich die Hersteller heute nicht mehr. Obwohl – teilweise sogar einfacher, denn viele haben die Lücke zwischen Rennrad bzw. Gravelbike und Trekkingrad gar nicht mehr besetzt. Das Testfeld zusammenzustellen war selten so aufwendig.
Offenbar haben Pedelec und Gravelbike von beiden Seiten heftig an der Radsparte geknabbert, und die war nicht mehr für jeden rentabel. Technisch ist es auch nicht mehr so einfach, die Gattung abzugrenzen, deshalb haben wir uns auf die Kernpunkte beschränkt, die uns wichtig waren: einen Flatbar, also ein annähernd gerades Lenkerrohr, Reifen breiter als 32 mm, um die Allroundqualitäten vor reinen Speed zu stellen, und ganz wichtig: ein Gewicht unter 13 Kilo.
Dass die superleichten Tourenbikes, wie wir den Testpool intern mal genannt haben, keine ganz klar definierte Fahrradklasse darstellen, zeigt sich an den bunten Mixen aus Rahmen, Antriebskomponenten und Geometrien bzw. Sitzpositionen. Vom “zweckentfremdeten” Gravelbikerahmen über ganz gezielt entwickelte Rahmensets bis hin zu technisch extrem gut gearbeiteten Trekkingbikevarianten war selbst im kompakten Feld der leichten Räder alles mit dabei.
Auch die Antriebe reichten von GRX-Gruppen mit einem Kettenblatt und superweit gespreizter Kassette bis zu kompletten 2x11-Gang-Rennradgruppen mit eigens für den Flatbar konstruierten Schalthebeln, sogar ein Dreifach-Antrieb ist dabei.
Im Gegensatz zum Gravel-Test ist die Reifenwahl dagegen etwas enger, 35 bis 40 mm breit und nur leicht profiliert – das scheint der Konsens zwischen Offroadqualitäten, sportlich leichtem Abrollen und nicht zuletzt wieder dem Gewicht zu sein! Das Schöne: Durch diese vielen feinen Mixe aus eher sportlichen und eher komfortablen Charaktereigenschaften decken allein die sechs leichten Räder hier eine ziemliche Bandbreite ab. Zur Arbeit radeln, an der persönlichen Fitness arbeiten, Radurlaube machen oder Bikepacking betreiben, durch die City flanieren, kleine Runden durch die Landschaft drehen: Jeder hat so seine Stärken, aber keine richtigen Schwächen, was uns noch mehr ins Grübeln brachte, warum diese Art Rad nicht viel mehr im Fokus der potenziellen Kunden steht.
Das riesige Plus der leichten Räder liegt in ihrer Dynamik, und die wiederum profitiert eben fast ausschließlich vom Gewicht der Räder und ihrer Komponenten, an das im bezahlbaren Segment sonst nur Gravel- und Rennräder rankommen. Deren Lenkerbügel ist aber nicht jedermanns Sache, gerade die Lenkerbreite um 40 Zentimeter gibt mitunter ein Gefühl von wenig Kontrolle.
Kleiner Exkurs: Je schmaler der Lenker bzw. die Griffhaltung am Lenker, desto eher steuert man mit dem Körpergewicht und dessen Verlagerung, während man bei Handhaltung deutlich breiter als die Schultern dazu neigt, eher durch Drehen und Fixieren des Lenkers mit den Händen das Vorderrad und die Richtung zu kontrollieren.
Ein Besser und Schlechter gibt es dabei nicht, schmale Lenker passen eher zu griffigen und ebenen Wegen und hohen Geschwindigkeiten – Stichwort Luftwiderstände –, die breite Haltung hat Vorteile auf ruppigen Untergründen und im Wiegetritt. Die leichten Räder im Test wiesen Lenkerbreiten von 61,2 cm beim Koga Colmaro bis 71,3 cm beim Ghost Urban Asket auf. Von “zu breit” zu sprechen könnte hier einen Streit der Fahrradphilosophien auslösen, außerdem ist das Einkürzen eines Alulenkers quasi kaum Aufwand, für uns passt zumindest zum sportlichen Einsatz und der Enge einer Stadt eher ein schmalerer Lenker.
Das hat auch biomechanische Hintergründe, denn bei sehr weiter Handhaltung knickt das Handgelenk nach innen stark ab, die Belastung am Griff wandert auf den äußeren Bereich, das ist ein annehmbarer Zustand bei Bikes für harten Geländeeinsatz, nicht aber für Straßenflitzer, die auch für lange Biketouren genutzt werden. Beim Kauf bitte unbedingt absprechen! In der Sportlichkeit liegen nun mal die Stärken solcher leichten Räder wie denen im Test. Schnelles Beschleunigen, dynamische enge Kurven, energiesparendes Fahren, viel Kontrolle und Sicherheit auf verschiedenen Untergründen, aber eben kein harter Offroad-Einsatz.
Trägheit und Dynamik eine Rades setzen sich immer aus den verbauten Komponenten und der Positionierung des schwersten Bauteils, des Fahrers, zusammen. Unterschiedliche Kombinationen ergaben im Test deshalb auch mal abweichende Fahreindrücke, obwohl das Gesamtgewicht recht ähnlich war. Geringes Rahmengewicht ist eben ein und nicht der einzige Grund für dynamische Kurvenlagen, genauso die Laufradgewichte nicht nur der Ursprung für gutes Beschleunigen. Die Gewichte der leichten Räder liegen mit unter zehn Kilo übrigens auf dem Niveau, das gute Rennräder zuzeiten von Ulrich, Zabel und Co. auf die Waage brachten, um thematisch mal die Klammer zu schließen.
Die Materialentwicklung hat da in den letzten Jahren echte Quantensprünge gemacht, nicht nur im Bereich Carbon, sondern auch bei Alurohren. In Sachen Steifigkeit und Traglast hat man sich zusätzlich in neue Sphären begeben. Der Stiffness-to-weight-Quotient¹ der aktuellen Testräder ist unfassbar.
Wer also noch nie das Vergnügen hatte, ein 9- oder 10-Kilo-Rad inklusive Trinkflasche, Licht und Schutzblechen zu fahren, sollte dieses Vergnügen unbedingt nachholen! Der Spaß am Radfahren steigt nämlich exponentiell mit jedem Kraftaufwand, den man sich einspart, wenn man dafür sonst keinerlei Kompromisse eingehen muss!
Unschätzbar im Alltag: In die Wohnung tragen, aufs Auto heben oder Bahn fahren wird so extrem viel leichter … mit so einem Leichten. - Robin, Testfahrer
Kleintransport(er) nötig? Hier hält SKS eine schnelle, saubere Lösung bereit: Die Racks aus der Infinity-Serie werden nicht per Gummi, sondern Textilband auf fast jeden möglichen Metall-Hinterbau fixiert, indem man per Torx-Schlüssel gleichzeitig das Spannband in der Aufnahme fixiert und den Spannmechanismus bedient.
Einmalig muss der Träger dann am Rad ausgerichtet werden. Danach dauert das Aufsetzen drei Minuten und ist superstabil für bis zu 12 Kilo. Mit einer Ratsche wäre das Verspannen noch komfortabler. Die optionale, einklickbare Toptasche ist für Einkäufe zu klein, für kleine Ausflüge oder den Weg zur Arbeit aber top, weil diebstahlgeschützt, erweiterbar, abnehmbar und regendicht. SKS Infinity Universal MIK & Topbag | 109,99 und 99,99 Euro UVP.
Seit über 10 Jahren sind Akkulampen am Rad legaler Ersatz für Dynamolichtanlagen, wenn sie Prüfnummer (mit Schlangenlinie) tragen. Das Set am Testrad toppt die StVZO-Anforderungen mit einem Display, das Leuchtstufe und Akkustand beider Lampen anzeigt, nötige Funkverbindung wird auch zum synchronen An- und Ausschalten benutzt, cool.
Der Kegel nach vorne ist clever für flotte Fahrten mittig vor dem Rad konzentriert, bei weniger Umfeldbeleuchtung. Wichtig: Die Frontleuchte darf maximal 1,20 m hoch montiert sein und nicht beweglich, heißt Stirnlampen sind wegen Blendgefahr nicht zulässig. Auch am Lenker ist die Ausrichtung wichtig, der oberste Rand des Leuchtkegels darf maximal knapp unter waagerecht verlaufen. Sigma Aura 100 / Blaze link | im Set 109,95 Euro UVP.
Wer auf das Rad angewiesen ist, muss auch bei Schmuddelwetter fahren, für die cleane Optik und das Gewicht verzichten Sportler aber gerne auf Schutzbleche. Die derzeit schickste Lösung für beides: die Raceblades von SKS, wie am Koga zu sehen. Einmal aufs Rad eingestellt, sind sie in 20 Sekunden mit je zwei Gummischlaufen an Rahmen und Gabel montiert und in 10 Sekunden wieder abgenommen, Halter bleiben nicht zurück.
Es gibt sie in verschiedenen Ausführungen, Längen, Breiten und Lackfinishes bis Reifenbreite 32 mm (35 geht auch noch), für dickere Pneus muss das minimal aufwendiger zu montierende Modell Speedrocker her. Achtung: Raceblades und Infinity sind nicht kompatibel. SKS Raceblades / Speedrocker | 39,99 und 49,99 Euro UVP.
¹ Stiffness-to-weight: Verhältnis von Rahmengewicht zu Verwindungssteifigkeit