Es gibt Dinge, die werden unterschätzt. Slowenien als Urlaubsland zum Beispiel, Popoduschen als Klopapierersatz oder Jack Black als Sänger. Auch Trailbikes werden unterschätzt. Denn sie sind flink, handlich und lassen sich auf eher faden Up&Down-Hausrunden besser beschleunigen. Kein Wunder also, dass 50to01-Crew-Frontmann und Super-Jibber Josh Lewis am liebsten Trailbike fährt. In FREERIDE 2/23 kürten wir den Briten aus Sheffield zu einem der vier kreativsten Mountainbiker dieses Planeten. Denn Josh liest das Gelände wie ein Skateboarder und carvt mit der Präzision eines Abfahrtsskifahrers durch die britischen Wälder. Anfang des Jahres wechselte der langjährige Santa-Cruz-Fahrer zum Schweizer Label Scor. Ein schöner Anlass für uns, „seine“ beiden Bikes einmal genauer unter die Lupe zu nehmen und zu checken, welches Bike uns Hobby-Jibbern mehr Spaß macht.
Die US-Kultmarke Santa Cruz hat ihrem Trailbike für 2023 eine Runderneuerung gegönnt. Die fünfte Generation des 5010 rollt nun als Mullet statt auf kleinen 27,5-Zoll-Laufrädern. Die Geometrie wurde aufgefrischt, dazu kommen Features, wie ein Staufach im Unterrohr und ein Guckloch, um den Sag des Dämpfers zu überprüfen. Beim Federweg ist sich das Santa Cruz 5010 treu geblieben: 140 Millimeter Hub vorne, 130 hinten. Bei Scor ist die ganze Marke neu. Scor ist die radikale Sparte des Cross-Country-Riesens BMC. Mit Scor wollen die Schweizer seit 2021 spaßorientierte Bikes anbieten. Flaggschiff: das Scor 4060. Pfiffige Idee: ein Rahmen, zwei Räder – so gibt es das Modell als Long-Travel-Variante mit 170/160 Millimetern Federweg, kurz LT. Und die hier getestete Trail-Variante ST (Short Travel). Durch variable Steuerkopfschalen und einen Flipchip lässt sich der Rahmen an das jeweilige Modell anpassen – clever! Optisch ist das 4060 mit seinem schlanken Oberrohr, dem tief im Rahmen versteckten Dämpfer und vor allem der Farbe wegen ein Hingucker.
In Sachen Geometrie liegen die beiden Trail-Bikes dicht beieinander. Beide besitzen super kurze Kettenstreben für maximalen Fahrspaß. Sowohl Scor als auch Santa Cruz haben ihren Bikes einen Flipchip spendiert, um die Geometrie den Vorlieben anzupassen, wobei die Geo-Verstellung beim Scor laut Hersteller eher für den Umbau zur LT-Enduro-Variante gedacht ist. Doch nun zu den auffälligsten Unterschieden: Das Scor presst 150/140 Millimeter Federweg aus dem Rahmen und ist damit per Definition eher ein Trailduro und damit eine Kategorie über dem Trailbike. Beim Santa Cruz 5010 trifft die Bezeichnung Trailbike mit 140/130 Millimetern Federweg eindeutig zu. Das MTB rollt zudem auf Mullet-Reifen, während das Scor 4060 vorne wie hinten auf große Räder vertraut.
Seit einigen Jahren trimmen die Hersteller ihre Trailbikes auf Enduro. So spezifizieren auch Scor und Santa Cruz ihre Trailbikes mit Abfahrtsbereifung und breiten 800er-Bigbike-Cockpits. Macht das Sinn? Wir meinen: nein! Denn gerade in dieser Bike-Klasse kommt es auf Vortrieb und Handling an. Parkeinsätze sind nicht die Domäne von Trailbikes und sollten ohnehin die Ausnahme bleiben. Beide Hersteller haben dafür auch spezielle Modelle parat. Vor allem bei Santa Cruz überrascht das, schließlich verfügt kaum eine Marke über so eine große Modellvielfalt. Folge der Endurofizierung: Beide Räder überschreiten die 14-Kilo-Marke deutlich. Zum Vergleich: Das Santa Cruz 5010 brachte 2019 gerade mal 12,3 Kilo auf die Waage, allerdings in der Top-Ausstattung. Fast zwei Kilo Unterschied! Das zeigt in dieser Bike-Klasse Wirkung!
Bei den Komponenten haben die Schweizer ihrem Scor 4060 eine edlere Ausstattung spendiert. So gibt es hier das Rockshox-Ultimate-Fahrwerk und die zuverlässigen Bremsen Code RSC von Sram. Beim Santa Cruz muss man sich mit einem günstigeren Fahrwerk und den weniger starken Sram-G2-R-Bremsen begnügen.
Auf Up&Down-Trails würden beiden Trail-Bikes schnellere Reifen und weniger Gesamtgewicht guttun. Die Spielfreude ist aber bei beiden vorhanden. Die Geometrien gefallen. Manuals: easy! Bunny-Hops: auch easy! Das Santa Cruz steuert sich direkter und spritziger über den Trail als Duellgegner Scor. Das Fahrwerk gibt zudem mehr Gegendruck und entwickelt so mehr Popp für Bunny-Hops und Sprungeinlagen. Die Mullet-Bereifung vom Santa Cruz 5010 wirkt hier sehr stimmig.
Auf Berg-Touren machte das Scor 4060 die souveränere Figur. Zumindest in der Abfahrt. Bei Stufen und Steilabfahrten und grobem Gelände blitzen die Enduro-Gene auf, und der Pilot profitiert von dem Plus an Federweg. Das Santa Cruz 5010 kann bei entsprechendem Können zwar mithalten, muss aber präziser gesteuert werden. Im Uphill und auf Tretpassagen hingegen gewinnt das Santa, weil sehr antriebsneutral, auch im offenen Modus. Mit zugeschalteter Druckstufe beruhigt sich aber auch das Scor-Heck und klettert willig.
Für den Fahrwerks-Check entfremdeten wir die beiden Trailbikes und prügelten sie über Parkstrecken. Die beiden Duellanten verblüfften mit viel Downhill-Können. Wahnsinn, wie schnell und sicher die Bikes über Wurzelabfahrten fegen. Das Fahrwerk des Santa Cruz 5010 harmoniert vorbildlich und kann so die günstigeren Federelemente kaschieren: Gabel und Dämpfer Modell Select+ überraschten mit viel Souveränität und Laufruhe. Nur bei stumpferen Drops schlug die Gabel durch. Das Scor 4060 kann auf etwas mehr Hub zurückgreifen und filtert mit seinem hochwertigeren Fahrwerk Schläge noch sensibler. Vor allem, wenn wir die Gabel mit deutlich weniger Luft fuhren als vom Hersteller empfohlen. Die Unterschiede zwischen den Fahrwerken sind aber geringer als erwartet. Kurz gesagt: Das Scor 4060 siegt in grobem Gelände, und das Santa Cruz 5010 mit seinem strafferen Fahrwerk punktet besser im spritzigen Trail-Gekurve, dem eigentlich Lebensraum eines Trailbikes.
In beiden Bikes steckt viel Spieltrieb. Doch das Santa Cruz ist stimmiger, weil verspielter und wendiger. Ein richtiges Trailbike! Das Scor kann da nicht ganz mithalten. Dafür besitzt das Scor einen breiteren Einsatzbereich. Im Scor stecken mehr Enduro-Gene. Deswegen gewinnt in unseren Augen das Santa Cruz dieses Trailbike-Duell. Ironie des Schicksals: Als wir den Test schrieben, präsentierte Scor ein reinrassigeres Trailbike, das 2030.
Das Santa Cruz 5010 ist das konsequentere Trailbike im Vergleich. Ich würde einen schnelleren Hinterreifen und einen schmaleren Lenker montieren, für mehr Trailbike-Spaß. – Laurin Lehner, Tester (1,78 m | 73 Kilo)
Dürfte ich mir eines der Bikes aussuchen, ich würde das schicke Scor 4060 nehmen. Es ist auch handlich, doch schneller bergab und besitzt den breiteren Einsatzbereich. – Dimitri Lehner, Tester, (1,79 m | 75 Kilo)