Merida Big.Nine 10K Race-Hardtail im TestKrasse Maschine mit neuer Funk-XTR

Jan Timmermann

 · 13.10.2025

Das Merida Big.Nine 10K würde sich auch auf dem Heckträger des Batmobils gut machen.
Foto: Max Fuchs
​Ein Hardtail für 7700 Euro stellen sich nur die wenigsten Biker in die Garage. Das Merida Big.Nine 10K ist nicht für jedermann, denn es gehört zur absoluten Spitze der Racebikes mit starrem Heck. Trifft die radikale Geometrie des Cross-Country-Flitzebogens ins Schwarze, oder schießt sie übers Ziel hinaus? Manege frei für das Merida Big.Nine 10K.

“Wow!” Entfährt es mir beim Anblick des Merida Big.Nine 10K. Doch Moment mal! Schleiche ich etwa gerade ehrfürchtig um ein Hardtail herum? Kurz muss ich innehalten, um zu verstehen, was hier gerade passiert. Ich habe das Bike in meinem Wohnzimmer aufgebaut. Aus den Boxen dröhnt „Heaven and Hell“ von Black Sabbath, in der Hand ein kühles Blondes – in der Gegenwart dieses Supersportlers natürlich alkoholfrei –, und ich kann ich beim besten Willen die Augen nicht von dieser ästhetischen Silhouette lassen.

Mit dem tief abfallenden Oberrohr und der aufregenden Lackierung sieht das Rad aus wie eine Geheimwaffe aus dem Entwicklungslabor von Batmans Wayne Enterprises. Es ist länger nicht mehr vorgekommen, dass ich mir die Zeit genommen habe, ein Fahrrad einfach nur zu bewundern – erst recht kein Hardtail. Also was genau löst eine solche Faszination aus, dass ich mir heute diesen meditativen Augenblick gönne?

Mit der progressiven Geometrie des Merida Big.Nine 10K Hardtails können Cross-Country-Piloten in den Flugmodus schalten.Foto: Max FuchsMit der progressiven Geometrie des Merida Big.Nine 10K Hardtails können Cross-Country-Piloten in den Flugmodus schalten.

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Merida Big.Nine 10K im Detail

  • Einsatzbereich: Cross Country / Marathon
  • Federweg: 100 mm
  • Laufradgröße: 29”
  • Gewicht: 9,4 kg (BIKE-Messung in Größe L, ohne Pedale)
  • Rahmenmaterial: Carbon
  • Preis: 7699 Euro
  • Garantie: lebenslang
  • Maximales Systemgewicht: 135 kg
  • Besonderheiten: Agilometer-Größenkonzept, Tool-Mount, progressive XC-Geometrie, zwei Flaschenhalter, starre Sattelstütze, Tool unterm Sattel
Die Spitze des Hardtail-Lineups von Merida kommt mit Sonderlackierung aber ohne Lenkanschlagsbegrenzer.Foto: Max FuchsDie Spitze des Hardtail-Lineups von Merida kommt mit Sonderlackierung aber ohne Lenkanschlagsbegrenzer.

Boost fürs Selbstbewusstsein

​16 Jahre lang mischte das Multivan Merida Biking Team um Gunn-Rita Dahle-Flesja, Ralph Näf und José Antonio Hermida den Cross-Country-Worldcup auf. Und auch bei BIKE fuhr ihr Arbeitsgerät, das Big.Nine, regelmäßig Testsiege ein. Damals noch mit einer Geometrie, die heute so manchem Gravelbike gut zu Gesicht stehen würde. Der Abschied von der großen Bühne ist bereits neun Jahre her. In der Zwischenzeit sind Bikes ohne Hinterbaufederung fast flächendeckend aus dem Profisport verschwunden. Da verwundert es wenig, dass sich Merida für die Rückkehr des Big.Nine eine besonders emanzipierte Hardtail-Geometrie ausgedacht hat. Mit komprimierter Sitzrohrlänge, stattlichen Reach-Werten und einem Lenkwinkel, der auch an einem abfahrtsorientierten Trailbike nicht überraschen würde, hebt sich das Racehardtail der Taiwanesen deutlich von seinen Artgenossen ab. „Mach Platz im Trophäenschrank“, titelt Merida selbstbewusst.

Das High-End-Hardtail kommt mit dem neuen Funk-Flaggschiff aus dem Hause Shimano. Die XTR Di2 ist leicht und schaltet schnell.Foto: Max FuchsDas High-End-Hardtail kommt mit dem neuen Funk-Flaggschiff aus dem Hause Shimano. Die XTR Di2 ist leicht und schaltet schnell.

​Das Topmodell 10K setzt der Anziehungskraft die Krone auf. Der Rahmen belastet unsere Laborwaage mit gerade mal 1053 Gramm, 9,4 Kilo wiegt das Komplettbike. Am Chassis aus gewichtsoptimierten CF5-Carbonfasern hängt Shimanos neues Funk-Flaggschiff, die XTR-Di2-Gruppe. Auch Felgen, Cockpit-Einteiler und die starre Sattelstütze bestehen aus leichtem Kohlenstoff. Beim Preis für ein solches Maß an Noblesse bleibt kein Auge trocken: 7699 Euro. Das entspricht im Bundesdurchschnitt knapp der Haushaltsmiete für ein ganzes Jahr. Rational betrachtet ist dieses Hardtail Wahnsinn. Emotional offensichtlich auch, denn ich öffne gerade ein zweites Bier.

Race-ready: In den Rahmen des Merida Big.Nine passen zwei mittelgroße Trinkflaschen. Unter dem Oberrohr ist Platz für einen Ersatzschlauch und unter dem Sattel sitzt ein Tool. Das Merida ist ab Werk auf alles vorbereitet.Foto: Max FuchsRace-ready: In den Rahmen des Merida Big.Nine passen zwei mittelgroße Trinkflaschen. Unter dem Oberrohr ist Platz für einen Ersatzschlauch und unter dem Sattel sitzt ein Tool. Das Merida ist ab Werk auf alles vorbereitet.

Ausstattung

  • Gabel: Fox 32 SC Factory
  • Schaltung / Bandbreite: Shimano XTR Di2 / 500 %
  • Bremsen: Shimano XTR 2-Kolben / 180/160 mm
  • Laufräder: Reynolds Blacklabel 309 XC
  • Reifen: Maxxis Rekon Race 3C MaxxTerra Exo TR, 29 x 2,40 WT
  • Sattelstütze / Durchmesser: FSA SL-K / 30,9 mm
High End für stramme Waden: Star der Ausstattungsliste ist die neue funkgesteuerte Antriebsgruppe Shimano XTR Di2. Merida verbaut einen kurzen Schaltwerkskäfig und eine Kassette mit 9-45 Zähnen.Foto: Max FuchsHigh End für stramme Waden: Star der Ausstattungsliste ist die neue funkgesteuerte Antriebsgruppe Shimano XTR Di2. Merida verbaut einen kurzen Schaltwerkskäfig und eine Kassette mit 9-45 Zähnen.

Daten aus dem BIKE-Labor

​Bei BIKE betreiben wir einen beispiellosen Aufwand, um Fahrräder zu testen. Als einziges Fachmagazin weltweit betreiben wir ein eigenes Testlabor. Die ermittelten Daten stützen die Eindrücke aus dem Praxistest. Auch bei den Geometriedaten verlassen wir uns nicht ausschließlich auf die Herstellerangaben, sondern setzen selbst das Lasermessgerät an.

  • Komplettgewicht: 9,40 kg (ohne Pedale)
  • Rahmengewicht: 1053 g (Größe L)
  • Laufradgewicht: 4034 g (inkl. Reifen, Tubeless-Milch und -Ventile, Kassette, Bremsscheiben)
  • Laufradträgheit: 3297 kg x cm² (je geringer der Wert, desto besser die Beschleunigung)
  • Sitzkomfort: 5,51 mm
Keine Experimente bei der Reifenwahl: Die Maxxis Rekon Race in 2,4 Zoll Breite sind bewährte Cross-Country-Gummis.Foto: Max FuchsKeine Experimente bei der Reifenwahl: Die Maxxis Rekon Race in 2,4 Zoll Breite sind bewährte Cross-Country-Gummis.BIKE-Messung der Geometrie des Merida Big.Nine in Rahmengröße L.Foto: BIKE-MagazinBIKE-Messung der Geometrie des Merida Big.Nine in Rahmengröße L.Die Lenker-Vorbau-Einheit von FSA besitzt gute Dimensionen und eine angenehme Steifigkeit.Foto: Max FuchsDie Lenker-Vorbau-Einheit von FSA besitzt gute Dimensionen und eine angenehme Steifigkeit.Bei der Bewertung der Servicefreundlichkeit landet das Carbon-Hardtail von Merida im Mittelfeld.Foto: BIKE-MagazinBei der Bewertung der Servicefreundlichkeit landet das Carbon-Hardtail von Merida im Mittelfeld.BIKE-Messung der Rahmensteifigkeit am Merida Big.Nine 10K.Foto: BIKE-MagazinBIKE-Messung der Rahmensteifigkeit am Merida Big.Nine 10K.Die Race-Versionen des Merida Big.Nine Hardtails setzen auf eine starre Sattelstütze. Der Auszug ist lang.Foto: Max FuchsDie Race-Versionen des Merida Big.Nine Hardtails setzen auf eine starre Sattelstütze. Der Auszug ist lang.

So fährt sich das Merida Big.Nine 10K in der Praxis

Noch vor der ersten Testfahrt überrascht das Big.Nine. Auf dem Unterrohr können zwei mittelgroße Trinkflaschen in Reihe montiert werden. Unter dem Oberrohr lässt sich ein Pannenset transportieren und am Sattel mit Carbon-Rails sitzt ein kleines Multitool. So viel Mehrwert gönnen nur die wenigsten Hersteller ihren Race-Feilen. Da das Sitzrohr extrem kurz ausfällt, braucht es viel Sattelauszug. Das ist tatsächlich Kalkül, denn durch den langen Hebel soll die starre Stütze mehr flexen. Unsere Labormessungen bescheinigen dem Konzept lediglich einen mittelprächtigen Sitzkomfort.

Pannenset: Unter dem Sattel des Merida Big.Nine Hardtails sitzt ein kleines Multitool.Foto: Max FuchsPannenset: Unter dem Sattel des Merida Big.Nine Hardtails sitzt ein kleines Multitool.

​Die Sattelstütze von FSA ist auffallend lang, sodass auch Fahrer mit langen Beinen ihre Sitzhöhe erreichen. „Agilometer“ nennt Merida sein Größenkonzept, das es Bikern ermöglicht, die Rahmengröße anhand der bevorzugten Länge zu wählen. Klassische L-Fahrer werden durch das langgezogene Oberrohr weit übers Rad gespannt. Die Sitzposition ist standesgemäß sehr sportlich. Mit viel Druck auf der Front und auf den Pedalen geht das Big.Nine zügig voran. Das geringe Gewicht, der effizient-steile Sitzwinkel und die Traktion der breiten Reifen beflügeln an steilen Rampen.

Die Federgabel lässt sich vom Lenker aus sperren damit keine Energie im Wiegetritt verloren geht.Foto: Max FuchsDie Federgabel lässt sich vom Lenker aus sperren damit keine Energie im Wiegetritt verloren geht.

Schnell und knackig wechselt die elektronische XTR ihre zwölf Gänge. Merida entscheidet sich für die neue Kassetten-Option mit neun bis 45 Zähnen. Dass der Berggang trotz kleinem 30er Kettenblatt etwas straffer ausfällt als auf einem gewohnten 51er-Ritzel, ist an Bord des leichten Hardtails zu verschmerzen. Die Naben der Reynolds-Laufräder sind sündhaft teure Teile von Industry Nine. Ihr Freilauf schnurrt nicht nur wie ein Kater auf Speed, sondern sorgt mit Sperrklinken, die alle 0,41 Grad greifen, auch für einen maximal direkten Antritt. Mit der starken Federspannung des kurzen XTR-Käfigs mag das nicht so recht harmonieren. Bei Schlägen schnalzt der Antrieb mit Wucht in die feine Verzahnung und sorgt für eine ausgeprägte Geräuschkulisse.

Die Industry-Nine-Hinterradnabe ist so fein aufgebaut, dass der Freilauf bei jeder kleinen Zuckung des Bikes in die Verzahnung springt.Foto: Max FuchsDie Industry-Nine-Hinterradnabe ist so fein aufgebaut, dass der Freilauf bei jeder kleinen Zuckung des Bikes in die Verzahnung springt.

Gib mir mehr!

​Beim Handling landet Merida einen Volltreffer. Der lange Reach und der flache Lenkwinkel verschaffen Laufruhe in Vollgas-Abfahrten. Gleichzeitig bleiben Hinter- und Vorbau kompakt, sodass sich das Big.Nine noch leicht aufs Hinterrad ziehen und sehr direkt steuern lässt – spaßig! Leider steht die starre Stütze radikalen Fahrmanövern oft im Weg. Für technisches Terrain hätten wir uns eine Dropper-Post gewünscht.

Beeindruckend, was die Fox 32 SC Factory aus ihren 100 Millimetern Hub herausholt. Wir haben einen um 1,5 Grad flacheren Lenkwinkel als vom Hersteller angegeben gemessen. In der Praxis funktioniert das super.Foto: Max FuchsBeeindruckend, was die Fox 32 SC Factory aus ihren 100 Millimetern Hub herausholt. Wir haben einen um 1,5 Grad flacheren Lenkwinkel als vom Hersteller angegeben gemessen. In der Praxis funktioniert das super.

​Über jeden Zweifel erhaben sind die neuen XTR-Bremsen mit zwei Kolben und 180er Scheibe vorne. Mehr Power und Dosierbarkeit können sich Racer kaum wünschen. Die formidable Fox 32 SC Factory nimmt Unebenheiten sensibel in sich auf und holt viel Performance aus ihrem kurzen Hub. Insgesamt giert das Bike im Auf und Ab eines Cross-Country-Kurses nach hohem Tempo. Geometrie und Ausstattung bieten massig Reserven und animieren stets zur Wahl der schnellsten Linie.

Die neuen XTR-Race-Bremshebel liegen perfekt in der Hand und lassen sich werkzeuglos verstellen.Foto: Max FuchsDie neuen XTR-Race-Bremshebel liegen perfekt in der Hand und lassen sich werkzeuglos verstellen.

Fazit

​Krass! Mit diesem Bike muss man einfach schnell fahren. Merida beweist eindrucksvoll, dass Hardtails noch lange nicht zum alten Eisen gehören. Dank der progressiven Geometrie verträgt das Big.Nine im Up- und Downhill viel Speed, ohne den Piloten sofort auszubremsen. Lang plus flach plus leicht gleich geil: Im Falle des 10K geht diese Rechnung voll auf. Ein Kontostand wie der von Bruce Wayne kann aber nicht schaden. - Jan Timmermann, BIKE-Redakteur

Pro

  • ​extrem hohe Reserven für ein Hardtail
  • vorbildliches Handling
  • superbe Ausstattung

Contra

  • t​euer
  • keine Teleskopstütze
  • wenig Sitzkomfort
BIKE-Redakteur Jan TimmermannFoto: Georg GrieshaberBIKE-Redakteur Jan Timmermann

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