Mit dem E-Mythique LT stellt Vitus ein brandneues E-Enduro auf die Reifen. Mullet-Laufräder, moderne Geometrie und üppiger Federweg - das sind klassische Gravity-Maße. Nachdem wir kürzlich schon das ältere E-Sommet im Test hatten (hier geht´s zum Artikel!), waren wir besonders gespannt, wie sich der Neuling schlägt. Denn beim E-Sommet störte uns eigentlich nur der angestaubte Antrieb mit kleinem Akku und Shimanos E7000-Motor. Der Neuling hat diesbezüglich eine Überraschung parat: den wenig verbreiteten Bafang M510. Der will mit einem Drehmoment von 95 Newtonmetern überzeugen. Wir haben Bike und Motor ausprobiert.
In UK sind die Bikes von Vitus eine große Nummer. Der ehemals französische Hersteller ist die Eigenmarke des Online-Riesen Wiggle / CRC. Die Bikes werden online direkt vom Hersteller verkauft. In Deutschland sind die Räder bisher weniger bekannt. Doch das könnte sich bald ändern. Denn nach einer Fusion sind die Vitus-Bikes nun auch beim deutschen Onliner fahrrad.de exklusiv verfügbar.
Der Name des chinesischen Antriebsherstellers Bafang geistert schon lange durch die Branche. Und auch bei uns in der Redaktion waren die China-Motoren regelmäßig Gesprächsthema. Denn die technischen Daten klingen vielversprechend. Das Problem: Es gab schlicht kaum relevante E-Mountainbikes, die einen Bafang-Antrieb verbaut hatten. Das E-Mythique könnte mit seinem fairen Preis-Leistungsverhältnis aber durchaus Relevanz bekommen - und damit auch dem M510 von Bafang mehr Aufmerksamkeit verschaffen. Mit 95 Newtonmetern ist der Motor nominell sogar stärker als die Klassiker von Bosch, Shimano, Brose und Yamaha. Im E-Mythique LT sorgt ein Bafang-Akku mit 630 Wattstunden für Energie. Er kann simpel und schnell nach vorne aus dem Unterrohr geklappt werden und saß in unserem Test-Bike absolut klapperfrei. Details zu Display und Bedienhebel gibt´s in der Bildergalerie:
Optisch integriert sich der M510 recht unauffällig ins E-Mythique LT. Bauform und Abmessungen sind vergleichbar mit einem Bosch Performance Line CX, ebenso das Gewicht von 2,94 Kilo. Der erste Eindruck der Bedienelemente ist gut. Die Logik ähnelt dem Steps-System von Shimano. Direkt am Griff sitzt eine schlanke Remote mit drei Tasten, dazu gibt´s ein Farbdisplay, das gut geschützt hinter dem Lenker sitzt. Gut ablesbar und übersichtlich stellt es die nötigsten Informationen bereit. Über die Remote kann durch verschiedene Werte in der der Anzeige gescrollt werden.
Der erste Fahreindruck vom Bafang-Aggregat ist vor allem eines: Richtig kraftvoll. Schon bei geringem Fahrer-Input schiebt der M510 sehr stark. In Sachen Power muss er sich vor der Konkurrenz auf keinen Fall verstecken. Einen ausführlichen Test des Motors gibt´s in Kürze auf unseren Kanälen.
Bei der Geometrie trifft das E-Mythique moderne Enduro-Maße. Ein steiler Sitzwinkel, ein ordentlicher Reach und ein 63,5 Grad flacher Lenkwinkel. Der Radstand fällt mit 1275 mm in Größe L lang, aber nicht extrem aus. Gleiches gilt für den Reach von 476 bzw. 483 Millimetern. Die Geometrie ist nicht bei allen Modellen identisch, denn in der Einstiegsvariante VR steckt eine Gabel mit weniger Federweg (160 statt 170 mm). Das verändert die Geometrie etwas.
Nimmt man im Sattel des E-Mythique LT Platz, fühlt sich das so gar nicht nach low budget an. Vielmehr erinnert die Sitzposition an ein super modernes Enduro. Der steile Sitzwinkel platziert den Piloten sehr zentral ins Bike, die Haltung ist eher aufrecht, denn gestreckt. Angenehme Kontaktpunkte, gute Kontrolle - da passt alles. In der Ebene lastet viel Druck auf den Händen, für gemächliche See-Umrundungen im Flachen wurde das Bike nicht gebaut. Das macht auch das Lenkverhalten klar. Wer eher passiv auf dem Bike unterwegs ist, könnte die abkippende Lenkung bemängeln. Das macht sich vor allem bei langsamer Fahrt bemerkbar.
Nimmt man den ersten Anstieg in Angriff, drückt der Bafang-Motor dem Bike seinen Stempel auf. Besonders in den beiden höchsten Unterstützungsstufen schiebt er extrem kraftvoll und stoisch den Uphill hinauf. Das Chassis bestätigt seinen guten ersten Eindruck: Der Hinterbau federt souverän, sorgt für viel Traktion und gibt dem Fahrer dennoch ausreichend Support und Gegenhalt. Das ist absolut gelungen.
Auch die Geometrie tut der guten Bergauf-Performance keinen Abbruch. Zwar trekkert das Bike Steilstücke nicht völlig unbeeindruckt hinauf. Wenn man etwas aktiv zu Werke geht, lässt sich das Vitus aber sehr gut kontrollieren. Ein echter Kletterexperte ist das Bike damit zwar nicht - fiese Uphill-Challenges muss man aber keineswegs scheuen. Die Reichweite fällt mit dem 630er-Bafang-Akku ordentlich aus. Im Marktvergleich ist das aber inzwischen eher wenig. Dafür bleibt das Gewicht des Bikes im Rahmen. Knapp 25 Kilo lösen zwar keine Begeisterung aus. Doch für ein ausgewachsenes E-Enduro ist das ordentlich. Insbesondere in diesem Preisbereich.
Zeigt das Vorderrad Richtung Tal, steht die eigentliche Paradedisziplin des Bikes an. Und hier hat uns das E-Mythique LT ebenfalls nicht enttäuscht. Die Geometrie verlangt wenig Eingewöhnungszeit und gibt dem Fahrer viel Vertrauen. Besonders gelungen fanden wir den Kompromiss aus Nehmerqualitäten und angenehmer Handlichkeit. Das E-Mythique ist kein Enduro, das nur stoisch über Steinfelder bulldozern kann. Es bleibt verhältnismäßig wendig und agil. Vieles hat es dabei dem guten Hinterbau zu verdanken. Der arbeitet schluckfreudig, aber definiert. So kann man sich auch gut zu kleinen Spielereien in die Luft abdrücken.
Bei dieser gelungenen Gesamtperformance fällt die Rockshox Yari etwas ab. Für ein eher günstiges Bike geht die Performance zwar in Ordnung, mit dem sehr gelungenen Hinterbau und den Nehmerqualitäten des Vitus kann die Yari aber nicht ganz mithalten. Mit der Domian im letzten Vitus-Testbike haben wir da bessere Erfahrungen gemacht. Doch das ist Meckern auf hohem Niveau. Apropos: Die Geräuschkulisse bergab ist für E-MTB-Verhältnisse nicht übermäßig laut. Allerdings auch nicht ausgesprochen leise. Denn auch der M510 von Bafang reiht sich in die Riege der klappernden Motoren neben Bosch und Shimano ein. In unserem Testbike war das Geräusch aber weniger aufdringlich, als in den meisten Bikes mit den genannten Motoren.
Unser erster Eindruck vom neuen E-Mythique LT ist absolut positiv. Vitus schafft es nicht nur, ordentliche Komponenten zu einem günstigen Gesamtpaket zu schnüren. Viel wichtiger: Das Chassis mit seiner Geometrie und Kinematik ist ausgewogen und ready für echte Enduro-Ausflüge. Der Bafang M510 ist eine willkommene Abwechslung im Einheitsbrei der Motoren. Mit ihm werden insbesondere Fans starker Antriebe mit einer plakativen Kraftentfaltung glücklich.
Drei Ausstattungsvarianten soll es vom E-Mythique LT geben. Pünktlich zum Launch steht das günstigste Modell E-Mythique LT VR für 3799 Euro hinter der virtuellen Ladentheke von fahrrad.de. Unser Testbike, das E-Mythique LT VRX für 5099 Euro soll ab Anfang September verfügbar sein.
Das Einstiegsmodell ist mit 3799 Euro eine echte Ansage. Ein potentes E-Enduro findet man in diesem Preisbereich unseres Wissens kein zweites Mal am Markt. Deutliche Abstriche muss man selbstredend bei der Ausstattung machen. Die Schaltung stammt vom Underdog Microshift und hat nur zehn Gänge. Die Bremsen haben zwar vier Kolben und robuste 200er-Scheiben - Tektros HD-M535 sind dennoch im untersten Preissegment angesiedelt. Gut: Trotz Preisdruck ist eine Telestütze verbaut. Und auch das Antriebssystem mit dem starken Bafang-Motor M510 und 630er-Akku ist auf Top-Niveau. Auf Enduro-Trails besonders relevant ist das Fahrwerk. An der Front werkelt eine Zeron-Gabel von SR Suntour mit 160 mm Federweg, also einem Zentimeter weniger, als bei den anderen Varianten. Der Rockshox Deluxe Select-Dämpfer verzichtet auf einen Ausgleichsbehälter und umfangreiche Einstellmöglichkeiten.
Sram Eagle-Schaltung mit 12 Gängen, TRP-Bremsen: Beim VRS-Modell des E-Mythique ist die Ausstattung schon deutlich wertiger. Auch die Suntour-Gabel Durolux 36 ist ein klares Update, zumal die Forke 170 statt 160 Millimeter bereit hält. Die Reifen sind übrigens an allen drei Modellen einheitlich: Attack HPL von Vee Tire.
Kaum mehr Grund zu Meckern gibt´s beim Topmodell VRX. Allerdings landet diese Variante mit 5099 Euro schon in einem Preisbereich, in dem es sich mit einigen anderen vielversprechenden Konkurrenten messen muss. Srams DB8-Bremsen und die GX/NX-Schaltung sind auch an deutlich teureren E-MTBs noch häufig zu finden. Auch das Fahrwerk fällt an ähnlich teuren Bikes teils deutlich minderwertiger aus. Die Kombi aus Rockshox Yari und Superdeluxe Select ist grundsolide.
¹Die Reichhöhe wurde bei standardisierten Messfahrten an einem Asphaltanstieg mit 12,2 Prozent Steigung ermittelt. Höchste Unterstützungsstufe, 150 Watt Tretleistung des Fahrers, Fahrergewicht inkl. Ausrüstung 89 kg. In Klammern die Höhenmeter im deutlich gedrosselten Notlauf-Modus. Die Durchschnittsgeschwindigkeit bezieht sich auf die Fahrt bei voller Unterstützung.
²Ermittelt auf den Prüfständen im EMTB-Testlabor, Gewicht ohne Pedale. Akku-Gewicht ggf. inkl. verschraubtem Cover.
³Herstellerangabe
⁴Stufentest, gemessen mit 36 Zentimeter erhöhtem Hinterrad
⁵Das Urteil gibt den subjektiven Eindruck der Tester und die Ergebnisse der Reichhöhenmessung und der Labortests wieder. Das EMTB-Urteil ist preisunabhängig. EMTB-Urteile: super (ab 9,0), sehr gut (ab 8,0), gut (ab 7,0), befriedigend (ab 6,0), mit Schwächen (ab 5,0), darunter ungenügend.