Adrian Kaether
· 08.09.2024
Auf dem Papier liegen das Liteville 301 CE und das neue R.EXC Pro von Rotwild erstaunlich nahe beieinander. 170/160 Millimeter Hub, XT-Ausstattung, Top-Fahrwerke, integrierte Eightpins-Sattelstützen mit viel Verstellweg und wertige Alu-Laufräder im Mullet Set-up findet man an beiden Modellen. Genauso Shimanos leichten aber kräftigen EP801-Motor. Das Liteville sammelt trotz des niedrigeren Preises sogar noch ein paar Punkte mehr für seine wertigen Syntace-Anbauteile, das Rotwild geht dafür mit leichtem Vollcarbon-Rahmen und größerem Akku uns Rennen.
Beide Bikes setzen auf den neuen Shimano EP801 Motor (hier im ausführlichen Test). Die besondere Stärke des japanischen Antriebs: Sein Leistungsgewicht! Der Motor wiegt nur 2,65 Kilogramm, liefert aber Leistung und Drehmoment fast gleichauf mit dem Klassenprimus Bosch CX. Gerade, wenn der Fahrer nur wenig tritt, stellt der Shimano in Sachen Power sogar alle anderen Motoren seiner Klasse in den Schatten. Die volle Motorleistung kann also auch von wenig trainierten Fahrern in jeder Situation abgerufen werden. Dafür fährt sich der Motor nicht ganz so spritzig, da er bei höherem Tret-Input nicht mehr an Leistung zulegt. Diese Charakteristik kann aber auch per App angepasst werden.
Der wichtigste Unterschied zwischen den Kontrahenten besteht im Akku. Liteville setzt auf eine Batterie von BMZ mit 725 Wattstunden, die klassisch nach vorne aus dem Unterrohr geklappt wird. Rotwild gelingt es dagegen sogar 820 Wattstunden in die kompakte Batterie zu quetschen. Der Akku bleibt dank Carbon-Außenhülle dabei sogar leichter als der des Liteville. Die höhere Kapazität sichert dem Rotwild einen klaren Sieg in Sachen Reichweite. In unserem Praxistest erkubelte das Bike aus Dieburg fast 200 Höhenmeter mehr, bevor der Akku in den gedrosselten Notlauf-Modus wechselte. Praktisch: Der Rotwild-Akku kann ganz einfach per Knopfdruck zur Seite entnommen werden.
Im Uphill glänzen beide Boliden mit viel Traktion. Mit recht kurzen Kettenstreben verlangen beide im steilen Gelände aber einen aktiven Piloten, der bewusst Druck auf das Vorderrad bringt. Das Rotwild ist dabei etwas besser zu kontrollieren als das Liteville und kann so die erste Wertung knapp für sich entscheiden.
Noch deutlicher hat das Bike der Dieburger auf flacheren Trails die Nase vorne. Das Liteville schlägt sich zwar ebenfalls gut und glänzt für ein vermeintlich brachiales Enduro mit erstaunlich agilem Fahrgefühl. Das Rotwild wieselt aber besser um enge Ecken als manches All Mountain – trotz spürbar viel Federweg und langer sowie aggressiver Geometrie. Das liegt auch am geringen Gewicht des R.EXC: 22,9 Kilo mit 820er-Akku, der obendrein ruckzuck entnommen werden kann, sind ein starker Wert. Die Batterie bringt im Test auch eine deutlich bessere Reichweite als die 725er im Liteville.
Schlägt die Stunde des 301 CE also auf ruppigen Highspeed-Downhills? Tatsächlich vermittelt das Bike aus Tacherting hier sehr viel Sicherheit und atmet mit dem WP-Fahrwerk selbst üble Wurzelfelder bei Vollgas lässig weg. Das haben wir so erst selten erlebt. Selbst die Top-Gabel Fox 38 GripX2 am Rotwild reicht Schläge spürbarer an den Fahrer durch. Der grandios schluckfreudige Hinterbau des Rotwild und sein starkes Kurvenhandling sind aber phänomenal. Den gediegeneren Tourenkomfort hat wiederum Liteville auf seiner Seite, auch weil Sitz- und Fahrposition durch die hohe Front betont komfortabel ausfallen. Zwei richtig starke Kontrahenten also, auch wenn das 301 CE gegen das schluckfreudige und doch super agile Rotwild am Ende den Kürzeren zieht. Die gute Ausstattung, der Preis und die Federelemente sprechen dagegen für das Liteville.
Dem Rotwild R.EXC gelingt ein beeindruckender Spagat. Mit schluckfreudigem Fahrwerk und aggressiver Geometrie ist es nah dran am Ideal für anspruchsvolle Downhills und macht obendrein auch auf flacheren Trails richtig Laune. Dabei ist das Bike leicht und bietet trotzdem massig Reichweite sowie einen Wechselakku. Das Jubiläumsmodell des Liteville 301 CE glänzt besonders mit seinem starken Fahrwerk. Auch Tourenqualität und Fahrsicherheit des 301 CE überzeugen. - Adrian Kaether, Redakteur für BIKE und EMTB
¹ Die Reichhöhe wurde bei standardisierten Messfahrten an einem Asphaltanstieg mit 12,2 Prozent Steigung ermittelt. Höchste Unterstützungsstufe, 150 Watt Tretleistung des Fahrers, Fahrergewicht inkl. Ausrüstung 89 kg. In Klammern die Höhenmeter im deutlich gedrosselten Notlauf-Modus. Die Durchschnittsgeschwindigkeit bezieht sich auf die Fahrt bei voller Unterstützung.