Florentin Vesenbeckh
· 06.11.2023
Den deutschen Versender Propain kennt man aus Freeride-Videos oder dem Downhill-Worldcup. Der Schwerpunkt der jungen Brand liegt klar auf Gravity. Und der neueste E-Bike-Wurf vom Bodensee passt perfekt in dieses Bild. Das neue Propain Ekano AL bietet 170 mm Hub am Heck und an der Front kommen 180 mm (wie an unserem Testbike) oder auf Wunsch sogar 190 Millimeter dazu. Bei der Laufradgröße setzt Propain auf den Laufradmix aus 29 Zoll vorne und 27,5 hinten.
Für maximale Trail-Stärke geht Propain beim Reichweiten-Poker ganz bewusst nicht “All in”. Der vergleichsweise kleine Akku mit 626 Wh soll Gewicht sparen und dem Ekano damit ein ausgewogenes Handling verpassen. Motorseitig bleibt die Marke Shimano treu. EP801 heißt der Antrieb. Doch das Ekano gibt es noch in einer zweiten Variante. Das Ekano 2 CF hat ein Carbon-Chassis und ist mit Srams neuem Eagle Powertrain, also Brose-Power und Automatik-Schaltung, bestückt. Dieses Modell fällt allerdings teurer aus. Das Alu-Ekano, um das es in diesem Test geht, gibt´s im Online-Konfigurator ab 5000 Euro.
Konstruktionstechnisches Highlight des neuen Ekano 2 Al ist die Hinterbaukinematik mit virtuellem Drehpunkt. Das Pro10-System ist das Markenzeichen der Propain-Flotte. Beim Ur-Ekano war es den Entwicklern aus Platzgründen allerdings noch nicht gelungen, diese Anlenkung aufs E-Bike zu übertragen. Motor und Akku beschränken den Bauraum, weshalb die Federungslogik der unmotorisierten Propain-Bikes bisher nicht am E-MTB zu sehen war.
Dank platzsparendem Trunnion-Mount-Dämpfer ist das Kunststück jetzt gelungen. Propain verspricht durch seine Kinematik mit tief im Rahmen stehendem Dämpfer einen tieferen Schwerpunkt und bessere Federungs-Performance. Im Ekano wurden die Federungskennlinien auf E-Bike-Bedürfnisse angepasst. Das Heck soll sowohl mit Luft-, als auch Stahlfederdämpfern harmonieren. Beide Varianten finden sich daher in der Modellpalette bzw. im Online-Konfigurator.
Das Ur-Ekano wurde vom Shimano E8000 angetrieben. Und auch das neue Alu-Ekano setzt auf Power aus Japan. Allerdings in der neuesten Ausbaustufe EP801. Auch wenn sich hier äußerlich im Vergleich zum EP8 nichts getan hat, ist der Motor etwas stärker geworden, wie unser ausführlicher Test zeigt. Display und Remote stammen aus der neuen 600er-Serie von Shimano. Optional kann das Display bei dieser Kombi auch ganz weggelassen werden. Dann zeigen die LEDs am Drücker die gewählte U-Stufe und rudimentär auch den Akkustand an.
Den Strom liefert eine Batterie von Darfon. Mit 625 Wh ist die Kapazität im Vergleich zum Vorgänger mit 500 Wh etwas gestiegen. Ein Reichweitenmonster ist das Bike dadurch aber noch lange nicht. Top: Die Batterie kann schnell und werkzeuglos entnommen werden. Das macht ausgefüllte Tage im Bike- oder Trailpark möglich, denn ein Zweit-Akku ist auf dem Parkplatz in Kürze eingelegt. Und mit 1250 Wattstunden sind dann jede Menge Trail-Runden drin.
Wild? Ja. Extrem? Nein. Das neue Alu-Chassis des Ekano verzichtet explizit auf absurde Ausmaße. Der Radstand von 1275 mm in Größe L ist lang, für eine ausgewiesene Abfahrtsmaschine aber keineswegs extrem. Das gleiche gilt für Reach und Lenkwinkel des Bikes. Auffällig sind der hohe Stack und der steile Sitzwinkel. Diese Kombination verleiht dem Bike eine besonders kompakte, komfortable Sitzposition. Die gemäßigten Kettenstreben von 445 mm bauen ebenfalls auf eine ausgewogene Mischung aus Fahrstabilität und Wendigkeit.
Denn das war das Hauptziel der Entwickler: Das Ekano AL soll kein Langholzlaster sein, der stur Bestzeiten auf Downhill-Tracks einsammelt. Viel mehr soll es handlich und spaßig über Trails jeglicher Couleur gleiten. Das Sitzrohr fällt mit 445 mm in Größe L für moderne Maßstäbe eher lang aus. Wer einen langen Reach bevorzugt, und daher lieber zu größeren Größe greift, könnte hier Probleme mit zu wenig Beinfreiheit bekommen.
Übrigens: Das optisch sehr ähnliche Ekano CF ist mit etwas längeren Kettenstreben auf mehr Fahrstabilität und Geradeauslauf ausgelegt. Das etwas racigere Bike ist damit das CF, das AL ist klar als Freerider ausgelegt.
In diesem Punkt hat Propain ein Ass im Ärmel. Denn die Ausstattung kann in vielen Details nach persönlichen Vorlieben im Online-Konfigurator angepasst werden. Maxxis oder Schwalbe, Rockshox oder Fox? Das ist hier ein Wunschkonzert! Unser Testbike basiert auf dem vorkonfigurierten Modell “Shred²” und lässt funktional keine Wünsche offen. Mit an Bord ist ein umfangreiches Sram-Paket: Ein Rockshox Fahrwerk mit ZEB-Ultimate-Gabel und Vivid-Select-Dämpfer, Code RSC-Bremsen mit dicken Scheiben und eine GX AXS Transmission-Funkschaltung. Ebenfalls kabellos läuft die Bedienung der Reverb-AXS-Sattelstütze. Dazu kommen leichte und zugleich robuste Newmen-Alu-Laufräder mit ebenso soliden wie griffigen Maxxis-Reifen.
Aufsitzen, Bremsen auf und Gas geben! Das neue Ekano AL gibt dem Fahrer vom Start weg ein gutes und sicheres Gefühl. Egal ob ruppiges Steinfeld, steiler Absatz oder großer Sprung: Das neuen Propain ist eines dieser Bikes, mit dem man sich für nahezu jede Herausforderung im Abfahrtsbereich gewappnet fühlt. Allen voran das sahnige Fahrwerk sammelt hier richtig Punkte. Mit seinem sensiblen Ansprechverhalten generiert es massig Traktion.
Und auch große Einschläge schluckt die Kombi aus ZEB-Gabel und Pro10-Hinterbau zu jeder Zeit souverän. Doch dazu braucht es das passende Setup. Propain empfiehlt eine eher straffe Abstimmung des Dämpfers mit 26 bis 27 Prozent Sag (über 300 PSI im Dämpfer bei knapp 90 Kilogramm Fahrergewicht!). Und diese Empfehlung würden wir nach unserem ausführlichen Test unterstreichen. Das Heck arbeitet sehr linear und bleibt selbst bei strammem Setup eher plüschig. Der Federweg wird bereitwillig freigesetzt, so fühlt sich das Bike nach richtig viel Hub an. Mit klassischen 30 Prozent Sag arbeitete das Heck für unseren Geschmack zu undefiniert.
Die Position auf dem Bike erweckt Vertrauen: In echter Freeride-Manier steht man tief integriert hinter der hohen Front, das bringt vor allem in steilem Terrain viel Souveränität. Das Schöne am Propain Ekano 2 AL: Selbst wenn der Trail mal zahm dahin gleitet, fühlt sich das Hubmonster nicht gelangweilt an. Spieleinlagen mit dem Gelände, an kleinen Kanten abziehen - all das macht das Bike für ein E-MTB dieser Klasse erstaunlich fluffig mit. Der Freerider kann nicht nur punkten, wenn man mit dem Messer zwischen Zähnen auf Sekundenjagd geht. Im Gegenteil: Das Ekano belohnt eine verspielte, lässige Fahrweise. Das kommt auch weniger versierten Fahrern entgegen, die im Ekano einen richtig gutmütigen und komfortablen Abfahrer finden.
Besonders überrascht hat uns übrigens die Geräuschkulisse auf dem Trail. Shimanos EP8- und EP801-Motoren klappern in der Regel bergab markant. Zwar war ein ganz leichtes Klackern auch beim Ekano wahrnehmbar - allerdings mussten wir schon explizit darauf achten, um es wahrzunehmen. In Summe blieb der Eindruck eines richtig leisen Abfahrers, wie man ihn unter E-MTBs nur ganz selten findet. So leise war ein Bike mit EP8 oder EP801 in unserem Testfuhrpark definitiv noch nie. Ob unser Testbike hier ein glücklicher Einzelfall ist, oder Propain den Steps-Antrieb tatsächlich weitestgehend ruhig stellen konnte, können wir leider nicht mit Sicherheit sagen.
Mit seiner hohen Front und den kurzen Kettenstreben ist das Ekano kein ausgewiesener Kletterspezialist. An richtig steilen Rampen verliert man schon mal den Druck auf der Front. Doch durch die zentrale Sitzposition sind diese Situationen mit einer aktiven Fahrweise meist gut zu handeln. Positiv stechen in schwierigen Uphills die gute Kontrolle und das traktionsstarke Heck heraus. In Stein- und Wurzelpassagen besteht jedoch erhöhte Gefahr für Kurbelaufsetzer, denn das Tretlager sitzt sehr tief.
Das geborene Tourenbike ist das neue Ekano freilich nicht. Doch auf langen Ausfahrten glänzt das Bike mit seinem super komfortablen Fahrwerk. Auch die kompakte Sitzposition ist grundsätzlich angenehm. Im Flachen lastet allerdings recht viel Druck auf den Handgelenken - im stetigen Auf und Ab fühlt sich das Bike definitiv wohler. Die Reichweite ist mit dem 626er-Akku im Marktvergleich nicht gerade üppig. Dafür lässt sich die Batterie sehr schnell und leicht wechseln. Das ist ideal für eine Zwei-Akku-Startegie, zum Beispiel mit einem Ersatz-Akku, der am Parkplatz des Bikeparks wartet. Die kompakte Batterie passt mit 3,5 Kilo auch noch in den Rucksack.
Der Begriff Freeride scheint wie gemacht für das Ekano 2 AL. Egal welche Abfahrtshürde ansteht: Der Alu-Bolide gibt dem Fahrer richtig viel Sicherheit und Vertrauen. Fahrspaß steht dabei vor purem Speedrausch. Propain hat ein echtes Party-Boot mit integriertem Shuttle geschaffen - da kann (oder muss) man über den eher kleinen Akku hinwegsehen! - Florentin Vesenbeckh, EMTB Magazin