Laurin Lehner
· 26.09.2025
Mit dem neuen Gambler bringt Scott ein Downhill-Bike an den Start, das klar auf Rennen ausgerichtet ist. Herzstück ist ein neu entwickeltes 6-Bar-Fahrwerk mit 210 mm Federweg im Heck und einer zentralen, tiefen Dämpferposition, die im Rahmen verhüllt ist. Ziel: ein ausgewogenes Fahrverhalten und viele Möglichkeiten, das Bike an Strecke und Fahrstil anzupassen. Viele Möglichkeiten bedeutet: eine zweifache Kettenstrebenlängen-Verstellung, ein Flipchip, der die Tretlagerhöhe und Hinterbau-Progression beeinflusst, sowie eine dreifache Reach-Verstellung im Steuersatz.
Drei Jahre lang entwickelten die Scott-Ingenieure gemeinsam mit dem Worldcup-Team. Für die Entwicklung kaufte Scott etliche Bikes von Mitbewerbern, um sich inspirieren zu lassen. Witzig, dass sie dennoch keinen High-Pivot-Hinterbau konstruiert haben. Eine bewusste Entscheidung, wie Produktmanager Clement Martin sagt: „High-Pivot hat Vorteile, etwa auf groben, geraden Passagen. In steilem Gelände und beim Bremsen bringt es jedoch Nachteile.“
Besonders Benoît Coulanges, der erst Anfang des Jahres zum Scott Racing Team gestoßen ist, hat beim Feintuning viel Input gegeben. Dass Benoît, der noch im Vorjahr als sicherer Podiumskandidat galt, mit seinem neuen Arbeitsgerät bisher nichts gerissen hat, spielt den Scott-Marketing-Mannen allerdings wohl weniger in die Karten.
Das Bike wird es in zwei Ausstattungsvarianten geben. Ausgeliefert wird es im Mullet-Aufbau: „Weil ein 29er-Hinterrad viele Fahrer in der Beweglichkeit einschränkt“, sagt Produktmanager Clement Martin. Wer dennoch ein großes Hinterrad möchte, kann es aber problemlos nachrüsten. Herzstück ist der über dem Tretlager versteckte Dämpfer, der durch zwei Kunststoffabdeckungen erreichbar und einstellbar ist. Der Hinterbau funktioniert sowohl mit Stahlfederdämpfer (wie in unserem Testbike) als auch mit Luftdämpfer.
Da sich der SAG in dieser Bauweise nicht direkt ablesen lässt, integrierten die „Scotties“ einen SAG-Indikator am Kurbelansatz. Während der Vorgänger mit 15 Kilo ein wahres Gewichtswunder war, bringt das Topmodell mit Stahlfederdämpfer 16,85 Kilo (Größe L) ohne Pedale auf die Waage (Danke an Gregor, der mir seine mobile Waage geliehen hat). Doch ein leichtes Downhill-Bike gilt schon lange nicht mehr automatisch als gutes Downhill-Bike. Worldcupper Benoît Coulanges verriet uns, dass er sogar 500 Gramm Zusatzgewicht unter dem Tretlager deponiert – für ein Plus an Fahrstabilität.
Scott nennt die neue Rahmenkonstruktion „Integrated Suspension Technology“. Dämpfer und Umlenkung sitzen näher am Tretlager, um das Gewicht zentral zu bündeln. Das soll für besseres Handling, mehr Traktion und höhere Stabilität bei hohem Tempo sorgen. Die Optik ist zunächst gewöhnungsbedürftig, da die wuchtige Rahmenform etwas an ein E-Bike erinnert. Nicht, dass E-Bikes unsexy wären – doch wenn man schon Biobike fährt, dann will man nicht unbedingt eine E-Bike-Optik, oder? Andererseits ist der versteckte Dämpfer ein echtes Design-Kunststück und sticht heraus.
Hier können sich Tech-Freunde austoben.
Über einen Flip-Chip an der vorderen Dämpferaufnahme lässt sich die Tretlagerhöhe um 16 mm verstellen – gleichzeitig ändert sich damit auch die Progression des Hinterbaus:
Die Kettenstreben sind per Flip-Chip und wechselbaren Ausfallenden zwischen 445 und 460 mm variierbar. Kürzer heißt wendiger; Länger bringt mehr Laufruhe.
Reach-Verstellung am Steuersatz: Zusätzlich kann der Reach über mitgelieferte Steuersatz-Cups um Plus und Minus 6 Millimeter angepasst werden. Zudem gibt es die neutrale Stellung. Macht: 3 Mögliche Positionen. Produkt-Manager Clement Martin sagt: “Viele Fahrer und Fahrerinnen liegen von der Körpergröße genau zwischen den Rahmengrößen. Mit diesem Feature muss man keine Angst mehr haben, zur falschen Rahmengröße gegriffen zu haben.”
Der Rahmen ist mit gängigen Luft- und Stahlfederdämpfern kompatibel. Große Öffnungen im Unterrohr und Sitzrohr erleichtern den Zugang zu den Einstellmöglichkeiten und zur Hardware. Beide sind mit robusten Abdeckungen vor Dreck geschützt. Top: In der Abdeckung versteckt sich ein Mini-Tool.
Das Bike ist auf ein Mixed-Wheel-Setup (29 Zoll vorne, 27,5 Zoll hinten) ausgelegt, kann aber auch komplett mit 29 Zoll gefahren werden. Zur Auswahl stehen zwei Modelle.
Für wen ist das neue Gambler – Park-Rider oder Semi-Pro-Racer?
Wir haben es für unser Worldcup-Team konstruiert, es ist also ein echtes Race-BigBike. Dank der vielen Einstellmöglichkeiten lässt sich das Rad aber auch in ein spaßorientiertes Park-Gerät verwandeln – genau das war die Idee.
High-Pivot-Hinterbauten sind gerade im Trend. Warum verzichtet ihr darauf?
Weil es nicht zu unserem Konzept passt. High-Pivot hat Vorteile, etwa auf groben, geraden Passagen. In steilem Gelände und beim Bremsen bringt es jedoch Nachteile – der Fahrer wird zu stark nach vorne gedrängt.
Was war die größte Entwicklungs-Herausforderung?
Definitiv die Kinematik. Wir haben lange daran gefeilt, bis wir zu 100 Prozent zufrieden waren – der Aufwand hat sich gelohnt.
Der integrierte Dämpfer sieht aus wie ein Design-Gimmick. Bringt das überhaupt Vorteile?
Wir wollten den Dämpfer tief im Rahmen platzieren und das Rad darum herum konstruieren. Das funktioniert nur mit Carbon – und nur so, wie wir es umgesetzt haben. Und nein, es ist nicht nur wegen des Design-Effekts, sondern hat durchaus technische Vorteile.
Ohne Luftkühlung entwickelt der Dämpfer deutlich mehr Wärme. Kein Problem?
Wir haben es getestet: Benoît Coulanges ist lange Runs ohne Pause gefahren. Selbst danach gab es keine messbaren Performance-Verluste. Für ein Worldcup-Bike wäre das auch inakzeptabel.
Was kann das neue Gambler besser als sein Vorgänger?
Es fährt sich souveräner in extrem grobem Gelände, besonders in Kurven. Der Vorgänger war zwar einfach zu fahren, erzeugte aber weniger Traktion.
Ihr habt das Maximum an Verstellmöglichkeiten ausgereizt – überfordert ihr damit nicht den Kunden?
Wir setzen auf Aufklärung: Unser Online-Setup-Guide erklärt genau, wie man das Bike einstellt und was die Änderungen bringen. Klar, es ist kein „Set it and forget it“-Rad, sondern eine Rennmaschine.
Warum kein Alu-Rahmen?
Unser Konzept funktioniert nur mit Carbon – deshalb gibt es keine Alu-Version.
Warum Mullet statt 29 Zoll hinten?
Ein 29er-Hinterrad schränkt viele Fahrer in der Beweglichkeit ein. Mit Mullet bleibt das Bike agiler.
Worldcup-Bikes sind nicht unbedingt Hobby-tauglich. Wäre ein Hobby-Bike nicht sinnvoller?
Viele wollen genau das Rad fahren, das auch im Worldcup eingesetzt wird. Wer etwas Einfacheres sucht, ist mit dem Alu-Vorgänger gut bedient.
Der Vorgänger des neuen Gamblers war ein Eye-Opener. So ein leichtes Testbike hatten wir vermutlich noch nie. 15 Kilo wog das gute Stück und es war ein echtes Park-Gerät. Auf Rumpel-Di-Pumpel-Fahrten versprang es jedoch eher, als spurtreu am Boden zu kleben. Hier geht’s zum Testbericht.
Beim neuen Gambler spielte das Gewicht bei der Entwicklung keine Rolle – wieso auch? Es ist kein Geheimnis, dass den Worldcup-Racern ein schweres Bike lieber ist, weil es satter liegt und so schneller fährt.
Für unseren Test jagten wir das neue Gambler in der Top-Ausstattung über Park- und Downhill-Strecken in Châtel. Größe L fällt kompakt aus und passte mit meinen 1,78 Metern wie angegossen. Schon nach den ersten Metern wird klar: Die Geometrie platziert den Fahrer zentral im Bike – und genau da gehört er hin. Das Gambler lässt sich intuitiv durch grobes Gelände dirigieren, Front und Heck arbeiten wie aus einem Guss. Scotts Ziel, dem Bike mehr Traktion zu verpassen, spürt man sofort: Selbst über fiese Wurzelteppiche bleibt das Rad satt am Boden und zieht spurtreu dorthin, wo man es hinhaben will. Das Fox-Fahrwerk leistet dabei ganze Arbeit.
Anfangs stand mir die Front etwas zu tief, doch ein paar Spacer unter dem Vorbau brachten die Balance zurück. Auf den Jump-Strecken überrascht das Gambler mit genug Pop – spaßig, auch wenn sein wahres Revier die harten, groben Downhill-Tracks bleiben. Nebenbei: Das Bike ist flüsterleise. Der Dämpfer entwickelte im Rahmeninnere zwar spürbar Hitze, doch von Performance-Einbußen spürte ich nichts.
Kurzum: Das neue Gambler ist – anders als sein Vorgänger – ein kompromissloser Racer. Ob es die vielen Einstellmöglichkeiten tatsächlich braucht, sei dahingestellt. Wie sich das Bike im Vergleich zu anderen Worldcup-Boliden fährt, konnten wir noch nicht herausfinden.
Und um endlich die Frage aus der Headline dieses Artikels zu beantworten: Für den Park-Einsatz ist das neue Gambler nicht besser als sein Vorgänger – auf Downhill-Pisten hingegen sehr wohl. Das Konzept mit dem versteckten Dämpfer ist Geschmackssache. Die vielen Verstelloptionen sind top für Racer und Technik-Fans, für Hobby-BigBiker, die einfach nur im Park ballern wollen, sind sie aber eher zu viel des Guten. - Laurin Lehner, BIKE-Testredakteur
So fährt sich der Vorgänger des neuen Gamblers. Hier geht’s zum Testbericht.
>> Wollt ihr das neue Scott Gambler selbst mal ausprobieren? Dann kommt zu BIKE Festival nach Saalfelden Leogang. Mehr Infos gibts hier.