Schon als das Element C70 Ende 2022 zum Trailbike Vergleichstest in den BIKE-Keller rollte war ich begeistert von seiner schlanken Silhouette. Endlich wieder mal ein Fully ohne Rohrdurchmesser wie Bodybuilder-Oberarme. Schlicht und zugleich elegant, ja fast schon zierlich wirkte die neu designte Marathon-Ikone – Understatement pur, wie sich später im Test herausstellen sollte. Anstelle klassischer Race-Gene wurden dem Rocky nämlich astreine Trail-Tugenden eingeimpft. Maximal bietet das Fahrwerk in der aktuellen Version je 132 Millimeter Federweg an Front und Heck – in der steilen Ride-4-Einstellung wohlgemerkt.
Ich bin das Element nach kurzem Hin und Her beim einfach zu wechselnden Flipchip allerdings in der flachsten Einstellung gefahren. Dann schrumpft zwar der Federweg auf nur noch 123 Millimeter. Dafür senkt sich das Tretlager tief und der Lenkwinkel flacht auf gerade mal 64,7 Grad ab. Damit entfernt sich das Rocky zwar etwas von seinen Ursprüngen, doch in Kanada definiert man den Begriff Marathon wohl eh gänzlich anders als in Europa.
Den Renneinsatz habe ich dem Rocky – oder besser mir – ohnehin erspart. Wobei ich mir auf dem Element auch einen Marathon vorstellen könnte. Leichter rollende Schlappen und schon wäre das Element bereit für die lange Runde. Zwei Flaschenhalter hätten hierfür am Unterrohr ebenfalls Platz. Die Sitzposition hat mich von der ersten Pedalumdrehung weg überzeugt. Technische Anstiege meistert das Element C70 dank steilem Sitzwinkel und langem Reach noch wie vor mit ordentlich Zug auf der Kette und dennoch sitzt man nicht allzu sportlich im Sattel. Ideal für ausgedehnte Touren und exzessive Klettereien. Die gab es dann auch zuhauf: die Sennes-Fanes-Runde hat das Rocky zweimal auf dem Buckel. Diverse sacksteile Auffahrten auf den Kronplatz ebenso. Auch meine absolute Highlight-Tour auf den Sambock wurde zur wahren Rampen-Jagd. Das Fahrwerk verhielt sich dabei stets unauffällig. Leichtes Nicken, ja, aber so dezent, dass der Griff zur Plattform meist die Mühe nicht wert war.
In den Abfahrten blühte das Rocky dann so richtig auf. Der Hinterbau generiert massig Traktion, das Fox-Fahrwerk filtert hochfrequente Schläge ebenso wie dicke Brocken. In schnellen Passagen verschaffen der flache Lenkwinkel und das tiefe Tretlager viel Sicherheit. Selbst auf rauen Abfahrten wie dem Herrnsteig am Kronplatz kam das Element gut zurecht – wenn auch die 130 Millimeter gewisse Grenzen setzen und man den Lenker hier besser gut festhält. Richtungswechsel im technischen Gelände gehen dagegen spielerisch von der Hand. Mit gerade mal 12,4 Kilo lässt sich das Rocky behände selbst durch verwinkelte Kehren zirkeln. Spielen im Gelände? Immer gerne.
Bei der Ausstattung gab sich das Rocky wieder unauffällig. Das Cockpit mit hochwertigen Odi-Griffen liegt perfekt in der Hand. Bei 6600 Euro ist eine Shimano-XT-Gruppe zwar kein Highlight. Dafür garantiert sie stressfreie Stunden im Sattel. Lediglich die Zweikolben-Bremse mit 180-mm-Scheiben an der Gabel war zu schwach für das immens breite Einsatzspektrum. Die erste Scheibe verglühte im Abfahrtswahn am Kronplatz.
Auch der mäßig profilierte Maxxis Rekon musste für Alpeneinsätze dem traktionsstarken Assegai weichen – am Hinterrad wäre auch längst Ersatz fällig. Etwas nervig: trotz passender Kabelverlegung und korrektem Drehmoment verharrte die Race-Face-Stütze oft in ihrer abgesenkten Position.
Auf den letzten Ausfahrten reagierte auch der Hinterbau wesentlich unsensibler. Grund dafür waren festsitzende Lager an der Aufhängung der Wippe. Lautes Knacken auf schnellen Abfahrten signalisierte zum Ende des Testzeitraums, dass ein umfassender Service mehr als überfällig ist – bei dem was das Element so wegstecken musste, ist das aber wahrlich auch kein Wunder.
Ein Bike, das vom Marathon über die Hausrunde bis zur heftigen Alpen-Abfahrt alles mitmacht und dabei auch noch verdammt gut aussieht? Bitteschön: das Rocky Mountain Element C70. Auch wenn die Ausstattung einen nicht vom Hocker reißt, mit seinem exzellenten Fahrverhalten und dem riesigen Einsatzspektrum verleitet das Rocky ständig zu neuen Abenteuern. – Stefan Frey, BIKE Testredakteur
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