Kreativ und anders: Auf der BESPOKED-Messe wird traditionell dem individuellen Mountainbike gehuldigt. Hier zeigen Tüftler, was abseits des Fahrrad-Mainstreams mit pfiffigen Ideen, kreativer Handwerkskunst und viel harter Arbeit noch so geht. Und das ist einiges. Das Publikum und BIKE-Reporter Jörg Spaniol nutzten in Dresden die Chance zu einer Kreuzfahrt im Universum der technischen und ästhetischen Möglichkeiten.
Mehr Federweg, weniger Gewicht, überall Elektronik … Im Carbon-Zeitalter definieren vor allem große Firmen den Stand der Technik. Doch offensichtlich ist das nicht alles, was Radfahrer interessiert: Die BESPOKED-Messe in Dresden feierte Mitte Oktober das individuelle Fahrrad. Etwa hundert Rahmenbauer und Manufakturen zelebrierten das sportliche Rad als Kulturgut und technisches Kunstobjekt. Dabei ist die BESPOKED keine reine Rahmenbauer-Show für Maßanfertigungen oder extrem raffinierte Custombikes. Die Mindestanforderung an die Aussteller: ein eigener Rahmenbau durch die Marke selbst. Schon das ist in Zeiten der Globalisierung ein unkonventioneller Ansatz.
Doch neben einigen Manufakturen mit Kleinserienfertigung glänzten vor allem die Schmuckstücke der handwerklichen Rahmenbauer. Die Szene hat sich gewandelt. Die aktuellen Rahmenkreationen sind technisch auf dem Stand der Zeit und bedienen eher Sonderwünsche als Bikerinnen und Biker mit besonderen Proportionen.
Der 3D-Druck in Metall eröffnet kleinen Anbietern dabei neue technische und ästhetische Möglichkeiten. Stahl und Titan, Aluminium und Carbon mischen sich in Rädern mit eigenem Look und ausgefuchsten Details. Während vollgefederte Bikes wegen der technisch festgelegten Lage der Drehpunkte kaum Spielraum für Maßanfertigungen bieten, experimentieren die Rahmenbauer bei Trailhardtails oder Adventurebikes mit Details und Geometrien.
Keramische Oberflächen oder künstlerische Handlackierungen erlauben Designs für jeden Geschmack – und jedes ausreichend große Budget. Doch nicht alle auf der BESPOKED gezeigten Räder sind betriebswirtschaftlich durchkalkuliert. Oft leben Designer, Techniker, Enthusiasten ihre Leidenschaft aus, ohne wirklich auf den Preis zu schauen. In vielen Fällen sind es eher Handwerk und Ideen als Gramm und Euro, was zählt.
Mit seiner Marke SUBA ist der Katalane Benjamin Capéran ein typischer Vertreter der Bike-Konstrukteure, die mit eigenen Mitteln neue Fahrwerkskonstruktionen erforschen. Den einigermaßen komplizierten VPP-Hinterbau mit hohem Drehpunkt ergänzt eine hoch angelegte Bremsmomentabstützung (hellblaue Strebe am Hinterbau). Außer den Getrieben von Pinion und Effigear lassen sich auch übliche Kettenschaltungen montieren. Benjamin und seine Partnerin betreiben den Rahmenbau hauptberuflich – im Unterschied zu vielen anderen Ausstellenden. Neben dieser Neukonstruktion haben sie diverse Hardtails und Gravelbikes im Programm. Immer aus Stahl, immer made in Barcelona.
Ralf Holleis, der Mann hinter Huhn Cycles kümmert sich als hauptberuflicher Industrie-Designer eigentlich nicht um Bikes. Doch als leidenschaftlicher Rahmenbauer ist er ein Pionier des 3D-Drucks von Rahmenteilen in Stahl und Titan. Die kommen auch beim unten gezeigten Jersey Giant zum Einsatz. Normalgroße schaffen es bei diesem Rad ohne Schemel kaum auf den Sattel: Es ist ein Unikat für einen 2,06 Meter großen Kunden und rollt auf 36-Zoll-Laufrädern, die für Touren-Einräder produziert wurden. Zusammen mit der extralangen Intend-Gabel und diversen anderen Delikatessen kostete es den Käufer etwa 14.000 Euro. Doch der ist froh, endlich ein proportional passendes Bike zu fahren.
Sie sehen, dass Sie nichts sehen: Das Trailfully der kleinen oberbayerischen Schmiede Feride sieht so schlicht aus, wie es nur gedankenlos oder eben besonders sorgfältig gemachte Produkte tun. „Man muss sehr lange nachdenken, damit es so simpel aussieht“, sagt FERIDE-Macher Matthias Blümel. Von den innen verlegten Zügen bis zum nachstellbaren Schwingenlager hat Blümel sich um die weniger sichtbaren Details gekümmert. Auch, dass die Verbindung zwischen Sitz- und Oberrohr parallel zum Röhrchen der vorderen Dämpferaufnahme läuft: kein Zufall. Matthias Blümel ist Ingenieur, unter anderem für Leichtbau. Hauptberuflich arbeitet er für seine E-Bike-Marke Electrolyte und andere, doch bei Projekten wie diesem lebt er seine Konstrukteursleidenschaft aus.
Schade, aber das vielleicht wichtigste Werk von Auckland Cycleworks Hinterbaukonstruktion zum Patent angemeldet, bei der im Sitzen nur zwei Drittel des Federwegs aktiv sind – ohne Umschalten und anfällige Hebeleien. Bis zur Saison 2024 will der enthusiastische Tüftler damit am Start sein, der Prototyp ist auf seiner Website zu sehen. Das Foto-Bike nennt Gary ein „Big Mountain Enduro“. Es soll nicht nur abwärts überzeugen, sondern Selbsttreter effizient und ohne Pedalrückschlag an den Start anspruchsvoller Trails bringen.
Nein, keine Namen. Nur so viel: Der künftige Besitzer dieses Bikes ist Produkt-Manager einer sehr großen Bike-Marke. Er hätte Zugriff auf Regale voller Carbon und Hightech. Trotzdem hat er sich für den privaten Spaß ein Maßrad von Marko Vogel und Jan Dlouhy bauen lassen. Kein Showbike, sondern ein diskretes Edelteil mit raren Zutaten, Maßgeometrie und fetten 3-Zoll-Reifen. Das sachkundige Publikum der Show strich versonnen über die gerundeten Lötstellen, hob die Augenbrauen angesichts der seltenen Eloxalteile und der geschweißten Titankurbeln. Währenddessen schlenderte der Auftraggeber mit glänzenden Augen durch die bunte Welt der Custombikes umher.
Wer so viel Aufwand treibt, muss sich seiner Sache sicher sein: Noch kann Martin Saida nicht ausschließlich von seinen Bikes leben, doch er investiert unverdrossen in die teuren Frästeile und die aufwändige Konstruktion seiner Rahmen. Derzeit hat er vier Varianten im Angebot, das Spektrum reicht vom 26-Zoll-Slopestyler bis zum Trailbike.
Beim Dobordelu-Rahmen, den er in vier Größen anbietet, geht es ihm um einen möglichst kurzen Hinterbau für ein wendiges, verspieltes Fahrverhalten – die Hinterbaulänge gibt Saida mit nur 430 Millimetern an. Dafür taucht der Hinterreifen zwischen den Kettenstreben durch und reicht fast bis an das (als Drehpunkt ausgelegte) Tretlagergehäuse. Angegebenes Rahmengewicht: circa 4,3 Kilo ohne Dämpfer.
Christian Thomas, der Gründer von Cyber Cycles , nennt sein Monster-Gravel-Abenteuer-Mountainbike schlicht und einfach „Grawumm!“. Das so benannte Rad sei „... das Bike, vor dem Deine Eltern Dich immer gewarnt haben“. Der Mann hat Humor und ein Herz für die Geschichte des Bike-Sports. Der vom Rahmenbauer Stefano Agresti geschweißte Rahmen ist nicht das Hauptprodukt der Marke, sondern dient auch als Teileträger für die höchst individuelle Ausstattung: Cyber Cycles hat sich von Kultteilen der 90er-Jahre inspirieren lassen und fertigt Tretkurbeln, Vorbauten und Gabeln, die es in den aktuellen Einbaumaßen nie gab.