Ausstattung ist nicht alles, gerade wenn es um All Mountains geht. Keine Bike-Kategorie ist so vielseitig, nirgendwo sind die Anforderungen so unterschiedlich. Sanfter Pfad oder große Bergtour, fieser Uphill oder verspielter Hometrail: Diese Bikes sollen überall funktionieren. Nur eine gute Kinematik und eine perfekt ausgewogene Konstruktion machen so einen Spagat schlussendlich möglich.
Aber: Ob ein E-MTB hier punkten kann, ist beim Blick auf die Fakten kaum absehbar. Für viele Biker ist Ausstattung daher immer noch Trumpf bei der Kaufentscheidung. Shimanos XT-Schaltung oder ein Fahrwerk von Fox stehen synonym für zuverlässige Funktion und hohe Wertigkeit. Es sind diese Parts, die bei Bikes um 6000 Euro erstmals auf breiter Front verfügbar sind. Kein Wunder also, dass diese Preisklasse in unseren Leserumfragen regelmäßig ganz oben steht.
Vier der spannendsten Bikes dieser Topseller-Klasse haben wir für diesen Test angefragt. Alle vier stehen mit brandneuer Konstruktion in den Startlöchern, alle vier setzen auf den neuen CX-Motor von Bosch. Ganz vorne in der Gunst vieler Käufer: Das neue Stereo Hybrid One44 TM von Cube. Kein Wunder, schließlich bringt der Fahrrad-Riese aus Waldershof mittlerweile bei der Ausstattung manchen Direktversender ins Schwitzen. Für 6000 Euro ist am Cube sogar schon eine edle Transmission-Funkschaltung verbaut.
Das andere Extrem kommt von Scott. Das Patron ST 910 ist das günstigste Modell der Trail-orientierten ST-Baureihe und muss sich als teuerstes Rad im Test mit einfachen Parts und einem Alu-Rahmen begnügen. Moustache und Bulls schlagen jeweils einen Sonderweg ein. Ein durchdachtes Alu-Chassis und ein kleiner Akku machen das Moustache zum leichtesten Rad im Test. Bulls setzt mit integriertem Kurvenlicht, Rücklicht und ABS auf hohe Alltagstauglichkeit.
Ginge es rein nach der Ausstattung, würde Cube also klar den Testsieg davontragen. Doch auf dem Trail zeigt sich: So einfach ist es nicht. Gerade das top ausgestattete Cube entfernt sich deutlich vom komfortablen Charakter des Vorgänger-Bikes. Die sportlich-straffe Abstimmung bringt zwar den innerhalb der Testgruppe größten Fahrspaß auf flachen Trails, im rauen Gelände ist das Cube aber am schwersten zu kontrollieren.
Bulls und Moustache bleiben hier deutlich unauffälliger. Und ja, auch das vermeintliche SUV-Rad aus Köln macht im Gelände eine gute Figur. Die Lichter sind ein praktisches Plus für den Heimweg, das ABS dürfte manchen Schreckbremser abfangen. Eine tourenorientierte Sitzposition und ein gutes Fahrwerk stehen – neben der exzellenten Reichweite – auf der Habenseite. Nur sehr aktive Trail-Könner dürften mit den langen Kettenstreben des Bulls Spieltrieb vermissen.
Deutlich sportlicher gibt sich das Moustache. Gerade bergauf ist das Rad aus den Vogesen kaum zu schlagen. Bergab sorgt der extreme Radstand für Laufruhe, macht das Rad aber unhandlich. Daran kann auch das geringe Gewicht wenig ändern. Den besten Kompromiss liefert schlussendlich das schlicht ausgestattete Scott. Die gut integrierte Fahrposition vermittelt auch in schwerem Gelände viel Vertrauen, das ausgesprochen komfortable und sensible Fahrwerk begeistert. Das hohe Gewicht und die einfache Ausstattung sind beim Fahren erstaunlich wenig spürbar. Heißt also: Konstruktion schlägt Ausstattung, Praxis schlägt Theorie und Scott sichert sich den Testsieg.
Alle vier Bikes kommen mit dem neuen CX-Motor von Bosch und mit den passenden 600er und 800er Akkus. Entsprechend bieten sie schon ab Werk exzellente Reichweitenwerte, die bei Bedarf noch per Range-Extender aufgestockt werden können. In unserem standardisierten, auf Höhenmeter ausgelegten Reichweitentest liefert Moustache erwartungsgemäß mit der kleinen 600er Batterie den niedrigsten Wert. 1647 Höhenmeter mit 90-Kilo-Fahrer im Turbomodus sind gemessen an der Akkugröße aber exzellent. Mit den großen Akkus sind sogar deutlich über 2000 Höhenmeter im Testszenario drin. Hier können auch schwere Fahrer lange, höhenmeterintensive Touren ohne Zwischenladung einplanen. Oder anders gesagt: Mehr Reichweite geht fast nicht. Der große Bosch-Akku wird nur von Speziallösungen wie Canyons 900er Batterie noch übertroffen.
Der Fokus auf Systemintegration treibt bei Scott und Bulls das Gewicht. Bei Scott drückt offenbar die Konstruktion mit im Rahmen integrierten Dämpfer auf die Waage, auch die Domain-Gabel ist recht schwer. Bei Bulls kann auch der Carbon-Hauptrahmen das Zusatzgewicht durch den im Steurrohr integrierten Scheinwerfer nicht ganz verbergen. Beide Bikes kämpfen außerdem mit preisgünstigen und schweren Laufradsätzen. Dass es in dieser Preisklasse auch anders geht, zeigt Cube mit leichten Laufrädern trotz solidem Super-Gravity-Reifen im Heck. Achtung: Das Scott hat eine restriktive Gewichtsfreigabe von nur 128 Kilo – bei über 26 Kilo Radgewicht dürfen Fahrer und Ausrüstung also maximal 100 Kilo wiegen.
Trotz hoher Preise: Gerade beim Thema Gewicht bleibt bei den vier All Mountains teilweise noch deutlich Luft nach oben. – Hans-Peter Ettenberger, BIKE-Testlabor
Mit seinen starken Fahreigenschaften sichert sich das Scott trotz seines hohen Gewichts und durchwachsener Ausstattung den Testsieg. Typisch All Mountain: Die vier Bikes punkten besonders bei Klettereigenschaften, Reichweite und im Downhill. Richtig verspielt fährt sich keiner der vier Kandidaten. – Adrian Kaether, BIKE-Testredakteur
Um E-MTBs objektiv zu beurteilen, treiben wir bei BIKE einen beispiellosen Aufwand. Diese Kriterien sind ausschlaggebend für die Bewertung.
Der wichtigste Punkt im Bewertungssystem macht die meisten Prozentpunkte der Endnote aus. Wir unterscheiden, wie gut sich ein Bike bergauf und bergab fahren lässt und wie das Fahrwerk dabei arbeitet. Bergauf bewerten wir unter anderem die Geometrie: Passt der Komfort? Stimmt die Kraftübertragung, und übersteht man auch lange Tage im Sattel? In technischen Uphills gibt es Strafpunkte für ein früh steigendes Vorderrad und mangelnde Kontrolle in Schlüsselstellen. Bei E-MTBs legen wir hierauf ein besonderes Augenmerk.
Beim Handling bergab unterscheiden wir in zwei Disziplinen. Die Spieltrieb-Wertung ist dem Fahrspaß gewidmet. Hier punkten handliche und spritzige Bikes. Modelle mit hohem (Laufrad-)Gewicht, trägen Fahrwerken und sperrigen Geometrien sind im Nachteil.
Bei der Downhill-Wertung unterscheiden wir zwischen den Fahreigenschaften und den Fahrwerks-Qualitäten. In der ersten Kategorie legen wir besonderen Wert auf die Fahrposition: Steht man gut integriert im Bike, lässt es sich intuitiv steuern, und wie viel Sicherheit vermittelt die Geometrie im steilen Gelände oder bei hohen Geschwindigkeiten? Zum Punkt Fahrwerk zählen Schluckvermögen und Ansprechverhalten der Federelemente: Harmonieren Front und Heck, fangen Gabel und Dämpfer auch schnelle Schlagabfolgen ab, wie steht’s um die Traktion?
In der Benotung berücksichtigen wir nicht nur das Gesamtgewicht. Auch Laufradgewicht und Geometrie ermitteln wir nach einheitlichen Standards in unserem hauseigenen Prüflabor. Die Reichweite erkurbeln wir in einem aufwendigen Feldtest.
Hier verbergen sich insgesamt fünf Bewertungskriterien. Neben der Qualität der Komponenten und Anbauteile bewerten wir Dinge, die für den Fahrer einen Mehrwert schaffen. Das kann beispielsweise ein integriertes Tool oder sinnvolles Zubehör ab Werk sein. Zusätzlich honorieren wir die Größe der Trinkflasche, die am Rahmen transportiert werden kann, die Versenkbarkeit des Sattels sowie die Qualität und Verarbeitung des Rahmens.
Unsere Schrauber-Wertung gibt Auskunft darüber, wie leicht Service- und Wartungsarbeiten am Bike erledigt werden können. Eine hohe Punktzahl verspricht eine gute Servicefreundlichkeit, niedrige Werte warnen vor Stress bei Arbeiten am Bike. Dabei bewerten wir die Zugverlegung, wie leicht der Steuersatz getauscht und gewartet werden kann, ob der Rahmen an Problemzonen ausreichend geschützt ist und ob ein universelles Schaltauge spezifiziert wurde.
Welchen Charakter ein Bike hat, zeigen wir auf einen Blick in den Tests zu den jeweiligen Bikes mit unserem Spinnen-Diagramm. Grundsätzlich gilt: Je größer die farbige Fläche, desto besser das Bike. Aber auch die Bewertung in den einzelnen Kriterien wird hier sichtbar. Die Gewichtung passen wir dabei je nach Bike-Kategorie an. So werden wir den unterschiedlichen Anforderungen an zum Beispiel E-Enduros oder Light-Bikes gerecht.