Fragen an die IndustrieDas raten Fahrrad-Experten XXL-Bikern beim Kauf

Jan Timmermann

 · 15.12.2023

Wenn Rahmen und Teile mit den Ansprüchen schwerer und großer Biker überfordert sind, ist das nicht nur für den Besitzer, sondern auch für den Hersteller ein großes Problem.
Foto: Jan Timmermann
Hersteller von MTBs und Fahrradteilen legen ihre Produkte meist für eine bestimmte Bandbreite an Fahrer-Gewichten aus. Was aber, wenn Biker diese Skala nach oben hin sprengen, weil sie mehr als 100 Kilo auf die Waage bringen? Klar, dass das Entwickler und Ingenieure vor Herausforderungen stellt. Wir wollten wissen, wie die Bike-Industrie damit umgeht und haben drei Experten befragt.

Gewichtsbeschränkung 90 Kilo? Maximales Systemgewicht 100 Kilo? Darüber können XXL-Biker nur müde schmunzeln. Viele Fahrer kommen zusammen mit dem Gewicht von Bike und Ausrüstung gut und gerne auf 120 Kilo oder mehr. Wer besonders groß oder schwer gebaut ist, kann nicht einfach ins Regal greifen, um MTB-Teile auszuwählen. Oft führt die Suche nach geeigneten Bikes und Parts ins Kleingedruckte der Hersteller. Natürlich gibt es Gewichtsbeschränkungen aus gutem Grund. Mountainbiken ist ein Risikosport und das Material muss gerade bei schweren Fahrern so einiges aushalten. Um herauszufinden, wie die Marken auf die Anforderungen von XXL-Bikern reagieren und welche Tipps Insider zum Thema geben können, haben wir bei den Herstellern besonders belasteter Teile nachgefragt. DT Swiss, Schwalbe und Maxx standen uns im Interview Rede und Antwort.

DT Swiss zu Laufrädern für schwere Fahrer

Laufräder müssen bei hohen Fahrergewichten so einiges wegstecken. Nach den Reifen kommen Belastungen bei ihnen als erstes an. Kaum ein Teil beeinflusst zudem das Handling eines Mountainbikes so gravierend, wie der Laufradsatz. Wir wollten wissen, was Andreas Tschanz, Head of Engeneering Wheels And Components bei DT Swiss, zu dem Thema XXL-Biker zu sagen hat.

Bewertung

BIKE: Wie ermittelt ihr das maximal mögliche Systemgewicht für eure Laufräder?

Andreas Tschanz: Wir haben über Jahre eine umfangreiche Werksnorm aufgebaut, welche die Anforderungen an unsere Laufräder abhängig von Einsatzbereich (ASTM) und dem maximalen Systemgewicht definiert. Die Werksnorm geht deutlich über die im Fahrradbereich bestehenden Normen hinaus und basiert unter anderem auf Feldlastmessungen und unserer mittlerweile Jahrzehntelangen Erfahrung mit Laufradkomponenten und kompletten Laufrädern. Bei Fahrern über 100 Kilo werden die Lasten auf Komponenten deutlich höher. Umso wichtiger ist die korrekte Auslegung.

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Andreas Tschanz, Chefentwickler bei DT Swiss, weiß, was Laufräder bei besonders schweren Fahrern alles aushalten müssen.Foto: DT SwissAndreas Tschanz, Chefentwickler bei DT Swiss, weiß, was Laufräder bei besonders schweren Fahrern alles aushalten müssen.

Welche Empfehlung hast du für einen solchen Fahrer mit über 100 Kilo Körpergewicht?

In jedem Fall sollte der Kunde auf den vom Hersteller vorgesehenen Einsatzbereich und das maximale Systemgewicht achten. Gegebenenfalls macht es Sinn zu einem Produkt zu greifen welches für einen höhere ASTM-Kategorie vorgesehen ist. Im Cross Country Bike also zum Beispiel auf ein Allmountain-Modell oder sogar auf ein Enduro-Modell zurückgreifen.

Bei DT Swiss kommt dem Testen der Laufräder eine wichtige Rolle zu. So kann auch das maximale Systemgewicht definiert werden.Foto: Georg GrieshaberBei DT Swiss kommt dem Testen der Laufräder eine wichtige Rolle zu. So kann auch das maximale Systemgewicht definiert werden.

29er haben sich etabliert und passen oft besser zu großen Fahrern. In einer Kaufberatung 2013 schätzten wir sie für schwere Fahrer aufgrund mangelnder Steifigkeit noch als problematisch ein. Ist das zehn Jahre später immer noch ein Thema?

Aus meiner Sicht nicht mehr! Eventuell gilt dies noch für sehr stark gewichtsoptimierte Laufräder und Komponenten. In der Regel ist dann auch entsprechend das max. Systemgewicht gering. Durch den Einsatz von breiten Felgen durch alle Einsatzgebiete die die Markteinführung von Boost Naben wurde diese Thematik nachhaltig entschärft.

Welches Bauteil eines Laufrads ist bei hohen Fahrergewichten besonders sensibel?

Hier kann man nicht ein einzelnes Bauteil betrachten. Die Summe der Bauteile muss als System funktionieren und entsprechend ausgelegt sein. Die optimale Kombination von Laufradkomponenten in Kombination mit einem guten Laufradbau ergibt das perfekte Ergebnis.

Durch den Laufradbau von Hand und die Eigenproduktion aller Komponenten kann DT Swiss genau nachvollziehen, welches Produkt an den Kunden herausgegeben wird.Foto: Georg GrieshaberDurch den Laufradbau von Hand und die Eigenproduktion aller Komponenten kann DT Swiss genau nachvollziehen, welches Produkt an den Kunden herausgegeben wird.

Schwalbe zu Reifen für schwere Fahrer

XXL-Biker belasten ihre Reifen beim Mountainbiken deutlich stärker als leichte Radfahrer. Nichtsdestotrotz müssen sie sich jederzeit auf Grip und Pannensicherheit ihrer Gummis verlassen können, wenn sie mit dem MTB auf einen Trail rollen. Wie Reifenhersteller mit diesen Anforderungen umgehen und welche Tipps sie besonders schweren Piloten geben können, verrät uns Carl Kämper, Produktmanager bei Schwalbe.

BIKE: Spielt das Körpergewicht bei der Wahl meines Reifens eine Rolle?

Carl Kämper: Hier gilt zunächst, dass Reifen mit größerem Volumen aufgrund der besseren Tragfähigkeit zu bevorzugen sind. Das Körpergewicht spielt insbesondere bei der Wahl der Karkasse, aber auch beim Einstellen des Luftdrucks eine entscheidende Rolle. Schwerere Fahrer sollten eher zu einer stabileren Karkasse greifen, um Durchschläge zu vermeiden sowie ausreichend Seitenstabilität zu haben. Über den Luftdruck erfolgt anschließend die Feinabstimmung.

Carl Kämper, Produktmanager MTB bei Schwalbe.Foto: SchwalbeCarl Kämper, Produktmanager MTB bei Schwalbe.

Kann es passieren, dass ein Reifenprofil ab einem bestimmten Fahrergewicht nicht mehr mitspielt und zum Beispiel Außenstollen wegknicken?

Das spielt durchaus eine Rolle! Der Grip des Reifens hängt von der Gewichtslast (Downforce) und dem Reibungskoeffizienten (Compound und Profil) ab. In der Theorie kann ein schwerer Fahrer also mehr Grip aufbauen, limitierend ist hierbei allerdings überproportional die Bewegung der Masse relativ zum Untergrund. Auf dem MTB bedeutet das konkret, dass zum Beispiel bei entsprechend schneller Kurvenfahrt der Reifen auch bei höherer Gewichtslast früher an sein Limit kommt. Ein gewisses Maß an Flex in den Schulterstollen trägt dennoch massiv zur Kontrollierbarkeit des Reifens bei. Man spricht hierbei von „Radierung“ oder auch der Kontrollierbarkeit im Grenzbereich.

Entgegen der allgemeinen Vorstellung sind maximal steife Seitenstollen dabei nicht erstrebenswert. Stattdessen werden Compound und Profil so aufeinander abgestimmt, dass der Effekt der Radierung in einem bestimmten Bereich erzielt wird. Die Magic Mary zum Beispiel ist bekannt für ihre Gutmütigkeit und den besonders großen Grenzbereich durch eine ausgeprägte Radierung. Tacky Chan hat hingegen deutlich stabilere Schulterstollen mit deutlich mehr Gegenhalt. Entwickelt für den Einsatz im Weltcup, bietet er mehr Präzision, erfordert aber eine aktive Fahrweise mit viel Nachdruck.

Die Wahl eines geeigneten Reifens fällt schon Bikern in Durchschnittsgröße schwer. XXL-Biker müssen auf ganz bestimmte Kriterien achten.Foto: Georg GrieshaberDie Wahl eines geeigneten Reifens fällt schon Bikern in Durchschnittsgröße schwer. XXL-Biker müssen auf ganz bestimmte Kriterien achten.

Welchen Einfluss nimmt das Fahrergewicht auf den Verschleiß eines Reifens?

Zum einen kann der Reifen durch eine höhere Gewichtslast insbesondere auf harten Untergründen ein hohes Maß an Grip aufbauen. Da Grip ultimativ nichts anderes ist als das Anhaften des Reifens an den Untergrund, führt ein höheres Gewicht auch zu einem höheren Verschleiß. Zum anderen bedingen höhere Fahrergewichte eine stärkere Bremsleistung, die von dem Reifen auf den Untergrund übertragen werden muss. Auch dies führt zu einem vermehrten Verschleiß.

Für welchen Gewichtsbereich entwickelt Schwalbe MTB-Reifen?

Die meisten unserer 29 Zoll MTB-Reifen sind für eine Achslast von bis zu 120 Kilo ausgelegt. Somit wäre theoretisch ein Systemgewicht von 240kg möglich! Bei Reifen mit größerem Volumen (2.6 Zoll) können sogar noch höhere Traglasten erzielt werden.

Auch Schwalbe investiert viel Energie, um die Belastbarkeit ihrer Reifen auf Herz und Nieren zu testen.Foto: SchwalbeAuch Schwalbe investiert viel Energie, um die Belastbarkeit ihrer Reifen auf Herz und Nieren zu testen.

Maxx zu Fahrradrahmen für schwere und große Menschen

Sind Biker groß und schwer, stellen sie hohe Anforderungen an ihr Material. Das gilt nicht zuletzt für MTB-Rahmen. Bereits einfach konstruierte Hardtails müssen bei XXL-Bikern großen Lasten Stand halten. Noch komplizierter werden die Themen Haltbarkeit und Handling bei hohen Fahrergewichten und Fullys. Defekte Rahmen sind nicht nur ein Sicherheitsrisiko, sondern gehen auch ins Geld. Andreas Weigl, Mitglied der Geschäftsleitung bei Maxx verrät, was MTB-Rahmen für große und schwere Fahrer leisten müssen.

BIKE: Wie kommt es, dass ihr auch Mountainbikes für extra große Fahrer im Programm habt?

Andreas Weigl: Maxx ist eine Fahrradmanufaktur, die sich speziell mit dem Thema Ergonomie beschäftigt. Wir möchten Bikes bauen, die perfekt zu unseren Kunden passen. Fahrer mit einer Körpergröße über zwei Metern haben andere Ansprüche an einen Rahmen, die nicht nur mit einem längeren Vorbau oder anderen Anbauteilen behoben werden können. Deshalb haben wir frühzeitig eine breite Größenvielfalt in unser Sortiment aufgenommen. Die XXL-Räder sind für uns mittlerweile ein wichtiger Umsatzbringer. In den letzten Jahren konnten wir uns hier aufgrund unseres großen Sortiments für Mountainbiker gut positionieren.

Andreas Weigl von Maxx Bikes ist Spezialist für extra große Fahrräder.Foto: Maxx BikesAndreas Weigl von Maxx Bikes ist Spezialist für extra große Fahrräder.

Wie unterscheiden sich eure Rahmen in Größe XXL zum Beispiel zu Größe M?

Bei einem XXL-Rahmen werden sowohl die Geometriewerte an die großen Fahrer angepasst als auch die Materialstärke und somit auch die Steifigkeit verbessert. Wir legen besonderen Wert darauf, dass beides den Anforderungen der großen Fahrer entsprechen. So soll sich dieser sofort wohlfühlen und der Rahmen sollte den Belastungen standhalten.

Fließen die Ansprüche großer Fahrer auch in die Wahl der Ausstattung mit ein?

Auch hier unterscheiden sich die XXL-Bikes. Zum Beispiel gibt es im Konfigurator einige Pflichtupgrades für große und schwere Fahrer, wie Bremsscheiben und Laufräder, da diese an die Bedürfnisse angepasst werden müssen. Zusätzlich achten wir bei der Auswahl an Komponenten bereits darauf, dass diese für die großen Fahrer passen. Beispielsweise spezifizieren wir Gabeln mit längeren Schaftlängen und weißen bereits im Konfigurator darauf hin, sollte eine mögliche Spacer Auswahl nicht kompatibel sein.

Was würdest du einem Biker von zwei Metern Körpergröße vor dem Kauf eines MTBs raten?

Generell sollte das Modell den Anforderungen des Bikers entsprechen, und anschließend sollte es ergonomisch auf den Biker angepasst werden. Hierbei hilft unser Konfigurator. Sollte der Biker weitere Fragen haben, empfehlen wir eine professionelle Beratung entweder direkt bei uns oder bei einem unserer MAXX-Händler.

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